Debatte geht weiter
Lauterbach will Ex-post-Triage nicht zulassen
Eine Formulierungshilfe für das Triage-Gesetz erwägt auch einen möglichen Abbruch der Behandlung eines Patienten zugunsten eines anderen mit höherer Lebenschance. Doch diese Ex-post-Triage will Gesundheitsminister Lauterbach nicht erlauben.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP erwägen zumindest teilweise, die Möglichkeit zur „Ex-post-Triage“ bei knappen intensivmedizinischen Ressourcen in Pandemiezeiten in das Infektionsschutzgesetz einzuziehen.
Das geht aus einer aktuellen Formulierungshilfe für den Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hervor. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Variante der Triage tatsächlich eingeführt wird.
Gesundheitsministers Professor Karl Lauterbach persönlich stellt sich dagegen: „Ex-post-Triage ist ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten. Deshalb werden wir es auch nicht erlauben“, meldete sich der SPD-Politiker am Montag zu Wort.
Selbst die Ex-ante-Triage im Vorfeld einer intensivmedizinischen Behandlung solle nur unter hohen Auflagen möglich sein, betonte der Minister. Aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils müsse der „Graubereich von medizinischen Entscheidungen“ allerdings ausgeleuchtet werden, so der Minister.
Caritas: Ex-post schafft Legitimation für Rationierung
Ex-post-Triage für zulässig zu erklären sei fatal, meldete sich der Caritasverband am Montag zu Wort. Ex ante und ex post dürften nicht in einem Atemzug genannt werden, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop Deffaa.
Schleichend verändere sich unter dieser Überschrift die Diskussion um die Triage – von einem Instrument der medizinischen Abwägung in akuten Notfallsituationen zu einer Legitimation von Rationierung medizinischer Leistungen nach Nützlichkeit und Lebenswert.
Der aktuelle Entwurf der Formulierungshilfe, der der Ärzte Zeitung vorliegt, trägt das Datum vom 5. Mai. Er sieht vor, Triage-Entscheidungen nicht nur vor der intensivmedizinischen Behandlung, sondern auch während der intensivmedizinischen Behandlung zu ermöglichen. In einer früheren Version mit Datum 1. März war diese Option noch nicht enthalten.
Drei Fachärzte für Ex-post-Entscheidungen?
Der Gesetzestext im neuen Paragrafen 5c des Infektionsschutzgesetzes dazu soll wörtlich wie folgt lauten: „Bei bereits zugeteilten pandemiebedingt nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten ist eine Zuteilungsentscheidung (…) von drei mehrjährigen (sic) intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärztinnen und Fachärzten mit Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen (…).“
Die Autoren des Gesundheitsministeriums sehen sich damit im Einklang mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das den Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 dazu aufgefordert hatte, Schutzvorkehrungen für behinderte Menschen bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Behandlungsressourcen zu treffen.
„Dass aufgrund der Achtung vor der Unantastbarkeit der Menschenwürde Leben nicht gegen Leben abgewogen darf, steht einer Regelung von Kriterien, nach denen zu entscheiden ist, wie knappe Ressourcen zur Lebensrettung verteilt werden, nicht von vornherein entgegen; ein Kriterium, das den inhaltlichen Anforderungen der Verfassung genügt, kann vom Gesetzgeber vorgegeben werden“, hatten die Karlsruher Richter dem Bundestag ins Pflichtenheft geschrieben.
Entwurfsautoren warnen vor „Regelungslücken“
Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs allein auf Zuteilungsentscheidungen, die Patientinnen und Patienten betreffen, die noch nicht behandelt werden, bärge die Gefahr einer Regelungslücke, argumentieren nun die Autoren des vorliegenden Entwurfs, den Lauterbach wohl wieder kassieren will. Der Minister hat einen seiner Ablehnung der Ex-post-Triage entsprechenden Gesetzentwurf in Kürze in Aussicht gestellt.
In dem Entwurf wird zudem darauf verwiesen, dass eine Ex-post-Triage Menschen mit Behinderungen auch bevorteilen könne. Und zwar für den Fall, wenn ein nicht Behinderter, bereits auf einer Intensivstation behandelter Mensch, nach Ansicht der begutachtenden Ärzte geringere Aussichten auf das Überleben habe als der später eintreffende Mensch mit einer Behinderung.
Zudem könne die Möglichkeit, sowohl ex post als auch ex ante zu triagieren verhindern, dass die Geltung des Benachteiligungsverbots vom Zeitpunkt des Eintreffens auf der Intensivstation abhänge.
Ex-ante-Entscheidungen scheinen unstrittig
Unstrittig scheint dagegen die Ex-ante-Variante der Triage zu sein. Sie soll ausweislich der bislang vorliegenden Formulierungshilfen von zwei intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten vorgenommen werden können.
Grundsätzlich solle bei der Zuteilung nicht ausreichender überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten niemand aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.