Pandemie-Meldewesen

Deutschland im Corona-Blindflug

Eine Analyse des iGES legt nun nahe: In Deutschland wurden massive Einschränkungen zur Pandemie-Bekämpfung beschlossen, ohne dass dafür geeignete Daten vorgelegen haben. Teil 3 unserer Serie in Kooperation mit iGES.

Prof. Dr. Bertram HäusslerVon Prof. Dr. Bertram Häussler Veröffentlicht:
Lockdown: Die sonst belebte Düsseldorfer Königsallee ist nahezu menschenleer.

Lockdown: Die sonst belebte Düsseldorfer Königsallee ist nahezu menschenleer.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Berlin. Im neuen Jahr scheint alles noch viel schlimmer: So berichtet etwa die „FAZ“ am 14. Januar: „Abermals neuer Höchststand an Corona-Todesfällen. Binnen 24 Stunden wurden 1244 weitere Todesfälle gezählt, wie das Robert Koch-Institut unter Berufung auf die Gesundheitsämter mitteilte.“ Was aber, wenn sich die zitierten 1244 Todesfälle gar nicht in den vergangenen 24 Stunden ereignet haben? Was aber, wenn diese Zahlen rund vier Wochen alt sind und jetzt erst beim RKI „aktenkundig“ werden?

Leider ist es genau so: Zwischen dem Zeitpunkt, an dem sich die Todesfälle ereignen, und dem Meldetag vergehen etwa vier Wochen. Das zeigt eine Analyse des IGES Pandemie Monitors. Danach sind zwischen dem 1. November und dem 14. Dezember die täglichen Meldungen des Robert Koch-Instituts (RKI) deutlich hinter den tatsächlich eingetretenen Todesfällen zurückgeblieben. Der Meldeverzug erreichte damals eine Größe von über 7000 Todesfällen. Dieser Stau wurde dann im neuen Jahr quasi aufgearbeitet, was zwischen dem 7. und dem 8. Januar dann geschafft war.

Wir bekommen also durch die Meldungen des RKI nicht das gezeigt, was heute der Fall ist, sondern das, was vor Weihnachten der Fall war: also die Zeit, in der die Verantwortlichen von Bund und Ländern den dritten Lock-down angeordnet hatten.

Bankrotterklärung der Berichtssysteme

Und was ist heute los? Geht die Zunahme der Sterbefälle einfach so weiter oder wirkt der Lockdown nicht wenigstens ein bisschen?

Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es schlichtweg nicht, weil uns unsere offiziellen Berichtssysteme weitgehend im Stich lassen. Die Sterbezahlen werden immer noch mit einem großen Verzug gemeldet. Hinzu kommt, dass sich das deutsche Gesundheitswesen in Bezug auf die Meldung der Corona-Zahlen seit dem 24. Dezember eine wirklich lange Pause gegönnt hat. Sogar noch am 8. Januar musste das RKI darauf hinweisen, dass seinen tagesbezogenen Angaben nicht zu trauen ist. Dadurch sind schätzungsweise 60.000 Fälle nicht gemeldet worden.

Deutschland im Corona-Blindflug

© IGES

Diese haben aber dann zu weiteren Infektionen geführt, die nun entdeckt werden. Die Fälle steigen. Aber sie nehmen auch zu, weil Urlaubsrückkehrer im sechsstelligen Bereich neue Fälle generieren und irgendwo unerkannt die Mutation aus Großbritannien Fuß fasst. Wie viele Corona-Infektionen der Lockdown verhindert hat, wissen wir nicht! Das einzige, was wir relativ sicher erkennen können, ist der leichte Rückgang der Belegung der Intensivstationen. Ein gutes Zeichen.

Lesen Sie alle Folgen der Serie

Dieses Meldesystem hätte am Ende des vergangenen Jahres seinen Bankrott erklären müssen. Es hat zu keiner Phase der Pandemie die Hinweise geliefert, die für gezielte Maßnahmen erforderlich gewesen wären. „Diffuses Geschehen“ war mehr oder weniger das einzige, was aus ihm herausgedrungen ist, obwohl es in der Lage wäre, die Schlüsselinformationen zu liefern.

Modell-Gesundheitsämter als Korrektiv

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen: Das öffentliche Meldesystem ist für diese Pandemie nicht mehr flächendeckend reformierbar. Daher ist die einzige Lösung, dass vier oder fünf Gesundheitsämter modellhaft in kürzester Zeit die maximale Ausstattung in technischer, personeller und methodischer Hinsicht bekommen. Diese können dann als Seismographen für das ganze Land dienen und als Korrektiv für die verwirrenden Meldungen, denen Bürger und Entscheidungsträger ausgesetzt sind. Aber vielleicht entscheidet es sich ohne Daten einfacher.

Der IGES Pandemie Monitor

Wie ist die zweite Pandemie-Welle entstanden? Wie hätte sie verhindert werden können? Was kennzeichnet das derzeitige Ausbruchsgeschehen? Antworten auf diese und andere aktuelle Fragen gibt der IGES Pandemie Monitor. Seine Mission ist es, mehr Orientierung in der Corona-Pandemie zu geben.

Er bietet differenzierte Analysen über die Entwicklung der Pandemie und über die Treiber von Infektionen mit SARS-CoV-2. Dies soll die Anstrengungen aller unterstützen, die Pandemiedynamik besser zu verstehen und die richtigen Maßnahmen zu treffen.

Der IGES Pandemie Monitor versteht sich auch als Antwort auf das durch die Corona-Krise entstandene, große allgemeine Interesse an Gesundheitsdaten. Dem begegnet vor allem der Datenjournalismus mit einem zuvor noch nie gekannten Informationsangebot. Unzählige Statistiken, Grafiken und Abbildungen bebildern in den tagesaktuellen Medien das Infektionsgeschehen. Was jedoch vielfach fehlt, ist Einordnung, Bewertung und Gewichtung der sich täglich ändernden Faktenlage:

Nötig ist mehr Differenzierung statt Pauschalierung. Genau da setzt der IGES Pandemie Monitor an: So zeigt er kurz-, mittel- und langfristige Trends des Pandemieverlaufs. Diese zeitliche Dreiteilung spiegelt sich in den Rubriken „Aktuelle Lage“, „Entwicklungen“ und langfristige „Analysen“ wider. Bereits während des aktuellen Verlaufs arbeitet der Monitor die Faktoren heraus, die maßgeblich das Pandemiegeschehen beeinflussen.

Datengrundlage sind neben den Meldedaten des RKI weitere Informationen wie soziodemographische, geographische oder spezifisch regionale und infrastrukturelle Fakten.

Ziel ist es zudem, Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Eindämmungsmaßnahmen zu gewinnen, um das Management der Krise vor Ort möglichst ressourcenschonend und präziser zu gestalten.

Wo eine aktuelle Analyse der Ursachen nicht zweifelsfrei gelingt, weil etwa die verfügbare Datenbasis zu schmal ist oder weil weitere Entwicklungen abgewartet werden müssen, wird der IGES Pandemie Monitor Hypothesen formulieren und entsprechende Fragen stellen – auch im gewünschten Dialog mit seinen Nutzern. Dies soll dazu beitragen, neue Akzente für das Krisenmanagement zu setzen.

Der IGES Pandemie Monitor wird als Internetseite präsentiert, deren Inhalt laufend an das Geschehen angepasst wird.

www.iges.com/corona

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 19.01.202119:22 Uhr

Dem plausiblen und klugen Kommentaren des Allgemein- und Ganzheits-Mediziners Dr. Schätzler ist nur wenig hinzuzufügen! Was uns nach dem "Coronajahr" bleibt, ist a) den Mutmaßungen der Virologen und Molekularbiologen gut zuzuhören und auf ihren wiss. Wert kritisch zu überprüfen, b) den virtuell coronainfizierten, nachplappernden Politikern keine ihrer absurden infektiologisch-hygienischen Aussagen und Prognosen zu verzeihen, und c) die Sanitätsräte(innen) der Gesundheitsämter zu veranlassen, klinisch Covid-19 Asymptomatische, aber coronapositive Schnupfen/ Husten-Probanten, nach PCR- Anreicherungstest oder Antigentest durch Schleimhautabstrich und Nachweis von Sars-2-CoV- RNA-Zellschnipsel, noch nicht an das RKI als "Infektionsfälle" zu vermeiden, sondern als nichtansteckungsfähige Antigen-Kontaminationen immunologisch anzusehen. In ihrer wichtigen Funktion als Säule der Seuchenbekämpfung müßten die amtlichen Mediziner nach m.E. in der Lage sein, bei -aus Altenheimen und Intensivstationen- gemeldeten "Covid-19" Todesfällen diese epidemiologisch-differentialdiagnostisch zwischen "an oder mit" Sars-2- Covirus erkrankt und verstorben zu unterscheiden. Dazu sollte 1) die ärztliche Beurteilung der Anamnese von chronischen Vorerkrankungen, 2) die Feststellung "mit oder ohne Zwangsbeatmung" verstorben und 3) die mikrobiologische Probennahme per Lungenpunktion zum Nachweis o. Ausschluß der kausal tödlichen, bakt. Lungensepsis, möglich sein. (die bisherige "Nachverfolgung" der fiktiven "Infektionsketten" am PC oder Telefon hat sich bekanntlich als insuffizient erwiesen) 4) So könnte das RKI gewiß die besorgniserregende Seuchenstatistik mit ihren fiktiven R-Werten (nicht jede coronapositive Kontamination ist nach den Regeln der Infektiologie ansteckend (!), und schon gar kein "Superspreader"!) auch die "Kurve" abflachen. Die oberste Meldebehörde sollte nach meinen epidemischen Erfahrungen, den amtlichen Experten nur noch konzertant Gehör geben, damit die sich in talkshows nicht einzeln in Mutmaßungen überbieten. . .

Alexander Joppich 19.01.202112:44 Uhr

Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund, hat uns diesen Kommentar gesendet:

Zum kommenden IGES-Statement über Lockdown-Varianten/ihre Verifizierung/Validierung: Lockdown - Versuch oder Irrtum?

Panik vor extrem gefährlich-unkontrollierbarer SARS-CoV-2-Pandemie/Mutationen missachtet infektiologische Grundsätze. Nicht Infizierte können Immune, Immunisierte und andere Nichtinfizierte nicht anstecken.
Die Interessenlage 95-96% Nichtinfizierter wird zu Gunsten von mit dramatischen Folgen 4-5% Infizierter (einschließlich Dunkelziffer) ignoriert. Statt die Mehrheit Nichtinfizierter vorbildhaft zu schützen/forden/fördern, wird im gleichmacherisch-undifferenzierten Lockdown ausschließlich die Minderheit der Infizierten zum Maßstab. Auch im verschärften Shutdown sinken Erkrankungs-/Todeszahlen nicht.
Infektiologisch mustergültiges Verhalten Nichtinfizierter/Einhaltung erweiterter AHA-Regeln werden dadurch konterkariert. Unsere Gesellschaft wird gespalten/destabilisiert. Der Lockdown ist Surrogat-Parameter für naive, empirisch nicht abgesicherte Plausibilität. Zugleich verzweifelter Versuch, Irrtümer nicht einzugestehen. Historische Fehleinschätzung, dass allein ein Stillstand im öffentlichen und privaten Leben, in Wirtschaft, Produktion, Verkehr, Touristik, Freizeit und Kultur eine lebensbedrohliche Pandemie besänftigen/kanalisieren könne.
Elementare menschliche Bedürfnisse nach Kontakt, Kollektivität, Kontemplation, Kommunion, Kommunikation, Kulturreflexion und Kreativität werden abgewürgt. Ganze Volkswirtschaften werden platt gemacht.
Dagegen überstürzt entwickelte Impfungen als Single- oder Dual-Shots bzw. die verwirrende Vielfalt mancher absurd wirkender medikamentöser Therapien sind und bleiben erkenntnistheoretisch ungewiss. Problematischer "Grundsatz: Wir bleiben zu Hause": Statistiken des Robert-Koch-Instituts (RKI) belegen die Masse nachvollziehbarer Infektionen im häuslichen Heim-/Wohnmilieu. Im Lockdown werden unsere Patienten/-innen aber dorthin geschickt, wo die Infektionsgefahr am größten ist. https://www.doccheck.com/de/detail/articles/31255-lockdown-versuch-oder-irrtum

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