Nach der US-Wahl
Die drei Szenarien für die Zukunft von Obamacare
Von einigen gehasst, von vielen geliebt: Obamacare hat Millionen Amerikanern erstmals Zugang zu einer bezahlbaren Krankenversicherung geebnet. Manche Republikaner wollen das Gesetz zurücknehmen, Bald-Präsident Biden sogar noch ausbauen. Welche Szenarien es für die Obamacare-Zukunft gibt.
Veröffentlicht:Washington. Als US-Präsident Barack Obama am 23. März 2010 den Affordable Care Act (ACA), später Obamacare genannt, unterzeichnet, steht direkt neben ihm ein Mann, der sich wohl nicht hätte träumen lassen, dass er zehn Jahre später selbst zum Präsidenten der USA gewählt werden wird.
Joe Biden, damals Vizepräsident, hat maßgeblich an diesem gesundheitspolitischen Reformpaket mitgearbeitet. Noch ist er nicht im Amt, aber er lässt keinen Zweifel: Obamacare soll das Fundament seiner künftigen Gesundheitspolitik sein, er will das Gesetz weiterentwickeln, modernisieren und auf eine neue Grundlage stellen.
Zur Erinnerung: Die meisten US-Amerikaner mit Krankenversicherung sind über ihren Arbeitgeber versichert. Obamacare ist für Menschen gedacht, die nicht über die Arbeit versichert sind, nicht alt genug sind für Medicare, die staatliche Versicherung für Senioren, und nicht „arm genug“ für Medicaid, die Versicherung für die Ärmsten.
Nichts geht ohne den Senat
Biden will Obamacare um eine „Public Option“ erweitern. Sie soll dafür sorgen, dass alle US-Bürger Zugang zu staatlichen Gesundheitsprogrammen haben – auch die knapp zwölf Millionen nicht registrierten Einwanderer. Künftig sollen den Plänen Bidens zufolge die Menschen im Land noch maximal 8,5 Prozent ihres Haushaltseinkommens bezahlen müssen, aktuell liegt der Deckel bei 9,86 Prozent. Klar ist aber auch: Vieles hängt von Mehrheitsverhältnissen im Senat ab, ob Bidens ehrgeizige Pläne realisiert werden können.
Präsident Donald Trumps Botschaften, wie es nach der Wahl weitergehen soll mit der Gesundheitsversorgung, waren wenig überzeugend. In seinem „America First Health Care Plan“ prophezeite er, wie kaum anders zu erwarten, eine glorreiche Zukunft. „Ich garantiere euch den höchsten Standard weltweit“, sagte er und versprach günstige Krankenversicherungen, Preistransparenz und weniger Bürokratie. Wie genau er diese Ziele erreichen wollte, erläuterte Trump allerdings nicht.
Der abgewählte Präsident hatte zusammen mit Parteifreunden in seiner Amtszeit mit allen erdenklichen Mitteln versucht, Obamacare für immer aufs Abstellgleis der Geschichte zu stellen. Das funktionierte aber nicht.
Die Republikaner waren sich im Streit um das Programm nie einig, auch deshalb, weil der Kern von Obamacare in großen Teilen der Bevölkerung durchaus populär ist: Das Gesetz sorgt dafür, dass Millionen von Menschen eine Krankenversicherung bekamen, die vorher nicht versorgt waren.
Diskussionen seit Jahren
In der jahrelangen Diskussion hatten dabei Vorerkrankungen, „preexisting conditions“, immer eine besondere Bedeutung. Obamacare basiert auf einem Grundprinzip: Menschen, bei denen Krankheiten wie etwa Asthma, Diabetes oder Krebs schon vor dem Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses diagnostiziert werden, dürfen nicht benachteiligt werden. Niemand muss höhere Beiträge zahlen, weil er Vorerkrankungen hat.
Einer Studie der Stiftung Kaiser Permanente von 2019 zufolge sind 27Prozent der US-Bürger im Alter von 18 bis 64 Jahren von solchen Erkrankungen betroffen. Berechnungen des Centers for American Progress zufolge müssten Menschen mit metastasiertem Krebs für ihre Krankenversicherung pro Jahr 140.000 Euro mehr im Vergleich zu gesunden Bürgern zahlen. Selbst Patienten mit unkompliziertem Diabetes müssten im Vergleich 5500 Dollar mehr auf den Tisch legen.
Entscheidung im Sommer 2021
Es gehört zur besonderen Dramaturgie des politischen Wandels in Washington, dass ausgerechnet am Wahltag 2020 der Supreme Court, oberster Gerichtshof der USA, mit einer Anhörung über die Zukunft von Obamacare startete.
Wird ACA am Ende gekippt, könnte das fatale Folgen haben. Millionen Bürger mit Vorerkrankungen könnten ihren Versicherungsschutz verlieren – dazu würden auch Menschen mit einer Corona-Erkrankung gehören. Die Entscheidung des Supreme Court wird für Sommer 2021 erwartet.
Dass es die Republikaner überhaupt geschafft haben, den Obersten Gerichtshof einzuschalten, war alles andere als einfach. Kern von Obamacare ist das „individual mandate“, nach dem jeder US-Bürger verpflichtet ist, eine Krankenversicherung abzuschließen, wenn er nicht anderweitig, insbesondere durch seinen Arbeitgeber, abgesichert ist.
Kann er keine Versicherung nachweisen, muss er eine Strafsteuer zahlen – so war es zumindest bis zum Jahr 2017. Damals reduzierte der Kongress mit Republikaner-Mehrheit diese Strafsteuer im Zuge einer von Trump initiierten Steuerreform auf Null – und damit war die die Versicherungspflicht ausgehebelt.
Verstoß gegen die Verfassung?
Genau an diesem Punkt setzten Richter aus republikanisch dominierten Bundesstaaten unter Federführung von Texas an. Sie gingen einen Schritt weiter: Da es die Strafsteuer nicht mehr gibt, werde Obamacare jedes gesetzliche Fundament entzogen, argumentieren sie. Das Gesetz verstoße deshalb gegen die Verfassung. Jetzt entscheidet darüber der Supreme Court.
Sollte Obamacare tatsächlich gekippt werden, dann besteht sofort Handlungsbedarf: Wird der Kongress danach genügend Zeit haben, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das verhindert, dass Millionen Menschen ihren Versicherungsschutz verlieren? Wird der Supreme Court nur partielle Veränderungen fordern – und das Gesetz bleibt weitgehend intakt? Oder werden die Richter womöglich eine Entscheidung fällen, die Obamacare bestätigt?
Viele Fragen, viele Herausforderungen für Joe Biden, der keinen Zweifel lässt: Eine bessere Gesundheitsversorgung für alle US-Bürger wird zentrales Thema seiner Politik sein. „Obamacare ist eine historische Errungenschaft“, sagt er, „ich werde alles tun, um das Gesetz zu erhalten und auszubauen.“