Dryden und Potthoff: "Honorarangleichung war ein Raub an NRW"
Die Kassenärztlichen Vereinigungen in Nordrhein-Westfalen sind durch die Honorarreform ans Ende der bundesweiten Honorarskala gerutscht. Dabei darf es nicht bleiben, fordern die Vorsitzenden der KV Nordrhein Dr. Peter Potthoff und der KV Westfalen-Lippe Dr. Wolfgang-Axel Dryden im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Es ist ungewöhnlich, dass die Vorsitzenden zweier Kassenärztlichen Vereinigungen ein gemeinsames Interview geben. Steht in Nordrhein-Westfalen etwa eine KV-Fusion an?
Dr. Peter Potthoff
Geboren: 1947 in Leverkusen, verheiratet, ein Kind.
Aktuelle Position: seit Januar 2011 an der Spitze der KV Nordrhein.
Karriere: Der 63-jährige niedergelassene Gynäkologe aus Bad Honnef ist Bankkaufmann und hat das erste juristische Staatsexamen absolviert. Medizin studierte er in Bonn und Singapur. Potthoff wurde 1988 Mitglied der KVNo-Vertreterversammlung. Von 2000 bis 2004 war er Vize-Chef der KVNo. Im vergangenen Jahr bildete er mit Bernhard Brautmeier den gleichberechtigten Vorstand.
Dr. Peter Potthoff: Nein. Es geht uns nicht um eine Fusion, sondern darum, die Effizienz zu erhöhen. Es bietet sich an, bei übergreifenden Themen zusammenzuarbeiten. Unsere beiden Häuser wollen eine gemeinsame Abrechnung entwickeln. Und beim Notfalldienst haben wir den einheitlichen Ansatz schon verwirklicht.
Dr. Wolfgang-Axel Dryden: Es gibt bereits eine Menge operativer Themenfelder, bei denen wir uns abstimmen. Dazu gehören die Qualitätssicherung, die Genehmigungsverfahren und die Ausbildung. Die sektorübergreifende Qualitätssicherung planen wir derzeit gemeinsam mit den Ärztekammern und den Krankenkassen. In Arzneimittelfragen stimmen sich unsere Geschäftsbereiche Verordnungsmanagement ab.
Ärzte Zeitung: Ist Ihr gemeinsamer Auftritt auch ein Ausdruck dafür, dass Sie aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit bei Honorarfragen verstärkt an einem Strang ziehen wollen?
Potthoff: Ja, es kommt uns darauf an, gemeinsam wahrgenommen zu werden. Wir wollen es nicht länger akzeptieren, dass wir zwar fast 25 Prozent der deutschen Bevölkerung stellen, fast 25 Prozent der Ärzte und fast 25 Prozent von allem bezahlen, und dafür praktisch nicht wahrgenommen werden auf der Bundesebene. Das ist unerträglich und muss geändert werden. Unsere Größe ist aber auch ein Problem für uns. Wenn man uns auf den bundesweiten Honorardurchschnitt anhebt, dann kostet das viel mehr Geld als in einer kleinen KV.
Ärzte Zeitung: Wo sollen Ihrer Meinung nach die Mittel herkommen, die notwendig sind, um Nordrhein und Westfalen-Lippe bei der Vergütung auf den Bundesdurchschnitt zu heben?
Dr. Wolfgang-Axel Dryden
Geboren: 1949 in Münster, verheiratet, drei Kinder.
Aktuelle Position: seit Januar 2011 Vorstandsvorsitzender der KV Westfalen-Lippe.
Werdegang: Dryden hat in Münster Medizin studiert und promovierte 1976. Er übernahm die väterliche Praxis und ist seit 1980 niedergelassen. Der 61-jährige Allgemeinmediziner engagiert sich seit 1981 berufspolitisch und sitzt seit 2001 durchgängig im KVWL-Vorstand. In den Jahren 2005 bis 2010 war er Vize-Chef. Von 1995 bis 2004 stand Dryden dem Hausärzteverband Westfalen-Lippe vor.
Dryden: Das Geld muss der bezahlen, der die Versicherungsleistung anbietet, also die Krankenkassen. Das ist auch gerechtfertigt. Unsere regionalen Krankenkassen bekommen die regionale Morbidität aus dem Fonds bezahlt. Die morbiditätsbezogenen Geldflüsse hören aber auf der Ebene der Krankenkassen auf. Das muss sich ändern.
Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie das denn erreichen?
Potthoff: Wir brauchen eine Vorgabe, die es uns als KVen erlaubt, auf den bundesweiten Durchschnitt zu kommen. Es ist ein Witz zu behaupten, wir könnten das mit den Krankenkassen frei aushandeln. Wir können keine Steigerungen von 15 Prozent verhandeln. Wenn wir jetzt nicht in die Lage versetzt werden, dahin zu kommen, wo andere schon sind, dann bleiben wir auf ewig benachteiligt.
Dryden: Die Politik muss die Weichen dafür stellen, dass wir Anspruch auf eine Honorarangleichung haben. Wenn das im Gesetz steht, orientiert sich gegebenenfalls auch das Schiedsamt daran.
Ärzte Zeitung: Glauben Sie denn nicht, dass die Politik wegen des damit verbundenen Finanzbedarfs vor einem solchen Schritt zurückschreckt?
Potthoff: Wir wissen, dass es teuer ist, die jetzige Situation in NRW zu verändern. Aber wir können die dauerhafte Festschreibung auf den Status quo nicht akzeptieren. Das wäre so, als säßen Sie beim Monopoly-Spiel in der Badstraße fest, kämen da nicht heraus und hätten auch keine Chance, in Richtung Schlossallee zu kommen. Das haben wir nicht verdient.
Ärzte Zeitung: Sind Sie mit der Politik im Gespräch über die Probleme?
Potthoff: Wir agieren sehr intensiv auf der politischen Ebene. Man hat den Eindruck, alle Welt interessiert sich für die ambulante Versorgung in Bayern. Wir müssen dafür sorgen, dass man sich fragt: Was passiert in Nordrhein-Westfalen? Hier sind noch mehr Ärzte als in Bayern. Wenn sie unzufrieden sind, müsste das noch erschreckender sein. Wir weisen die Politiker darauf hin, dass es sehr fatal wäre und unabsehbare Folgen hätte, NRW honorartechnisch in dem Zustand zu lassen, in dem es jetzt ist. Wir sind froh über den Rückhalt von Landes-Gesundheitsministerin Barbara Steffens. Wir haben vor, mit der Ministerin in dieser Frage laut und wahrnehmbar weiterzuarbeiten.
Ärzte Zeitung: Sehen Sie es als Vorteil, dass Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr aus NRW kommt?
Dryden: Eher nicht. Bundesgesundheitsminister Bahr könnte sich dem Vorwurf der regionalen Klientelpolitik ausgesetzt sehen. Auch hier gibt es wieder eine unterschiedliche Wahrnehmung. Wenn der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder Klientelpolitik für sein Land macht, ist es das Selbstverständlichste der Welt, bei Minister Bahr ist es ein Problem.
KVen in NRW sind Reformverlierer
Ärzte in NRW haben bei der Honorarreform schlecht abgeschnitten. In Westfalen-Lippe zahlen die Kassen 2011 eine morbiditätsbedingte Gesamtvergütung je Versichertem von 321 Euro.
Westfalen-Lippe nimmt damit bundesweit den letzten Platz ein. Nordrhein liegt mit 330 Euro auf dem drittletzten Platz.
Der Bundesschnitt liegt bei 348 Euro, in der KV Berlin zahlen Kassen mit 386 Euro die höchste Vergütung. Da die Morbidität der Versicherten in NRW nicht unterdurchschnittlich ist, sind solche Vergütungsunterschiede nach Ansicht der beiden KVen sachlich nicht gerechtfertigt.
Ärzte Zeitung: Dass die beiden NRW-KVen bei der jüngsten Honorarreform so schlecht abgeschnitten haben, haben sie nicht der Politik oder den Krankenkassen zu verdanken. Ist es nicht so, dass die Mehrheit der anderen KVen Sie im Regen stehen gelassen hat?
Potthoff: Wir sind als Verlierer aus dem innerärztlichen Diskussions- und Abstimmungsprozess herausgegangen, das kann man nicht beschönigen. Das muss sich künftig ändern. Wir sind nicht mehr bereit, uns so abbügeln zu lassen, wie das bisher der Fall war.
Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie das ändern?
Potthoff: Das Problem ist, dass im Arbeitskreis der KVen jede KV eine Stimme hat. Das darf nicht so bleiben. Wenn dort weiter abgestimmt wird oder ein Stimmungsbild erstellt wird, dann sollte das künftig gewichtet geschehen. Es muss dabei nicht unbedingt um eine Vollgewichtung gehen.
Aber bei einer Mehrheit der KV-Stimmen muss geprüft werden, ob dahinter eine Mehrheit der Ärzte und eine Mehrheit der Bevölkerung stehen. Entsprechende Änderungen müssen über den Satzungsausschuss auch für die KBV-Vertreterversammlung kommen.
Ärzte Zeitung: Wie sehen Sie die geplante Re-Regionalisierung der Honorarpolitik?
Dryden: Wenn man die Regionalisierung will, muss am Start erst einmal die entsprechende Angleichung erfolgen. Das ist für uns ein zwingendes Erfordernis. Man darf uns nicht in dem Zustand belassen, dass die Preise zwar vereinheitlicht wurden - wozu wir mit hohen Punktwerten wesentlich beigetragen haben - die Leistungsmengen aber nicht.
Die Anpassung der Mengen war geplant, ist aber nicht gekommen. Statt dessen kamen die HVV-Quoten für den Westen und den Osten. Dadurch sind wir weit zurückgefallen. Dort hat der Raub an NRW stattgefunden.
Das Interview führten Ilse Schlingensiepen und Wolfgang van den Bergh.