Bescheidenes Zeugnis fürs deutsche Gesundheitssystem
EU kritisiert fehlenden Primärarzt
Fehlende Lotsen im System, wenig Anreize für eine Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Kliniken: Ein aktueller EU-Bericht sieht Optimierungsbedarf bei der Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Veröffentlicht:Berlin/Brüssel. Ein neuer Bericht der EU-Kommission stellt dem deutschen Gesundheitssystem ein bescheidenes Zeugnis aus. So seien etwa bei der „integrierten Versorgung“ der Patienten nur geringe Fortschritte zu verzeichnen, heißt es im sogenannten länderspezifischen Gesundheitsprofil für Deutschland, das Teil eines Begleitreports zum „State of Health in the EU“ ist.
EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis stellt den der „Ärzte Zeitung“ vorliegenden Report an diesem Donnerstag in Brüssel vor.
Brüche in der Versorgung
Das Erbringen ärztlicher Leistungen sei in Deutschland bislang „stark fragmentiert“ und „unzureichend koordiniert“, listet der von der EU-Kommission in Kooperation mit der OECD und dem European Observatory on Health Systems and Policies erstellte Länderbericht einige der Mängel auf. Nach wie vor fehle ein „Gatekeeping-System“, mit dem Patienten auf die passende Versorgungsebene gesteuert würden. Dadurch komme es zu „Brüchen“ in der Versorgung durch Haus- und Fachärzte. Da es bislang kein elektronisches Patientenaktensystem gebe, gingen Informationen, die für eine abgestimmte Behandlung nötig seien, „oft“ verloren.
Unterschiedliche Organisations- und Finanzierungsvorschriften führten überdies zu einer „starken Trennung“ zwischen der Versorgung in Krankenhäusern und der in Arztpraxen. Anreize für eine stärkere Zusammenarbeit fehlten weitestgehend.
1,5 Kilometer und weniger entfernt liegt für das Gros der Bundesbürger der nächstgelegene Hausarzt, heißt es im EU-Länderprofil Deutschland. Ausnahmen stellten ländliche Gebiete dar, wo es „erhebliche“ Entfernungen zum Hausarzt gebe.
Mit ihrem Befund legen die Autoren ihre Finger in eine offene Wunde, die auch von deutschen Ärzten aktuell beklagt wird. So hatte zuletzt etwa die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ein hausärztliches Primärarztsystem gefordert. Bei diesem solle der Zugang zur nächst höheren Versorgungsebene stets über den Hausarzt erfolgen. Auf diese Weise lasse sich eine „unkoordinierte Inanspruchnahme des Systems“ verhindern sowie eine Über- und Unterversorgung der Patienten mit medizinischen Leistungen eindämmen, so die DEGAM.
Der EU-Bericht zeigt, dass für das Gros der Bundesbürger ein Hausarzt als Lotse bereitstehen könnte. So liege für die Mehrheit der Bevölkerung die nächstgelegene Hausarztpraxis weniger als 1,5 Kilometer entfernt. Freilich: In ländlichen Gebieten könne es einen Ärztemangel geben, „der zu längeren Anfahrtswegen für die Patienten führen kann“.
Optimierungsbedarf macht der EU-Bericht auch im Bereich des ambulanten Operierens aus. Eine „Möglichkeit zur Effizienzsteigerung“ der Patientenversorgung in Deutschland bestehe darin, „die übermäßige Inanspruchnahme teurer stationärer Behandlungen zu reduzieren sowie die ambulante Versorgung und Operationen in Tageskliniken auszubauen.
Mehr ambulant operieren
Überhaupt falle der Rückgang der Zahl der Klinikbetten in Deutschland seit dem Jahr 2000 „bescheiden“ aus, stellen die Autoren fest. Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus sei in Deutschland zuletzt zwar schneller zurückgegangen. Mit neun Tagen liege sie aber immer noch über dem EU-Schnitt von acht Tagen.
Die Bundesregierung dürfte sich durch die EU-Empfehlung nach mehr Möglichkeiten des ambulanten Operierens in ihrer Politik bestätigt sehen. So wollen Union und SPD mit dem kürzlich verabschiedeten MDK-Gesetz den Katalog ambulant zu erbringender Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen weiter fassen. Ein von der Selbstverwaltung zu lieferndes Gutachten soll dazu konkrete Vorschläge unterbreiten.