HB-Chef Reinhardt warnt im Interview

"Einstieg in den Obrigkeitsstaat"

Die Eckpunkte für eine verschärfte Aufsicht über die Selbstverwaltung treffen beim Hartmannbund-Vorsitzenden Dr. Klaus Reinhardt auf harsche Kritik. Es sei falsch, auf die Verfehlungen in der KBV mit einem "verkappten Staatskommissar" zu reagieren.

Veröffentlicht:

Dr. Klaus Reinhardt

'Einstieg in den Obrigkeitsstaat'

© sbra

Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist seit 1993 in Bielefeld niedergelassen.

Seit 2011 ist er Bundesvorsitzender des Hartmannbundes.

Seit 2005 gehört Reinhardt dem Vorstand der Ärztekammer Westfalen-Lippe an.

2015 wurde Reinhardt in den Vorstand der Bundesärztekammer gewählt. Seit diesem Jahr sitzt er dem Ausschuss „Gebührenordnung“ vor.

Das Interview führte Anno Fricke

Ärzte Zeitung: Wie schätzen Sie die Eckpunkte einer gesetzlichen Verschärfung der Aufsicht über die Selbstverwaltung ein?

Dr. Klaus Reinhardt: Da entsteht ein Selbstverwaltungs-Entmachtungsgesetz.

Ist das eine Überreaktion der großen Koalition?

Ich finde, das ist nicht ganz unverschuldet, wenn es nun so kommen sollte. Die KBV hat es über mindestens zwei Jahre nicht hinbekommen, Gesundheitsminister Hermann Gröhe das Gefühl zu geben, dass die Probleme der Vergangenheit gelöst werden und dass die Körperschaft in geordnete und verlässliche Bahnen einschwenkt. Die ärztliche Selbstverwaltung ist ein wertvolles Gut. Aber man ist sehr nachlässig damit umgegangen. Das betrifft nicht nur die Verfehlungen in der Vergangenheit, es betrifft auch die Verfehlungen bei ihrer Aufarbeitung. Für die angekündigten Zwangsmaßnahmen tragen viele in der KBV und ihrer Vertreterversammlung Verantwortung. Das ist der Politik nicht einfach so eingefallen.

Für wen sprechen denn jetzt Sie?

Ich spreche für den Hartmannbund mit 70.000 Mitgliedern. Ein freier Verband, historisch ein Vorläufer der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Das Eckpunktepapier will die Kontrollrechte der Mitglieder der Selbstverwaltung stärken…

Dass künftig die Abwahl von Funktionsträgern mit einfacher Mehrheit möglich sein soll, hat vielleicht seine Berechtigung. Das ist im Deutschen Bundestag auch so. Das ist eine demokratische Gepflogenheit. Vielleicht ist da die Satzung zumindest der KBV nicht angemessen.

Dass künftig der Haushalt der KBV im Ministerium beschlossen werden soll, beschneidet die Autonomie der KBV dagegen deutlich. Ob das die Selbstverwaltung an sich in Frage stellt, da mache ich ein Fragezeichen dahinter. Vielleicht ist das noch nicht so dramatisch. Aber es ist ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung, und es ist denkbar, dass damit eine Entwicklung eingeleitet wird, die Autonomie der Körperschaften weiter erodieren zu lassen.

Was ist unter einem unabhängigen Revisionssystem in der KBV zu verstehen, das dem Bundesgesundheitsministerium zu berichten hat?

Das ist sozusagen der verkappte Staatskommissar, der sich dauerhaft im Hause aufhält. Ich interpretiere das als staatliche Innenrevision, im Grundsatz eine Art Controlling-Instrument, das nicht der Weisung der Spitzen der Körperschaft unterliegt. Das ist starker Tobak und zeugt von dem ausgesprochen tiefen Misstrauen jedenfalls gegenüber der Körperschaft KBV.

Das Eckpunktepapier sieht vor, die Klagemöglichkeiten gegen ministerielle Entscheidungen zu kassieren. Darf eine Körperschaft das akzeptieren?

Das ist der Einstieg in den Obrigkeitsstaat, wenn die Selbstverwaltung sich nicht mehr gerichtlich mit der staatlichen Instanz auseinandersetzen darf. Ich würde an Stelle der KBV das geplante Gesetz genau an dieser Stelle verfassungsrechtlich beklagen. Und zwar dringend!

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Vertreterversammlung haben sich über Jahre hinweg zerlegt. Darf man sich über die Härte des geplanten Gesetzes überhaupt wundern?

Bei allem Verständnis für die Politik, die lange zugesehen hat, wie sich die KBV zerstritten hat: Aber das geht zu weit. Man muss befürchten, dass künftig Selbstverwaltung jedweder Art, auch die Kammern, von staatlichen Zwangsmaßnahmen betroffen sein werden.

Ausgelöst hat die Reaktion aber das unkluge und undiplomatische Verhalten der KBV. Deshalb kann man denen, die jetzt dort handeln, nur dringend raten, Sachlichkeit, Sachverstand, Diplomatie und Rechtsgeschick walten zu lassen.

Aber Sie haben recht. Die Auseinandersetzungen in der KBV sind mannigfaltig. Die bewegen sich auf der Ebene des Vorstands, der es nicht schafft, gemeinsam konzentriert strategisch aufzutreten. Weder in Fragen des Ordnens noch in Fragen der strategischen Grundausrichtung dieser Körperschaft. Das Gleiche gilt für die Vertreterversammlung, in der so viel Dissens herrscht, dass man zu gar keinen klaren Entscheidungen kommen kann. Es sei denn, der Minister droht mit staatlicher Zwangsverwaltung.

Fordern Sie personelle Konsequenzen?

Ich fordere keine personellen Konsequenzen in der KBV. Jedenfalls nicht dann, wenn die aktuelle Führungsriege es schaffen sollte, den Ansprüchen an Sachlichkeit, Sachverstand, Diplomatie und Rechtsgeschick gerecht zu werden.

Ich glaube nicht daran, dass Probleme alleine durch personelle Konsequenzen gelöst werden können. Zunächst muss eine Ortung des eigenen Selbstverständnisses erfolgen - und ein innerer Klärungsprozess. Wenn der nicht gelingt, dann bleibt in der Tat nur noch das Auswechseln des Personals.

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Kommentare
Dr. Wolfgang Bensch 10.06.201621:24 Uhr

Wo verortet sich der Hartmannboss selbst?

Da gab es eine vielsagende Äusserung auf dem ordentlichen Deutschen Ärztetag in Hamburg vor kurzem, die sich an Andersdenkende richtete - Tenor: geht doch ins Ausland, wenn es euch hier nicht passt!
Zwar entschuldigte er sich flugs am nächsten Tag ... aber seine Denkweise hatte er schonungslos offenbart und die dürfte sich wohl nicht so schnell ändern.

Dr. Henning Fischer 10.06.201616:01 Uhr

Hartmannbund? Was war das noch mal?


" ...Ich fordere keine personellen Konsequenzen in der KBV. Jedenfalls nicht dann, wenn die aktuelle Führungsriege es schaffen sollte, den Ansprüchen an Sachlichkeit, Sachverstand, Diplomatie und Rechtsgeschick gerecht zu werden... "

Aha, wir warten auf Wunder und Heilsbringer.

Habe ich in den letzten 30 Jahren keine gesehen. Und schon garnicht in der KBV.

Dr. Thomas Georg Schätzler 10.06.201613:01 Uhr

"Social Freezing" beim Hartmannbund (HB)-Vorsitzenden?

Dass "Eckpunkte für eine verschärfte Aufsicht" über die ärztlichen Selbstverwaltungs-Gremien dem Hartmannbund-Vorsitzenden Dr. Klaus Reinhardt erst jetzt aufgefallen sein sollten, kann man nur mit "social freezing" und eingeschränkter bio-psycho-sozialer Wahrnehmung erklären.

Denn welchen Illusionen muss damit jemand unterliegen, der immerhin
- seit 2011 Bundesvorsitzender des Hartmannbundes (HB) ist?
- seit 2005 dem Vorstand der Ärztekammer Westfalen-Lippe angehört?
- seit 2015 in den Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) gewählt wurde?
- seit 2016 dem Ausschuss „Gebührenordnung“ der BÄK vorsteht?

Aber was will man als einfacher Vertragsarzt auch erwarten? Selbst die hoffentlich ärztlich-medizinisch und sozialpolitisch kompetenten Delegierten des 119. Deutschen Ärztetages in Hamburg haben völlig verschlafen, unserem medizinbildungs- und versorgungsfernen Bundesgesundheitsminister (BGM) Hermann Gröhe (CDU) öffentlich Kontra zu geben. Der sagte ebenso taktisch geschickt wie ''scheinheilig'': „Mein klares Bekenntnis zur Selbstverwaltung erfolgt in der Überzeugung, dass sie weit besser dafür geeignet ist, patientennahe Entscheidungen auf medizinischer Ebene zu treffen, als ein rein privatwirtschaftliches, ein von Krankenkassen oder von der Politik geführtes System“ - „Ich möchte keine Kassen- oder Staatsmedizin, sondern eine starke Selbstverwaltung“ (Zitat Ende).

Was haben wir denn in der Realität der ambulanten/stationären privaten- und vertragsärztlichen Humanmedizin in Deutschland? Alles ist hier bis ins Kleinste von gesetzlichen und staatlichen Vorgaben oder öffentlichen Kontrollinstanzen bzw. den Krankenkassen über den behördlich ernannten Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das 5. Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgegeben, geregelt, kodifiziert, sanktioniert und durch Sonder-Berufs-Paragrafen 299a und 299b StGB (Antikorruption als ''Lex Ärzte'') pönalisiert.

Ärztekammern wie Kassenärztliche Vereinigungen müssen sich als Körperschaften Öffentlichen Rechts ebenso folgsam wie blind ohne Ermessensspielraum ausschließlich an geltendes Recht und Gesetz halten.

Allein wir Vertragsärzte/-innen sollen uns zu allem Überfluss auch noch als einzige strikt am SGB V, § 12, Absatz (1): "Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen" orientieren.

Alle anderen Beteiligten in Politik, Medien, Öffentlichkeit, Gesundheits- und Krankenversorgung einschließlich unsere Patientinnen und Patienten scheinen dabei spezielle Ausnahmeregeln zu genießen. Was ist daran denn nicht ausschließlich gegen Ärztinnen und Ärzte gerichtete, rationierende, zuteilende "Kassen- oder Staatsmedizin"?

Der "verkappte Staatskommissar", der "Einstieg in den Obrigkeitsstaat" und die "verschärfte Aufsicht über die Selbstverwaltung", die der HB mit seinem Vorsitzenden als neueste Neuigkeit herausposaunen möchte, sind in Wirklichkeit schon seit Jahrzehnten im deutschen System der Gesundheits- und Krankenversorgung integriert, durch- und umgesetzt.

Jetzt müsste der Hartmannbund nur noch aus seiner medizin-, versorgungs- und sozialpolitischen Tiefkühltruhe heraustreten!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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