Eingriffe in die Keimbahn
Darum lehnt der Ethikrat Genom-Eingriffe nicht kategorisch ab
Die Glaubenssätze in der Fortpflanzungsmedizin geraten ins Rutschen. Der Ethikrat bringt einen neuen Ton in die Debatte.
Veröffentlicht:BERLIN. Änderungen am Genom von Zellen in Keimbahnen sind nicht zulässig: Dieser in Deutschland geltende Konsens gerät ins Wanken. Auslöser ist die am Donnerstag vorgestellte Stellungnahme des Deutschen Ethikrates „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“. Darin betonen die Ratsmitglieder mehrheitlich, dass es aus ethischer Sicht keine kategorische Unantastbarkeit des menschlichen Genoms gebe.
Diese Feststellung müsse „sensibel“ betrachtet werden, sagte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der Übergabe der Stellungnahme durch den Ratsvorsitzenden Professor Peter Dabrock. „Wir müssen uns aber der Frage stellen, welche Chancen verhindern wir, wenn wir angesichts innovativer Werkzeuge am aktuellen Verbot festhalten“, sagte Karliczek.
Die Innovationsgeschwindigkeit an dieser Stelle ist enorm. Als der Rat 2015 mit den Vorarbeiten zu der Stellungnahme begonnen habe, seien die aktuellen Möglichkeiten des Umgangs mit der „Gen-Schere“ noch „wilde Spekulation“ gewesen, sagte Dabrock.
Nicht zuletzt deshalb fordert der Rat die Bundesregierung auf, auf ein weltweites Moratorium der klinischen Anwendung der Technologie hinzuwirken. Eingriffe, wie der des chinesischen Forschers He Jiankui seien ethisch in höchstem Maße unverantwortlich. Jiankui hatte Ende November vergangenen Jahres auf Youtube eine erfolgreiche In-vitro-Manipulation am Genom zweier Mädchen behauptet, die nun trotz vorbelasteter Eltern vor einer Infektion mit HIV gefeit seien.
Ein Moratorium könne zum Aufbau einer internationalen Institution genutzt werden, die Standards für Keimbahneingriffe erarbeiten und überwachen sollte, so der Rat. Zudem müssten die Gentherapien Sicherheit und Wirksamkeit nachweisen müssen.
Der Ethikrat sei sich während der 15 Monate Arbeit in vielen Punkten nicht einig gewesen, sagte die Leiterin der Arbeitsgruppe Professor Alena Buyx. Dennoch sei es gelungen, hier eine gemeinsame Position zu erarbeiten.
Zu den strittigen Punkten zählt dagegen die Forschung zur Genom-Editierung. Derzeit handele es sich dabei um ein Instrument der Fortpflanzungsmedizin, sagte Professor Andreas Lob-Hüdepohl. Eltern mit Erbkrankheiten wünschten sich Kinder ohne Beeinträchtigung. Dieses Ziel lasse sich aber auch „aufwands- und risikoärmer“ erreichen.
Zudem werde an dieser Stelle ein weiteres Tabu berührt – die ethische Legitimität verbrauchender Embryonenforschung, die vermutlich nicht zu umgehen sein werde, sagte Lob-Hüdepohl.
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