Expertin warnt Ärzte vor Beschneidungen

Es ist ein Urteil mit großer Wirkung: Das Landgericht Köln sieht in der Beschneidung aus religiösen Gründen eine Straftat - trotz Einwilligung der Eltern. Jetzt stehen Ärzte bundesweit in einer rechtlichen Grauzone.

Von Anja Krüger Veröffentlicht:
Beschneidung eines muslimischen Jungen - künftig strafbar?

Beschneidung eines muslimischen Jungen - künftig strafbar?

© Messara/dpa

KÖLN. In einem viel beachteten Urteil hat das Landgericht Köln die Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven als Straftat eingeschätzt. Der im konkreten Fall angeklagte Arzt wurde trotzdem freigesprochen.

Nach der Entscheidung des Landgerichts Köln raten Medizinrechtler Ärzten davon ab, aus religiösen Gründen Zirkumzisionen von Jungen vorzunehmen. Denn durch die Entscheidung des Gerichts ist eine rechtliche Grauzone entstanden.

Der Anlass: Das Landgericht Köln hatte die Beschneidung eines Jungen als Körperverletzung gewertet, weil sie nicht medizinisch indiziert war.

Nach Auffassung der Richter ist das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung höher zu gewichten als das Recht der Eltern auf Religionsfreiheit.

Den angeklagten Arzt hatten die Richter trotzdem freigesprochen, weil für ihn der sogenannte Verbotsirrtum galt – er konnte nicht davon ausgehen, dass er sich strafbar macht.

"Nach dem Urteil des Landgerichts Köln kann sich darauf aber kein Arzt mehr berufen", sagte die Hamburger Fachanwältin für Medizinrecht Dr. Tanja Becker-Wiedenmann.

"Wollen Ärzte rechtlich auf der sicheren Seite sein, sollten sie keine Beschneidung von Jungen vornehmen, die nicht medizinisch gerechtfertigt ist."

Ärzten droht der Staatsanwalt

Vieles spricht dafür, dass das Kölner Urteil rechtskräftig wird. Denn der frei gesprochene Arzt hat kein Interesse an einer Berufung. Deshalb werden wohl erst weitere Verfahren und Urteile Medizinern Rechtssicherheit bringen.

Bis dahin müssen sie damit rechnen, von Staatsanwaltschaften verfolgt zu werden, wenn sie Beschneidungen vornehmen.

Betrachten Richter die Zirkumzision als Körperverletzung, droht Ärzten eine Geld- oder Freiheitsstrafe. "Dass sie die Approbation verlieren, ist eher unwahrscheinlich", sagte Becker-Wiedenmann.

Allerdings müssen Ärzte auch mit zivilrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn bei dem Eingriff etwas schief geht.

Eltern könnten sich auf den Standpunkt stellen, dass ihre Einverständniserklärung nicht rechtswirksam gewesen sei und Forderungen stellen. Die Haftpflichtversicherer der Ärzte können in solchen Fällen die Leistung verweigern.

Medizinisch gerechtfertigt ist die Zirkumzision bei einer Phimose. Im Judentum und im Islam ist die Beschneidung von Jungen im Säuglings- oder im Vorschulalter ein identitätsstiftendes Ritual.

Im Islam ist die Zirkumzision im Vorschulalter vorgesehen. In der Regel werden die Jungen von einem Facharzt beschnitten.

Muslime und Juden fordern Rechtssicherheit

Die Religionsgemeinschaften fürchten, dass Ärzte jetzt aus Angst vor Strafverfolgung Zirkumzisionen nur noch vornehmen, wenn sie medizinisch begründet sind.

"Der Gesetzgeber muss für Rechtssicherheit sorgen, es geht um die Gesundheit der Kinder", sagte Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland. Eltern wollten, dass ihre Kinder von Ärzten beschnitten werden.

In jüdischen Gemeinden wird die Beschneidung in der Regel kurz nach der Geburt vorgenommen.

"Diese Rechtsprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Dieter Graumann. "In jedem Land der Welt wird dieses religiöse Recht respektiert."

Nach Angaben der Synagogengemeinde Köln führen den Eingriff in der Regel speziell geschulte Fachleute durch, die Mohel.

Oft wird das Ehrenamt innerhalb einer Familie weitergegeben. Die jüdischen Religionsgesetze sehen vor, dass Jungen am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden.

Sprechen gesundheitliche Gründe dagegen, etwa eine Neugeborenengelbsucht, wird der Eingriff um einige Wochen verschoben. Er erfolgt im Elternhaus oder in Räumen der Gemeinde, die aus diesem Anlass die Geburt feiert.

Viele Gemeinden wie die Kölner haben keinen eigenen Mohel, sondern fordern ihn bei Bedarf bei an. Bei älteren Jungen erfolgt die Zirkumzision meist in der Klinik.

Zirkumzision hat nicht nur religiösen Hintergrund

Mit Befremden auf das Urteil reagierte auch der Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen, Professor Hans-Peter Bruch.

"Es führt zu Unfrieden und einem Auseinanderdriften der Gesellschaft", sagte er. "Mit dem Urteil wird die Tradition nicht aus der Welt geschafft."

Bruch weist darauf hin, dass die Zirkumzision von Jungen nicht nur einen religiösen Hintergrund habe.

"Sie hat durchaus auch einen medizinischen Sinn, weil sie zum Beispiel Infektionen vorbeugt", sagte der Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.

Nicht nur in arabischen, auch in westlichen Gesellschaften sei die Zirkumzision verbreitet. In den USA etwa seien sehr viele Männer aus hygienischen Gründen beschnitten.

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Kommentare
Dr. Hartmut Richter 28.06.201214:51 Uhr

Beschneidung

Die Gesetzeslage dürfte eindeutig sein, wie auch ein Kommentar im Ärzteblatt vor einigen Jahren dargelegt hat. Danach dürfen Eltern nur Eingriffen zustimmen, wenn sie medizinisch indiziert sind.
Es spricht nichts dagegen, wenn das Kind diesem Eingriff zustimmt, wenn es mündig ist.
Ich sehe keinerlei Behinderung der Religionsausübung.
Da kein Eigriff ohne Risiko ist, sehe ich die Angelegenheit kritisch insbesondere, wenn wie auf dem Bild oben, der Eingriff ohne sterile Kleidung und ohne Mundschutz vorgenommen wird.

Dr. Markus Junker 28.06.201208:33 Uhr

Beschneidung

Die Beschneidung von Jungen ist wohl etwas total anderes als die Beschneidung von Mädchen. Die ist in der Tat ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, wird sie doch unter hygienisch haarsträubenden Bedingungen durchgeführt. Das machen wohl oft weibliche Verwandte mit einer Rasierklinge. Ausserdem wird bei Mädchen noch mehr weggeschnitten als nur ein Hautlappen. Und genau darum sollten m.E. sich die Gerichte einmal kümmern, ist die Dunkelziffer dieser Unsitte doch wohl auch in Deutschland Tatsache.

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