Von wegen Trickle-Down-Effekt

Fehlender sozialer Kit macht krank

Die Wirtschaft brummt, Beschäftigung und Wohlstand wachsen, aber am unteren Ende der Gesellschaft kommt das nicht an, beklagt der Paritätische Gesamtverband – denn der fehlende Zusammenhalt macht morbide.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Fehlender Zusammenhalt macht auf Dauer krank, wenn Individuen beispielsweise vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.

Fehlender Zusammenhalt macht auf Dauer krank, wenn Individuen beispielsweise vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.

© fotomek / stock.adobe.com

BERLIN. Trotz eines nun seit acht Jahren andauernden Wirtschaftsaufschwungs sorgen sich fast 90 Prozent der Deutschen um den sozialen Zusammenhalt, und zwar unabhängig von der eigenen Einkommenssituation. Als das wichtigste politische Ziel nennen 79 Prozent die Vermeidung von Altersarmut, dicht gefolgt von gleichen Bildungschancen (76 Prozent).

Erst auf Platz 15 folgt die Begrenzung der Zuwanderung als politische Aufgabe (36 Prozent). Diese aktuellen Daten zum sozialen Zustand in Deutschland, basierend auf einer Emnid-Umfrage, hat am Donnerstag der Paritätische Gesamtverband in seinem Jahresgutachten vorgelegt.

Dazu die wichtigsten Fakten:

  • Die Zahl der Erwerbstätigen hat seit 2011 um 2,7 auf 44,3 Millionen zugenommen, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sogar um fast vier auf nahezu 31,7 Millionen.
  • Von dieser positiven Entwicklung haben Arbeitslose aber nur in geringem Umfang profitiert: Deren Zahl sank zwischen 2011 und 2017 lediglich um 550.000 auf 2,69 Millionen.
  • Ein besonders hartnäckiges Problem ist dabei die Langzeitarbeitslosigkeit, die erstmals seit 25 Jahren 2016 auf unter eine Million Betroffene zurückging. Der Anteil dieser Gruppe unter den Arbeitslosen liegt bei 35,5 Prozent. Aufgrund der restriktiven Definition der Langzeitarbeitslosigkeit dürfte deren tatsächliche Zahl höher liegen: Denn arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, zum Beispiel kurzzeitige Ein-Euro-Jobs, oder Krankheit von mehr als sechs Wochen unterbrechen die Arbeitslosigkeit, obwohl sich an deren Kontinuität grundsätzlich nichts geändert hat.

Arbeitslosigkeit = Morbidität

Überdurchschnittlich häufig verbunden mit längerer Arbeitslosigkeit sind steigende Morbidität und Mortalität, so Professor Rolf Rosenbrock, der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes. Nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit verdoppele sich die Sterberate dieser Menschen.

Eine große Gruppe bilden Menschen mit chronischen Krankheiten, psychischen Störungen und Suchtabhängigkeiten. Rosenbrock: "Für viele dieser Menschen gibt es keine Chance, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen."

Die Initiative von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, einen zweiten sozialen Arbeitsmarkt zu organisieren, sei deshalb zu begrüßen. Eine Ausgrenzung dieser Gruppe hätte "fatale Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt".

Doppelter Mangel

In der Gesetzgebung der vergangenen Jahre existiere ein doppeltes Defizit: fehlende Maßnahmen, die darauf gerichtet seien, besonders von Einkommensarmut betroffene und gefährdete Menschen zu unterstützen und mangelnder politischer Wille, bestehende Ungleichheit durch eine stärkere Besteuerung leistungsfähiger Gruppen zu beseitigen.

Der Gesamtverband fordert eine soziales Reform- und Investitionsprogramm mit folgenden Elementen:

  • Anhebung der Mindestlöhne auf über zwölf Euro, um ein über der Grundsicherung liegendes Erwerbs- und Alterseinkommen zu sichern.
  • Auf- und Ausbau der sozialen und gesundheitlichen Versorgung in der Fläche, insbesondere im ländlichen Raum.
  • Dringende Verbesserung der Infrastruktur für Kinder und Jugendliche vor allem bei Bildung und Betreuung.
  • Investitionsoffensive der Kommunen zum Aufbau einer "Kümmerer-Struktur".
  • Armutsfeste Altersversorgung durch Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Kosten des Gesamtprogramms beziffert Rosenbrock auf rund 55 Milliarden Euro.

Lesen Sie dazu auch: Sozialausgaben: Deutschland gibt fast eine Billion für Soziales aus

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