Gastbeitrag
GKV drückt sich geschickt vor Entschädigung der PIP-Opfer
Frauen, die durch eine Schönheits-OP beschädigte PIP-Brustimplantate tragen, sind Opfer in doppelter Hinsicht: Sie haben ein Gesundheitsrisiko und bleiben meist auf den Kosten sitzen. Das wird mithilfe der Schuldfrage gerechtfertigt.
Veröffentlicht:Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetische und Plastische Chirurgie empfiehlt Frauen, die ungeeignete Brustimplantate der Firma PIP erhalten haben, ohne Panik mittelfristig eine Entfernung. Die meisten betroffenen Frauen stehen aber vor einem zusätzlichen Problem: Wer bezahlt die Korrektur?
Wie bei dem International Master Course of Aging Skin jüngst in Paris deutlich wurde, spielt Deutschland - neben Großbritannien - eine peinliche Rolle:
Es ist das einzige Land, in dem den betroffenen Patientinnen von den gesetzlichen Kassen die Entfernung der PIP-Produkte nicht im vollen Umfang erstattet wird.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Verband der Privaten Krankenversicherung reagiert anders und drückt sich nicht vor der Verantwortung.
Allen privaten Versicherungen wird empfohlen, die Kosten einer Explantation der schadhaften Prothesen zu übernehmen.
Verbrecher steht potenziell besser da als eine brustoperierte Silikonträgerin
Die einzige Instanz, die sich noch duckt, ist das Bundesgesundheitsministerium, das sich nicht gegen den GKV-Spitzenverband positionieren will.
Den Anlass für die gesetzlichen Kassen, ein anderes Verhalten zu rechtfertigen, liefert der Paragraf 52 SGB V: Bei einem Verbrecher kann, bei einer ästhetisch operierten Patientin muss die Krankenkasse den Versicherten angemessen beteiligen.
Übersetzt: Ein Verbrecher steht also potenziell besser da als eine brustoperierte Silikonträgerin!
Dieses Gesetz verdanken wir zwei per se vernünftigen Initiativen zu Zeiten von Ministerin Ulla Schmidt: einer 2004 ins Leben gerufenen "Koalition gegen den Schönheitswahn" und einem Antrag des Deutschen Bundestages von 2007, Missbräuche im Bereich von Schönheitsoperationen zu verhindern.
Prothesenentfernung als finanzielle Belastung
§ 52 SGB V Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden
"(1) Haben sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen, kann die Krankenkasse sie an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit versagen und zurückfordern.
(2) Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern."
Man wollte es gut machen, aber der Paragraf 52 Absatz 2 zeigt, dass über das Ziel hinausgeschossen wurde.
Darum passt es ganz und gar nicht, dass Professor Lauterbach, der seinerzeit das Gesetz mitverantwortete, sich jetzt plötzlich zum Anwalt der Betroffenen macht.
Ich selbst hatte Gelegenheit mit einem Vertreter des GKV-Spitzenverbandes zu sprechen. Dort wird die apodiktische Meinung vertreten, der Solidargemeinschaft die finanzielle Belastung von Hunderten von Prothesenentfernungen nicht zumuten zu können.
Vor dem Hintergrund von Milliardengewinnen der gesetzlichen Kassen klingt das zynisch.
Das ist empörend. Bei jeder Patientin, so die Aussage, werde eine nachträgliche Einzelfallentscheidung gefällt; empfohlen werde eine Erstattung von 50 Prozent. Bei sozial Schwachen versuche man, sich großzügiger zu verhalten, weniger Arme können ganz auf den Kosten sitzen bleiben.
Dass es sich hierbei nicht um Folgen ästhetischer Eingriffe, sondern um Folgen krimineller Machenschaften handelt, interessiert die Verantwortlichen wenig. Die Solidargemeinschaft sei deshalb nicht weniger belastet.
Schuldprinzip als Argument zur Zahlungsverweigerung
Von dieser peinlichen Argumentation hat sich nach meiner Kenntnis die AOK Hamburg/Rheinland schon distanziert und die Übernahme der Kosten der Prothesen-Entfernung angekündigt. Es bleibt zu hoffen, dass andere Kassen ähnlich reagieren werden.
Denn es ist nicht vermessen, einen elementaren Baustein unseres Krankenversicherungswesens einzufordern: Gesundheitsschutz zu gewähren.
Wenn nicht wird eine rechtliche Klärung herbeizuführen sein, deren peinlichen Ausgang ich für die Kassen vorherzusagen wage.
Unsere Berufsverbände sehen mit großer Skepsis den zunehmenden Ansatz der Krankenkassen, dem "Selbstverschulden" eine zunehmende Bedeutung beizumessen.
Das Schuldprinzip wird bei ästhetisch-plastisch behandelten Patienten erstmals als Argument zur Zahlungsverweigerung verwendet:
Wie lange dauert es noch, bis die Krankenkostenerstattung von Verletzungen nach einem selbst verschuldeten Unfall, oder, absurd weiter gesponnen, die Folgekosten von Risikoschwangerschaften, die nicht abgebrochen werden, verweigert werden?
Begründung: "Selbst schuld".
Dr. med. Joachim Graf von Finckenstein leitet die Abteilung für plastische und Wiederherstellungschirurgie am Klinikum Starnberg.