Moralisch untragbar oder akzeptabel?
Geld gegen Organ
Die Manipulationen an Wartelisten für Transplantationen haben viel Vertrauen bei potenziellen Organspendern zerstört. Die Zahl der Spenden ging zurück. Sollte es Patienten erlaubt werden, sich Organe zu kaufen?
Veröffentlicht:HANNOVER. Soll man seine Organe verkaufen dürfen oder nicht? Darf die Lebendorganspende belohnt werden? Mit Geld? Oder mit einer Vorzugsbehandlung, sollte der Spender selbst einmal ein Organ benötigen?
Solche und ähnliche Fragen hat der Journalist Willi Germund jüngst aufgeworfen. Er hat sich für 30.000 Euro die Niere eines 28-jährigen Afrikaners gekauft und über die Suche, den Kauf und schließlich die Transplantation des Organs in Mexiko ein Buch geschrieben.
Germund wollte nicht jahrelang auf einer Organempfängerliste stehen, mit ungewissem Ausgang. Schon vor Jahren sind bei ihm Zystennieren festgestellt worden - die Dialyse: nur eine Frage der Zeit.
Schließlich musste Germund bereits ein halbes Jahr zur Dialyse, bis er das gekaufte Organ erhielt.
Festgelegter Betrag für Spender denkbar
Professor Gundolf Gubernatis, Transplantationsmediziner aus Wilhelmshaven, und Professor Hartmut Kliemt, Philosoph und Ökonom, Vizepräsident der Frankfurt School of Finance and Management Bankakademie, finden solche Verkaufsentscheidungen nachvollziehbar, die Kaufentscheidung sowieso. Ihre Thesen verdienen Beachtung.
Zwar lehnen auch sie einen freien unreglementierten Markt für Organe ab, aber eine zentrale und reglementierte Verteilung von Nieren, für die die Spender einen festgelegten Betrag erhalten haben, um mehr Organe verpflanzen zu können, finden sie denkbar. "Dazu bräuchte man aber klare Regeln", so Kliemt.
So sollte ein Spender zum Beispiel nur dann verkaufen dürfen, wenn er in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Der Betrag könnte zudem in Raten ausgezahlt werden.
Weiterhin müsste die Verteilung nach Bedürftigkeit gehen. Auch "die unentgeltliche Hergabe" sei nicht immer wohlüberlegt, während die entgeltliche Hergabe nicht immer unüberlegt sein müsse, so Kliemt.
Auch die Splitleberspende eines Gesunden an einen Krebspatienten, die ihm vielleicht zwei Jahren Lebenszeit bringt, wird zugelassen mit dem Argument, der Spender habe autonom entschieden, so Kliemt.
Warum gilt das nicht für eine Verkaufsentscheidung?, fragt der Ökonom. "Derzeit haben alle etwas von der Organspende, nur der Spender nicht", sagt Gubernatis.
Marktmechanismus hätte fatale Folgen
Giovanni Maio, Professor am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Uni Freiburg und Mitglied des Deutschen Ethikrats, sieht das ganz anders: "Die Organknappheit wird sich nicht über Marktmechanismen lösen lassen."
Die Belohnung von Lebend- oder Leichen-Organspenden würden der Sphäre des Marktes Tor und Tür öffnen. "Es hätte fatale Auswirkungen, wenn eine altruistische Spende unmöglich gemacht würde: Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transplantationsmedizin würde noch weiter untergraben, ebenso die intrinsische Motivation der Spender."
In der Tat macht der Spender einen Teil seines Körpers zur Ware.
Ähnlich argumentiert Professor Eberhard Schockenhoff, von der theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Moraltheologe, und Mitglied des Deutschen Ethikrates.
"Wer sich ein Organ kauft, erwirbt einen Vorteil auf Kosten anderer, die weniger Geld haben. Das ist ungerecht und deshalb verboten", sagt Schockenhoff.
In der Tat dürften sich nur die Wohlhabenden dieser Welt so wie Willi Germund eine Niere leisten können. Zweitens seien Organe als Körperteile "kein Objekt, sondern Teil der Person, damit soll man nicht handeln."
Auch wenn ein Chirurg operiert, nimmt er zwar ein Objektverhältnis zum Körper ein, meint der Ethiker, "aber nur zeitweise und als Zuwendung zum kranken Menschen".
Schließlich betont Schockenhoff die Zwangslage, in der sich die Spender befinden. "Potenzielle Käufer nutzen sie aus."
Eine unbequeme Debatte, die alle scheuen
Nachdem Germund sein Buch heraus gebracht hat, kritisierten die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, die Bundesärztekammer und Mitglieder des deutschen Ethikrates die Entscheidung Germunds.
Sie berufen sich auf das WHO-Verbot von Organhandel. Aber das war es. Das Thema scheint von der Agenda verschwunden.
Gubernatis und Kliemts Thesen muss man nicht teilen. Aber sie haben eine Debatte verdient. Vermutlich wäre es aber eine unbequeme Debatte, in der man beantworten müsste, wie altruistisch, autonom und freiwillig heute Organe tatsächlich gespendet werden.
Auch käme sicher zur Sprache, dass viele Fragen im Zusammenhang mit Organspenden unklar sind und unklar bleiben werden.
Angefangen bei der Frage ob der Hirntod der Tod des Menschen ist oder ob und was der Spender von der Organentnahme mitbekommt, ob die Hirntodfeststellung überall im Land gleich qualifiziert vorgenommen wird, bis hin zu jener Frage, ob man die Organspende belohnen darf oder nicht und wer eigentlich genau die Richtlinien festlegen darf, nach denen Organspenden verteilt werden. Die Bundesärztekammer als nicht eingetragener Verein oder doch eher der Gesetzgeber?
"Die Medizin macht bei der Organspende viel Werbung aber viel zu wenig Aufklärung", sagt Giovanni Maio. Da hat er recht.
Auch wenn man in der notwendigen Debatte keine Lösungen finden wird, sondern immer nur neue Übergangslösungen, wäre es fatal, wenn man diese Debatte nicht endlich intensiver führen würde.