Folgen der Flut
Gesundheitsnotstand in der Region Valencia
Nach der Flutkatastrophe ist in Teilen der Region Valencia die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen. In vielen Ortschaften müssen Menschen in Feldlazaretten versorgt werden.
Veröffentlicht:Valencia. Die verheerenden Unwetter in der spanischen Mittelmeerregion Valencia führen derzeit zu chaotischen Zuständen in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Dutzende Gesundheitszentren und Apotheken wurden von den starken Regenfällen und den Schlammfluten zerstört, die vergangene Woche über 70 Ortschaften in der Region dem Erdboden gleichmachten.
Der spanische Notfall- und Rettungsdienst Samur musste in besonders schwer betroffenen Dörfern und Kleinstädten improvisierte Feldlazarette errichten, da die Patienten nicht in andere Städte mit funktionieren Gesundheitszentren oder Krankenhäusern gebracht werden können.
Dicke Schicht aus Schlamm und Bäumen
Auch das Rote Kreuz und die militärische Katastropheneinheit UME haben in Kirchen und öffentlichen Gebäuden mobile Gesundheitszentren eingerichtet. Denn in den Straßen türmen sich auch eine Woche nach der Naturkatastrophe weiterhin Hunderte von Autos und Hausrat meterhoch übereinander. Die Ortschaften sind mit einer dicken Schicht aus Schlamm und Bäumen überzogen.
In Paiporta, dem Epizentrum der Katastrophe, haben die Ärzte und Sanitäter des Samur alle Hände voll zu tun in dem Feldlazarett neben der örtlichen Tankstelle. Prellungen, Knochenbrüche, Schnittwunden - Hunderte von Menschen wurden bei den Unwettern verletzt. Ein Arzt behandelt gerade einen Polizisten, der sich bei den Bergungsarbeiten von Verletzten und Toten eine Schnittwunde an der Hand zuzog.
Daneben bandagiert eine Krankenschwester das Bein einer Frau, die in den hüfthohen Sturzfluten von einem dicken Ast getroffen wurde. Feuerwehrleute bringen drei ältere Menschen ins Zelt, die sie nach vier Tagen in einem abgelegenen Bauernhof gefunden haben.
Menschen mit chronischen Erkrankungen müssen versorgt werden
Direkt neben dem Feldlazarett versorgen Apotheker und Krankenschwestern Menschen mit chronischen Erkrankungen mit lebenswichtigen Medikamenten. Viele Personen kommen mit starken Erkältungssymptomen, da sie ohne Strom und Gas keine Heizungen anmachen konnten.
Mütter suchen verzweifelt nach Milch und Babynahrung für ihre Kleinkinder. Doch das sei nicht das größte Problem, meint Juan Ramón Adsurara: „Es gibt Menschen, die mit Leichen zu Hause sitzen, die nicht abgeholt werden können, weil die Rettungsdienste nicht bis zu ihnen vorstoßen können“, erklärte der Bürgermeister von Alfafar, einer der betroffenen Ortschaften in der südöstlichen Mittelmeerregion Spaniens, in einem Radiointerview.
Am meisten Sorge bereitet den Gesundheitsbehörden allerdings das stehende und schmutzige Wasser, das mancherorts mit fäkalienhaltigen Abwässern und mit toten Tieren vermischt ist. Das Infektionsrisiko durch stehendes Wasser steigt 72 Stunden nach einer Überschwemmung.
Daher sei es wichtig, dass in den vom Unwetter betroffenen Gebieten „unverzüglich“ vorbeugende Maßnahmen umgesetzt werden, um das mögliche Auftreten von Infektionsausbrüchen zu verhindern, erklärte José María Martín-Moreno, Epidemiologe und Professor für Präventivmedizin und öffentliche Gesundheit an der Universität Valencia laut der spanischen Presseagentur EFE. So müsse beispielsweise dringend der Zugang zu sauberem Trinkwasser garantiert werden.
Infektionsgefahr steigt
Zu den besorgniserregendsten Infektionen, die auftreten können, gehören solche, die mit dem Konsum von kontaminiertem Wasser einhergehen, wie Leptospirose, Hepatitis A oder bakterielle Gastroenteritis, die durch Bakterien wie Escherichia coli, Salmonellen, Shigellen und Campylobacter provoziert werden.
So forderte Marciano Gómez, Gesundheitsminister der valencianischen Regionalregierung, auch alle Personen mit Wunden auf, sofort die nächstgelegene Gesundheitsstelle aufzusuchen, um diese reinigen und desinfizieren zu lassen und sich je nach vorhandenen Impfungen gegebenenfalls gegen Tetanus impfen zu lassen.
Und das sind Hunderte. Rund 20.000 freiwillige Helfer sind aus der Umgebung und der Regionalhauptstadt Valencia ins Überschwemmungsgebiet gekommen, um bei den schwierigen Aufräumarbeiten zu helfen. Autos, Elektrogeräte mit scharfen Kanten und Hausrat müssen teils mit den Händen bewegt und entsorgt werden. Viele ziehen sich dabei Schnittwunden zu.
Frustration der Menschen ist groß
Spaniens Gesundheitsministerin Mónica García bot der Regionalregierung volle Unterstützung und die Entsendung von Ärzten und Sanitätern aus anderen spanischen Regionen an. Bisher lehnte die konservativ regierte Mittelmeerregion im Südosten des Landes anscheinend aus parteipolitischen Gründen die Hilfe der sozialistischen Zentralregierung ab.
Obwohl die spanische Zentralregierung am Wochenende 10.000 weitere Soldaten und Polizisten in die Überschwemmungsgebiete schickte, um die Bergungs- und Aufräumarbeiten zu beschleunigen, werden die kritischen Stimmen über die nur schleppend eintreffende Hilfe seitens der staatlichen Institutionen immer lauter.
Die Frustration der Menschen ist groß. Doch die Regionalregierung sagt, man habe die Situation unter Kontrolle.
Selbst Ärzte ohne Grenzen ist im Einsatz
Das sehen Ärzteverbände anders. Wie schleppend die medizinische Hilfe die Betroffenen erreicht, zeigt alleine die Tatsache, dass selbst „Ärzte ohne Grenzen“ im Überschwemmungsgebiet tätig geworden ist.
„Ärzte ohne Grenzen muss in Spanien normalerweise nicht auf Notfälle reagieren, da das Land über die notwendigen Kapazitäten und Ressourcen verfügt. Aber angesichts des Ausmaßes der Katastrophe und unserer Erfahrung als humanitäre medizinische Organisation hoffen wir, helfen zu können. Wir sind besonders besorgt über die Situation der noch immer isolierten Bevölkerungsgruppen sowie über den Zugang zu Medikamenten und medizinischer Versorgung für die am stärksten gefährdeten und chronisch kranken Menschen“, erklärte Pascale Coissard, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen, im spanischen Staatsfernsehen RTVE.
Über 215 Leichen schon geborgen
Neben körperlichen Leiden machen sich die Gesundheitsbehörden aber auch große Sorgen über die psychologischen Probleme und Traumen, welche die Naturkatastrophe auslösen kann. Mehrere Dutzend Psychologen kümmern sich im Überschwemmungsgebiet freiwillig um hilfsbedürftige Menschen, die alles verloren haben – auch Familienmitglieder.
Bisher wurden 217 Leichen geborgen - und es kommen täglich mehr hinzu. Die Regionalbehörden sind vollkommen überfordert. Immer wieder finden sich Menschen auf dem Messegelände in der Regionalhauptstadt ein. Hier wurde eine 1.300 Quadratmeter große provisorische Leichenhalle eingerichtet, in welche identifizierte wie nicht identifizierte Todesopfer gebracht werden.
Den Anwohnern der betroffenen Krisengebiete ist es bislang nicht möglich, von ihren verstorbenen Angehörigen Abschied zu nehmen. Die Suche nach Verletzten und Vermissten hat absolute Priorität. Unterdessen halten starke Regenfälle weiterhin Spaniens Mittelmeerregion in Atem.