Hebammen: Protest, bis die Fruchtblase platzt

Mehr Geld und eine günstigere Berufshaftpflicht: Dafür sind Hebammen vor dem Bundesgesundheitsministerium aufmarschiert. Bahr fordert die Kassen jetzt zum Handeln auf.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Straßengeburt: Sieht so die Zukunft ohne Hebammen aus? Protest vor dem Gesundheitsministerium in Berlin.

Straßengeburt: Sieht so die Zukunft ohne Hebammen aus? Protest vor dem Gesundheitsministerium in Berlin.

© Sebastian Kahnert / dpa

Berlin. Drastische Szenen vor dem Bundesgesundheitsministerium in der Friedrichstraße am Freitag in Berlin: Bei einer in sozialen Netzwerken organisierten Spontanaktion wurden Kinder in Form von Babypuppen geboren, eine simulierte Sturzgeburt neben der anderen, bei einigen Demonstrantinnen platzte die unechte Fruchtblase. Der Protest war plakativ - doch die freiberuflichen Hebammen wollen nicht länger schweigen.

Anlässlich des Internationalen Hebammentages am 5. Mai wollten sie auf die Vergütungssituation von Freiberuflerinnen aufmerksam machen. Rund 30 Prozent mehr Vergütung fordern sie bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen.

Gleichzeitig protestierten die Frauen gegen explodierende Berufshaftpflichtprämien, die viele Freiberuflerinnen zur Berufsaufgabe zwingen.

Viele Geburtshelferinnen arbeiten freiberuflich - und stecken in der Klemme

Laut dem Deutschen Hebammenverband arbeiten von den 18.000 Geburtshelferinnen rund 60 Prozent freiberuflich. Das Statistische Bundesamt teilte mit, dass die Zahl der in Kliniken angestellten Hebammen in den vergangenen 20 Jahren um 28,2 Prozent gestiegen sei.

2010 gab es insgesamt 10.500 Geburtshelferinnen, 8500 waren davon fest angestellt. Auch nahm die Zahl der teilzeit- oder geringfügig beschäftigten Hebammen von 28,9 Prozent im Jahr 1991 auf 71,7 Prozent im Jahr 2010 zu.

Vor allem Hebammen, die freiberuflich arbeiten und wenige Geburten betreuen, stecken in der Klemme -  die Kosten für die Versorgung am Wochenbett wird aus ihrer Sicht nicht angemessen vergütet. Parallel dazu sind die Prämien für die Berufshaftpflicht 2010 auf rund 3700 Euro im Jahr gestiegen.

Noch hat diese Entwicklung nicht zu einem Versorgungsengpass geführt, schreibt IGES: "Vor dem Hintergrund der im Trend sinkenden Geburtenzahlen spricht der Anstieg sowohl der Zahl der Hebammen als auch ihrer Arbeitszeiten nicht für eine grundsätzliche Verschlechterung der Versorgung".

Außerklinische Leistungen schon eingeschränkt

Allerdings werden Beleggeburten in 1:1-Betreuung und Hausgeburten von knapp einem Fünftel der ausschließlich freiberuflich tätigen Hebammen nicht mehr angeboten. Auch plane ein Viertel der Freiberuflerinnen, keine Leistungen der außerklinischen Geburtshilfe mehr anzubieten.

Viele freiberuflichen Hebammen haben auch ihr Angebot an Vorbereitungs- und Rückbildungskursen abgebaut, wollen dafür aber künftig verstärkt als Familienhebamme arbeiten, wie es das neue Bundeskinderschutzgesetz vorsieht. Laut dem Gesetz, das seit Januar 2012 in Kraft ist, sollendie Familienhebammen sogenannte "Problemfamilien" bis zu einem Jahr nach der Geburt begleiten.

Bahr als Helfer in der Not?

Den protestierenden Hebammen will nun Gesundheitsminister Daniel Bahr zur Hilfe eilen. Von Erfurt aus, wo sich liberale Sozialpolitiker trafen, rief er die Kassen auf, die Sorgen der Hebammen "ernst zu nehmen" und bei den Verhandlungen um ein angemessenes Honorar zu berücksichtigen. Die Kassen reagierten reserviert auf die Forderung des Ministers.

Die Unterstützungsbekundungen des Ministeriums hörten sich vor einigen Wochen noch anders an: In einer parlamentarischen Anfrage der Grünen brachte die Fraktion eine verpflichtende umlagefinanzierte Versicherung analog zur gesetzlichen Unfallversicherung ins Spiel. Die Regierung erklärte dagegen: Eine Haftpflichtversicherung in einem solchen Rechtsrahmen sei "nicht erforderlich" und "nicht geboten".

Die Bundestagsfraktion der Grünen fordert seit langem die Überführung und Aktualisierung der Leistungen der Geburtshilfe aus der inzwischen hundertjährigen Reichsversicherungsordnung in das Sozialgesetzbuch V. "Die Koalition lehnte in den vergangenen Monaten unseren Antrag dazu ab", erklärte Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion.

Die CDU Sozialausschüsse (CDA) haben den Bundesgesundheitsminister aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Übernahme der Haftungsrisiken von Hebammen vorzulegen.

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Kommentare
Dr. Marcel Marquardt 06.05.201218:00 Uhr

Plakativer Protest für eine Minderheit

In einer spektakulären Protestaktion machen Hebammen auf Ihre angeblich problematische Lage in der Versorgung Schwangerer aufmerksam. Bei genauer Sicht muss man sich aber fragen, wer klagt und wer möchte welches Ziel erreichen.

Zunächst ist es der Verband der Hebammen, welcher über die erhebliche Steigerung der Haftpflichtbeiträge klagt (nicht im juristischen Sinne). Was steckt dahinter? Frei berufliche Hebammen, welche Schwangere auch während der Geburt (als s.g. Beleg Hebammen) betreuen, müssen seit geraumer Zeit erhebliche Steigerungen der Haftpflichtbeiträge hinnehmen. Zum einen, weil die Versicherer über erheblich steigende Kosten berichten, zu anderen weil die Hebammen häufiger als früher nicht mehr durch die Kliniken mit versichert werden, sondern selbst für den Versicherungsschutz sorgen müssen und für Risiken unter der Geburt haften.

Beleghebammen machen aber nur einen sehr kleinen Teil der Hebammen aus. Der größere Teil arbeitet, meistens Teilzeit, als Angestellte in einer Klinik und Teilzeit als freiberufliche Hebamme in der Vor- und Nachsorge der Frauen und betreut keine Entbindungen. Das Haftpflichtproblem trifft also nur den kleineren Teil, die anderen Hebammen tangiert dieses nicht so wesentlich.

Als Verband nun für alle Vergütungsanhebungen zu fordern, ist in etwa so seriös, wie für alle Ärzte, auch diejenigen welche keine Entbindungen betreuen, eine Begrenzung der Prämien oder staatliche Übernahme der Prämien zu fordern.

Sehr plakativ auch die Show mit der Entbindung auf der Straße. Deutschland hat immer noch mit das dichteste Krankenhausnetz in Europa. Was ändert daran eine Beleghebamme? Nichts, da auch Sie ein Krankenhaus zur Durchführung Ihrer Leistung benötigt. Was würde sich für eine Schwangere in den sogenannten unterbesetzten ländlichen Gebieten ändern, sollten die Prämien übernommen werden? Auch nichts, da kaum mehr Frauen plötzlich im heimischen Wohnzimmer entbinden werden, dieses wäre die einzige Alternative!

Hintergrund scheint, dass auch die Hebammen merken, dass die Strukturreformen an Ihnen nicht ungeschoren vorbei gehen.
Nicht d''accord bin ich mit meinem Vorkommentator unter anderem darin, dass wir Deutschland mit Norwegen vergleichen sollten... Ich dazu einfach mal die Krankenhausdichte und die logistischen Möglichkeiten in dem Land mit unserem vergleichen.

Dr. Karlheinz Bayer 05.05.201209:00 Uhr

Schulterschluß mit den Hebammen!


"Demographische Entwicklung" - ein Allroundwerkzeug, wenn es darum geht einen Altersheimbedarf für Zweitausend-FÜNFZIG (!) schon heute in klingende Münze umzusetzen.
"Ländlicher Raum" - ein Vehikel um obskure Notfallpraxen in Großstadtnähe als Rettung der Landärzte zu verkaufen.

Dabei gibt es kaum etwas, was wirksamer ist, den ländlichen Raum zu fördern und der demographischen Entwicklung entgegenzuwirken als das, was die Hebammen täglich machen.

In Norwegen fliegen Hebammen per Flugzeug zu den Schwangeren. Das kostet Geld. In Deutschland setzt man das Haftpflichtrisiko so hoch, daß es noch mehr Geld kostet. Man muß sich doch ans Hirn greifen, wenn man tatsächlich das Geburtsrisiko den Hebammen aufs Auge drücken will.
Geburten sind und waren und werden sein ein Ereignis zwischen Leben und Tod. Todesfälle und Zwischenfälle lassen sich nicht wirklich vermeiden, und erst recht nicht durch eine High-Tech-Medizin, in´m Gegenteil.

Als ich vor 30 Jahren Assistenzarzt in einer Mannheimer Geburtsklinik war, lag unsere Kaiserschnittquote bei 3 % - heute sind es 30 %.
Die Säuglingssterblichkeit ist im Kaiserschnittweltmeisterland Deutschland nicht höher als in klassischen Hausgeburtländern wie Norwegen, Finnland, Holland oder selbst im armen Portugal. Warum sollen angesichts dieser Zahlen in diesem Europa die Hebammen 4242 Euro Haftpflichtgebühren zahlen?

Apropos Fliegen.
Das Geld, das in Norwegen für Hausbesuche der Hebammen mit einer Cessna ausgegeben wird, wird hier in Deutschland bald schon für Hubschraubereinsätze von Notärzten ausgegeben, die ganz gewöhnliche Schwangere in die zu weit entfernten Entbindungskliniken transportieren sollen.

Das System frißt uns irgendann auf.

Ich schreibe das deswegen, weil in meinem Landkreis, dem Ortenaukreis, aus angeblichen Kostengründen gleich zwei Entbindungskliniken geschlossen werden sollen. Dem Kreis ist es zu teuer, abseits der städtischen Großkliniken weitere, wohnortnahe Entbindungsstationen zu erhalten.

Wir müssen uns überlegen, was das Geplappere vom ländlichen Raum und der demograpischen Entwicklung soll, wenn wir Hebammen wegmobben. Hebammen für alles außer der Geburten, okay, dann denken wir einen Schritt weiter und fordern auch Landärzte für alles, außer der medizinischen Versorgung, für Chirurgen, die keine Skalpelle mehr in die Hand nehmen und Internisten mit dem Verbot der Nutzung von Medikamenten.

Das hätte zwei Erfolge.

Zum einen bräuchten wir keine Haftpflichtprämien mehr zu zahlen - es sei denn wir bleiben bei dem juristisch ärgerlichen Begriff der unterlassenen Hilfeleistung.
Zum anderen hätten diejenigen endlich wirklich recht, die Deutschland als aussterbendes Volk betrachten.
Wir haben Zeit bis 2050, um darüber nachzudenken.

Dr. Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

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