Hecken will neue DMP - und mehr Tempo
Kaum ein Monat im Amt, krempelt der neue GBA-Vorsitzende die Ärmel hoch. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erklärt Josef Hecken, warum er neue DMP will und den GBA noch schneller machen will.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Hecken, Sie haben eine politische Laufbahn als Landesminister und Staatssekretär hinter sich. Was reizt Sie an der Aufgabe des unparteiischen Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses?
Josef Hecken, G-BA-Vorsitzender
Derzeitige Position: Seit 1. Juli Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Ausbildung: Hecken studierte Rechtswissenschaften in Würzburg und Trier.
Berufliche Stationen: Josef Hecken leitete von 1991 bis 1998 das Büro von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm; von 2004 bis 2008 war er saarländischer Justiz- und Gesundheitsminister; 2008 war Hecken Präsident des Bundesversicherungsamtes während der Einführung des Gesundheitsfonds und des Morbi-RSA; von 2009 bis 2012 Staatssekretär im Bundesfamilienministerium.
Sonstiges: Hecken, 52, ist verheiratet und hat drei Kinder; er ist Mitglied der CDU.
Hecken: Das geht vor allem auch auf die Sozialisation zurück, die ich als Büroleiter von Norbert Blüm erfahren habe. Er hat das Credo der Sozialversicherung und der Selbstverwaltung sehr hoch gehalten. Ich sehe ja die auf uns zukommenden Verteilungs- und Interessenskämpfe.
Hierfür findet man bessere und vernünftigere Lösungen in der Selbstverwaltung und an deren Spitze. Allgemeine Parolen über das Gute in der Welt vom Rednerpult aus helfen da weniger weiter.
Das hat mich gereizt. Im G-BA habe ich die Chance, die Selbstverwaltung mit Leben zu füllen und mitzuprägen, auch durch die - mit Bedacht einzusetzende - entscheidende dreizehnte Stimme.
Ärzte Zeitung: Im G-BA gab es vor wenigen Tagen einige Festlegungen zur Bedarfsplanung. Worauf zielten die ab?
Hecken: Ich habe den Gemeinsamen Bundesausschuss ganz bewusst unter Handlungsdruck gesetzt. Das Plenum ist meinem Vorschlag gefolgt, dass wir den Demografiefaktor mit Wirkung zum 31. Dezember 2012 aussetzen. Das heißt, dass wir bis dahin die Grundzüge einer neuen Bedarfsplanungsrichtlinie haben müssen. Nach hoffnungsfrohem Start ist inzwischen Sand im Getriebe.
Ärzte Zeitung: Ist die Tempovorgabe der neue Stil des Hauses?
Hecken: Wie gesagt: Ich habe bewusst eine Entscheidung im Plenum treffen lassen, die einen Handlungszwang auslöst. Das soll in Zukunft der Stil des Hauses sein: Dass man sich klare Fristen setzt.
Ärzte Zeitung: Die Abschaffung des Demografiefaktors bedeutet, dass an seine Stelle etwas Neues tritt.
Hecken: Selbstverständlich. Die zum Beispiel im Osten und Westen Deutschlands unterschiedlichen demografischen Entwicklungen mit den sich unterschiedlich entwickelnden Krankheitslasten sollen in der neuen Richtlinie besser abgebildet werden als in der alten.
Es stellt sich auch die Frage, welche Rolle soziale Milieus für medizinische Versorgungsbedarfe spielen sollen. Nach meiner persönlichen Überzeugung ist es für die medizinische Versorgung sehr wichtig, auch diese zu betrachten.
Wir müssten dabei allerdings auf diskriminierungsfreie Festlegungen und Formulierungen achten. Vor diesem Hintergrund werden Diskussionen geführt, vor allem bei der hausärztlichen Versorgung möglichst kleinräumige Planungsbezirke auszuweisen. Zieht man die von der KBV genannte Zahl von 4000 heran, kann man sich vorstellen, mit welchen Problemen das verbunden ist.
Die Planung darf nicht dahin führen, dass ein Kassenarztsitz da ist, aber doch kein Arzt kommt. Oder aber es lässt sich ein Arzt nieder, kann aber nicht genügend Scheine abrechnen, um davon zu leben.
Grundlage der Beratungen zur neuen Bedarfsplanungsrichtlinie ist das Konzept der KBV. Sie hat die relevanten Zahlen und Fakten.
Ärzte Zeitung: Wie sollen die Mitversorgungseffekte abgebildet werden, die von städtischen Zentren für das Umland ausgehen?
Hecken: Dass diese Effekte bedeutsam sind, wird von niemandem mehr bestritten. Das Beispiel Berlin zeigt, dass ausgerechnet an den Rändern viele Ärztinnen und Ärzte praktizieren, weil es klassische Pendelbewegungen aus Brandenburg in Richtung Stadt gibt.
Wir können den Patienten ihre gewohnten Pfade in die zentralen Versorgungsregionen nicht versperren. Die Menschen orientieren sich an ihren tradierten Gewohnheiten und nicht an dem, was in der Bedarfsplanungsrichtlinie steht.
Ärzte Zeitung: Wie will man mit dem Phänomen der Überversorgung umgehen?
Hecken: Klar ist, dass in den Landesausschüssen Entscheidungen über Neuzulassungen immer auch mit dem Abbau von Arztsitzen in überversorgten Gebieten einhergehen sollen.
Ärzte Zeitung: Wird es einen aktiven Abbau von Überkapazitäten geben?
Hecken: Es muss diskutiert werden, wie Überversorgung sanktioniert werden kann. Wer eine Zulassung hat, hat damit einen rechtlich geschützten Status. Veränderungen können wir nur dann vornehmen, wenn ein Kassenarztsitz zur Disposition steht.
Auf Knopfdruck lässt sich Überversorgung nicht beseitigen. Wenn der Abbau zu lange dauert, lassen sich Sonderbedarfe auf Zeit ausweisen. Wir werden es mit einem Prozess zu tun haben, der sich über fünf bis zehn oder noch mehr Jahre erstreckt.
Ärzte Zeitung: Wird die Richtlinie zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung bis Jahresende fertig?
Hecken: Nur Teile davon, und auch dies wird einen erheblichen Kraftakt bedeuten. Für die onkologische Versorgung kann es bis Jahresende möglich sein zu definieren, was eine besonders schwere Krankheit mit einer besonders schweren Verlaufsform ist, - so wie es der neue Paragraf 116b formuliert.
Ich halte den ersten Zwischenschritt für wichtig. Wenn wir mit einigen onkologischen Krankheiten beginnen, können wir die Ängste beseitigen, die die Akteure mit dieser Vorschrift verbinden.
Wenn am Ende alle feststellen, dass kein Leistungserbringer dem anderen das Budget streitig macht, dann ist das eine wichtige Erfahrung, die wir brauchen, damit die Vorschrift nicht ins Leere läuft.
Allerdings wird es im nächsten Jahr noch keine flächendeckende ambulante spezialärztliche Versorgung für alle in Frage stehenden Krankheiten geben.
Ärzte Zeitung: In der Onkologie widerstreiten zwei Konzepte: Zentrenbildung mit Bündelung von Kompetenz und die Dezentralität mit Patientennähe, auch räumlich, der niedergelassenen Onkologen. Wie wird das unter den Vorzeichen des neuen 116b vereinbar sein?
Hecken: Das hat der Gesetzgeber bereits klar entschieden. Er hat nicht vorgegeben, dass die ambulante spezialfachärztliche Versorgung in der Onkologie nur an onkologischen Zentren stattfinden soll.
Der Gesetzgeber lässt hier ausdrücklich eine Bündelung von Kompetenzen auch außerhalb der Zentren zu. Das bedeutet aber nicht, dass ein Patient wegen eines Tumors im Krankenhaus behandelt wird, dann zur PET-CT entlassen wird, damit man diese Untersuchung dann außerhalb der DRG abrechnen kann, um danach wieder stationär behandelt zu werden. Das ist nicht der Sinn des 116b. Auch wenn manche das glauben.
Ärzte Zeitung: Niedergelassene Ärzte treibt die Sorge um, dass Kliniken ambulant behandeln lassen, ohne den Facharztstandard sicherzustellen.
Hecken: Darauf werden wir mit absoluter Sicherheit achten. Der Facharztstandard sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor ist für uns unabdingbar und conditio sine qua non.
Ärzte Zeitung: Wird in diesem Zusammenhang das Mindestmengenkonzept wiederbelebt?
Hecken: Eine Mindestmengenregelung für die ambulante spezialfachärztliche Versorgung ist im Moment nicht das vordringliche Thema. Das wäre ja wieder ein Schritt in Richtung Zentrenmedizin.
Ärzte Zeitung: Der G-BA kann neuerdings DMP eigenständig in Richtlinien regeln. Nutzt der Bundesausschuss dies bereits?
Hecken: Ja, und der G-BA wird dieses Thema künftig auch verstärkt angehen. In einem ersten Schritt werden wir uns die ältesten DMP anschauen und verbessern. So haben wir gerade die Aufbewahrungsfristen von sieben auf 15 Jahre verlängert.
Sonst hätten wir die bisher aufgelaufenen Fakten und Erkenntnisse in den Orkus der Geschichte kippen müssen. - und der Dokumentationsaufwand der Ärzte wäre umsonst gewesen.
Ärzte Zeitung: Denken Sie an neue DMP?
Hecken: Wir werden uns die psychosomatischen Krankheitsbilder anschauen. Das ist eine fachlich anspruchsvolle Herausforderung. Aber wir müssen uns dem stellen, weil das Thema in den Medien präsent ist. Jedes Nachrichtenmagazin macht alle vier Wochen dazu einen Aufmacher.
Außerdem denkt der Gesetzgeber im Moment darüber nach, dem Gemeinsamen Bundesausschuss einen Auftrag zu erteilen, die Struktur der Psychotherapie zu analysieren.
Dieser Versorgungsbereich ist von Unwuchten geprägt. Wir haben auf der einen Seite die Psychoanalyse, bei den acht bis zehn Patienten das Maximum dessen sind, was ein Therapeut schaffen kann - auf der anderen Seite Bereiche mit langen Wartezeiten..
Schließlich werden wir versuchen, uns dem Thema Demenz zu nähern: da betreten wir Neuland. Wir stehen vor der Frage: Welche Möglichkeiten gibt es, Demenz früh zu erkennen und mit welchen Mitteln verzögernd auf den Krankheitsverlauf einzuwirken?
Ärzte Zeitung: Die Leitlinien der DMP Diabetes sind rund 20 Jahre alt. Fühlen Sie sich damit noch wohl?
Hecken: Die Standards sind in der Tat veraltet. Weil das so ist, hat der Gesetzgeber - man höre und staune - auf die Flexibilität, Innovationskraft und Schnelligkeit des G-BA gesetzt.
Weil es bei uns vielleicht noch etwas zügiger geht als im Gesundheitsministerium. Es muss dem G-BA deshalb auch gelingen, Schritt für Schritt die neuen Behandlungsstandards abzubilden.
Die Politik ist bereit, uns Verantwortung zu übertragen. Deshalb werden wir uns auch bei den DMP unter Handlungszwänge setzen. Spätestens ab Beginn nächsten Jahres müssen wir handeln.
Anderenfalls wird der Gesetzgeber in zwei Jahren sagen, der G-BA erfülle seine Aufgabe nicht und die Regelungen selbst treffen - oder die DMP werden abgeschafft. Und das wäre meines Erachtens eine Schande. In den DMP stecken noch zu viele Anreize für die Kassen mit Blick auf den Morbi-RSA.
Das aber hilft den Patienten nichts, sondern nur den Kassen und möglicherweise den Ärzten. Aus meiner Sicht muss es viel mehr um die inhaltliche Ausgestaltung der Behandlungsprogramme gehen.
Ärzte Zeitung: Der Gesetzgeber hat ein neues Instrument geschaffen, Innovationen für den stationären Sektor zu überprüfen, aber auch den Zugang niedergelassener Ärzte zu Innovationen zu erleichtern. Wird von diesem neuen Paragrafen 137e im SGB V schon Gebrauch gemacht?
Hecken: Noch nicht. Wir arbeiten an der Ergänzung unserer Geschäfts- und Verfahrensordnung hinsichtlich der Einführung innovativer Behandlungsmethoden und Medizinprodukte.
Die entscheidende offene Frage ist derzeit die der Finanzierung. Es müssen Studien durchgeführt werden, von denen Ärzte, Krankenhäuser und Unternehmen nicht wissen, wie sie ausgehen. Wenn dann keine verwertbaren Ergebnisse vorliegen, kann kleineren Unternehmen Konkurs drohen.
Es wird daher über einen Innovationsfonds diskutiert, aus dem Studien für kleine und mittlere Unternehmen vorfinanziert werden sollen. Gespeist werden könnte dieser von den Kassen, vom Gesundheitsfonds oder aus dem Steuertopf.
Das könnte wie beim Bafög funktionieren. Rechnet sich die Innovation am Ende, bezahlt man zurück. Ist sie ein Flop, hat man die Insolvenz der Beteiligten abgewendet.
Wenn es uns nicht gelingt, die Finanzierung für den mutigen Arzt, der etwas erfunden hat, oder für den kleinen Tüftler, hinzubekommen, lähmen wir die Kreativität.
Ich präferiere den Innovationsfonds und habe im politischen Raum bereits Werbung dafür gemacht. Es geht nicht um Milliarden. Wir sprechen über 50 bis 80 Millionen Euro.
Ärzte Zeitung: Nicht rund läuft es mit der Nutzenbewertung bei Arzneimitteln. Der GKV-Spitzenverband neigt dazu, möglichst eine generische Therapie als Vergleichstherapie vorzugeben. Ist das korrekturbedürftig?
Hecken: Nein. Die zweckmäßige Vergleichstherapie wird ja nicht vom GKV-Spitzenverband diktiert, sondern sie wird im G-BA-Unterausschuss Arzneimittel nach den transparenten Kriterien, die in der Verfahrensordnung festgelegt sind, bestimmt. In den Sitzungen, an denen ich bislang teilnehmen durfte, geschah dies in allen Fällen einvernehmlich.
Das Verfahren hat sich inzwischen gut etabliert. Die Herausforderung ist nun, ein verlässliches, für die Industrie auch planbares Instrument zu finden, um den Bestandsmarkt aufzurufen.
Die Fragen stellten Helmut Laschet und Anno Fricke