Corona-Folgen
Kinderpsychiater: Wie junge Menschen in Therapie unter der Pandemie leiden
Durch die starken Einschränkungen fielen für viele traumatisierte Kinder die letzten Bastionen der Normalität weg – mit fatalen Folgen, warnt das Hamburger Therapiezentrum Ankerland.
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Der ärztliche Leiter des Therapiezentrums Ankerland, Dr. Andreas Krüger, sieht traumatisierte Kinder und Jugendliche während des Lockdowns „im toten Winkel der Gesellschaft“.
© Ankerland, Carl Philipp Schopf
Hamburg. Traumatisierte Kinder und Jugendliche leiden massiv unter dem eingeschränkten therapeutischen Angebot im Lockdown. Das Hamburger Trauma-Therapiezentrum Ankerland hat zwar seit März 2020 auf Videosprechstunde umgestellt, fürchtet aber um die therapeutische Wirkung, wenn dauerhaft nur auf Distanz mit den Betroffenen gesprochen werden kann.
Ankerland-Gründer Dr. Andreas Krüger spricht von einer „unbefriedigenden Notlösung“. Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie beobachtet, dass den Kindern und Jugendlichen der haltgebende persönliche Kontakt einer direkten Behandlung fehlt. „Die Distanz sorgt dafür, dass therapeutische Wirkung verloren geht und nur als Notprogramm im Rahmen der gesetzlichen Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie verstanden werden kann.“
Probleme könnten sich potenzieren
Krüger befürchtet, dass sich damit die Nachteile für Kinder und Jugendliche, die unter sexuellem Missbrauch oder häuslicher Gewalt leiden, potenzieren und zu noch mehr traumatischen Erfahrungen führen werden. Schon in normalen Zeiten werde den Problemen der traumatisierten Kinder und Jugendlichen zu wenig Beachtung geschenkt. Die Lockdown-Maßnahmen wirken nach seiner Beobachtung wie ein Deckmantel für diese Probleme. „Man könnte sagen, dass diese Kinder sich im toten Winkel der Gesellschaft befinden“, sagte der medizinische Leiter im Ankerland Therapiezentrum.
Die Betroffenen leiden nach seinen Angaben unter extremen Schlafstörungen, horrorfilmartigen Erinnerungen an das Erlebte und unter dissoziativen Störungen. „Sie sind vergesslich, plötzlich wie weggetreten, leiden unter Lähmungserscheinungen oder haben starke Schmerzzustände, ohne dass die körpermedizinischen Ärzte eine Ursache finden können“, beschreibt das Zentrum typische Zustände, die sich im Lockdown verschärfen.
„Kraftgebender Austausch fehlt“
Denn: „Die letzte Bastion der Normalität fällt aufgrund steigernder Einschränkungen und begrenzter Therapiemöglichkeiten weg. Der Anker fehlt.“ Zu diesen Ankern zählt das Zentrum neben dem eigenen Angebot Schule und Kindergärten, in denen „kraftgebender Austausch und Beziehungen stattfinden“, aber auch Problemlösungen erarbeitet werden. Mit solchen Faktoren könne dem erlebten Schrecken etwas Positives entgegen gesetzt und neues Vertrauen entwickelt werden.
Anfragen zur Hilfe traumatisierter Kinder und Jugendlicher bekommen Krüger und sein Team aus ganz Deutschland. Die Arbeit des mehrfach ausgezeichneten Vereins Ankerland ist durch die Pandemie allerdings unsicherer geworden. Der Verein ist auf ehrenamtliches Engagement und Drittmittel angewiesen. Finanzielle Unterstützung von öffentlichen Kostenträgern gibt es laut Ankerland nicht. Da in der Pandemie weniger gespendet wird, sei die Fortsetzung der Arbeit derzeit ungewiss.
Über Fördermöglichkeiten informiert der Verein im Internet unter https://ankerland.de/spenden-foerdern/