Gesetzentwurf
Mehr Spielraum bei Selektivverträgen erwünscht
Die Koalition wagt sich an die Integrierte Versorgung: Per Gesetz will sie die Regeln für IV-Verträge lockern. Arztnetze werden von der geplanten Reform ausdrücklich angesprochen.
Veröffentlicht:Berlin. Die Koalition plant, die Instrumente der integrierten Versorgung (IV) zu flexibilisieren. Kassen und Kassenverbände sollen demnach gemeinsam Selektivverträge abschließen oder bestehenden Verträgen beitreten können.
Zudem sollen außer den Kassen auch weitere Sozialversicherungsträger und die kommunale Sozial- und Jugendhilfe beteiligt werden können. Unterschiedliche Kostenträger und Versorgungseinrichtungen sollen sich so in Netzwerken zusammenfinden können, um die medizinische und pflegerische Versorgung in einer Region übergreifend zu organisieren. Die hausarztzentrierte Versorgung (HzV) ist von der geplanten Regelung nicht betroffen.
Die geplanten Änderungen des Paragrafen 140a SGB V und weiterer Paragrafen finden sich in einem noch nicht ressortabgestimmten Änderungsantrag der Fraktionen von Union und SPD zum Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG), der der „Ärzte Zeitung“ vorliegt. Die Regierungskoalition nennt als Grund für die Initiative Reformbedarf in der selektivvertraglichen Versorgung.
Die Bausteine im Überblick
Im Einzelnen sehen die Änderungen vor:
- Kassen sollen Selektivverträge auch gemeinsam abschließen oder bestehenden Verträgen beitreten können. Dies soll kassenartenübergreifend möglich sein.
- Kassen sollen besondere Versorgungsaufträge auch mit nichtärztlichen Leistungserbringern abschließen können. Bisher ist dies nur mit Ärzten in der vertragsärztlichen Versorgung möglich.
- Regionale Versorgungsaufträge werden ausdrücklich in die selektivvertragliche Versorgung aufgenommen. Die Kassen sollen Versorgungsnetze von Ärzten unterstützen und vergüten können, ohne selbst Teil der Projektstrukturen zu sein.
- Kranken- und Pflegeversicherung sollen sich mit weiteren Sozialversicherungen kurzschließen können, um Reha-Projekte oder Projekte mit Sozialhilfeträgern der Länder auflegen zu können.
- Altverträge müssen bis Ende 2021 in 140a-Verträge umgewandelt werden. Nicht betroffen sein sollen davon die strukturierten Behandlungsverträge (DMP).
Öffnung für regionale Versorgungsinnovationen
Mit der Reform des Paragrafen 140a sollen zudem andere Sozialversicherungsträger und die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen in die selektivvertragliche Versorgung geholt werden. Die vom Bundesrat bereits mehrfach angemahnte Öffnung der Selektivverträge für regionale Versorgungsinnovationen soll mit dem Vorstoß möglich werden.
Die Koalitionäre sprechen sich aber ausdrücklich dagegen aus, den Kollektivvertrag weiter aufzubohren. „Nicht ermöglicht werden (…) deshalb landesbezogene beziehungsweise kassenartbezogene Kollektivverträge zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen oder anderen Kollektivvertragspartnern (…)“, heißt es in dem Gesetzesentwurf.
Positives Feedback
Prinzipiell ist das Echo aus der Versorgungsebene positiv: „Neuen Schwung“ für IV-Projekte verspricht sich etwa Dr. Helmut Hildebrandt von den Änderungsanträgen. Dadurch würden „einige Stolpersteine für erfolgversprechende Projekte aus dem Weg geräumt“, die durch das ehemalige Bundesversicherungsamt, heute Bundesamt für Soziale Sicherung, gelegt worden seien, so der Vorstand der Optimedis AG, die bereits viele erfolgreiche IV-Projekte mit Praxisnetzen begleitet hat, etwa das Gesunde Kinzigtal und den Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt.
Zu den Stolpersteinen gehöre zum Beispiel die Einschränkung, dass Projekte nicht auf Regionen beschränkt werden dürfen. Gut sei auch, dass jetzt zum Beispiel in den Kommunen neue Partner hinzugenommen werden könnten, etwa der Öffentliche Gesundheitsdienst.
Es fehlten allerdings Anreize für Kassen, in solche Verträge einzutreten, bemängelt er. „Es ist, als werde eine Tür aufgemacht, aber es fehlt der Anreiz, dann auch durch die Tür zu gehen.“ Bisher seien die Verträge von Kassen vor allem dazu genutzt worden, sich vom Wettbewerb abzusetzen und zusätzliche Versicherte zu gewinnen. Bei kassenartenübergreifenden Verträgen falle diese Motivation weg.
Größere Flexibilität
Für die Vertragspartner der Selektivverträge in Baden-Württemberg begrüßen AOK-Vorstandschef Johannes Bauernfeind, Hausärzteverbands-Chef Dr. Berthold Dietsche und der MEDI-Vorsitzende Dr. Werner Baumgärtner grundsätzlich die Änderungsanträge zu Paragraf 140a SGB V, vor allem wegen der damit einhergehenden Flexibilisierung und Erweiterung der Handlungsoptionen. „Im Sinne des Wettbewerbs um die beste Versorgung ist es wichtig, dass das zum Beispiel in Baden-Württemberg bewährte Vollversorgungssystem als echte Alternative zur Regelversorgung erhalten bleibt“, sagen sie. (Mitarbeit ger/fst)