Blick in die Details

Koalitionspläne: So wollen Union und SPD das Gesundheitswesen reformieren

In den Koalitionsverhandlungen haben sich CDU, CSU und SPD auf wegweisende Reformen im Gesundheitswesen verständigt. Die Ärzte Zeitung fasst die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege zusammen und erläutert, welche Änderungen geplant sind. Diese sind noch nicht das letzte Wort: An diesem Wochenende wollen Spitzenpolitiker der drei Parteien über die Vorschläge beraten, die die 16 verschiedenen Fach-Arbeitsgruppen beider Seiten gemacht haben.

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Union und SPD wollen das Gesundheitswesen umkrempeln. Den gemeinsamen Weg wollen CDU-Vorsitzender Friedrich Merz (v.l.), SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil, CSU-Vorsitzender Markus Söder und SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken gehen.

Union und SPD haben sich zum Ziel gesteckt, das Gesundheitswesen umzukrempeln. Den gemeinsamen Weg wollen CDU-Vorsitzender Friedrich Merz (v.l.), SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil, CSU-Vorsitzender Markus Söder und SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken gehen.

© Michael Kappeler/dpa

Union und SPD kommen einem gemeinsamen Koalitionsvertrag offenbar immer näher. Eine Einigung gibt es in einigen Bereichen, auch in der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege gibt es Konsens. Das zwölfseitige Papier liegt der Ärzte Zeitung vor.

Nachfolgend haben wir zusammengefasst, wie die designierte Koalition die Gesundheitsversorgung reformieren will. Änderungen sind aber noch möglich, am Wochenende beraten die Spitzenpolitiker von CDU, CSU und SPD zu den Vorschlägen.

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Ambulante Versorgung

In Deutschland soll es künftig ein verbindliches Primärarztsystem geben. Auch streben Union und SPD die Entbudgetierung der Fachärzte in unterversorgten Gebieten an.

„Zu einer besseren und zielgerichteten Versorgung der Patientinnen und Patienten und für eine schnellere Terminvergabe führen wir ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag ein. Ausnahmen gelten bei der Augenheilkunde und der Gynäkologie“, heißt es im Ergebnispapier der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen, das der Ärzte Zeitung vorliegt.

Für Kranke mit einer „spezifischen schweren chronischen Erkrankung“ werde man „geeignete Lösungen“ erarbeiten.

Zudem heißt es in dem Papier, dass Primärärzte oder die von Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) betriebene Plattform 116 117 den medizinischen notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin feststellten und dafür den „notwendigen Zeitkorridor (Termingarantie)“ festlegen sollen: „Wir verpflichten die KV, diese Termine zu vermitteln.“

Wenn dies nicht gelinge, werde man den Facharztzugang für diese Kranken in einem Krankenhaus möglich machen. Auch wollen die schwarz-roten Verhandler flächendeckend die Möglichkeit einer strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege in Verbindung mit Telemedizin schaffen. Zur Übersicht.


Honorare

Mit Blick auf die Honorare haben die Verhandler von CDU/CSU und SPD folgende Aussagen vereinbart: „Wir verändern das Honorarsystem im ärztlichen Bereich mit dem Ziel, die Anzahl nicht bedarfsgerechter Arztkontakte zu reduzieren (Jahrespauschalen). Durch Flexibilisierung des Quartalsbezugs ermöglichen wir neuen Patientinnen und Patienten einen besseren Zugang und die Vergütung von Praxis-Patienten-Kontakten“.

In laut Bedarfsplanung unterversorgten Gebieten sollen die Honorarbudgets für Fachärzte entfallen. Außerdem gibt es in (drohend) unterversorgten Gebieten Zuschläge zum, in überversorgten Gebieten (>120%) Abschläge vom Honorar. Zur Übersicht.


Bereitschaftsdienst/Notfallreform

Schon in den ersten 100 Tagen nach Bildung der neuen Koalition wollen Union und SPD eine gesetzliche Regelung schaffen, die die Sozialversicherungsfreiheit von Ärzten im Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung möglich macht.

Auch werde man „Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf Grundlage der bisherigen Entwürfe“ auf den Weg bringen. Zur Übersicht.


Sektorenübergreifende Versorgung / Hybrid-DRG

Zum Thema sektorübergreifende Versorgung und Hybrid-DRG steht nur ein Satz im Papier der AG Gesundheit, aber dieser birgt ein klares Bekenntnis: „Wir stärken die sektorenübergreifende Versorgung, im Zuge dessen entwickeln wir die Hybrid-DRG weiter und ermöglichen sie umfassend.“

Was die zukünftigen Koalitionäre darunter verstehen, bleibt in diesem Papier offen. Aber zu erwarten ist, dass zumindest die Anzahl der Hybrid-DRG deutlich gesteigert wird. In der vergangenen Legislaturperiode war die Ambulantisierung der Operationen über Hybrid-DRG nur sehr zögerlich angepackt worden. Zur Übersicht.


Gesundheitsberufe

Als die Corona-Pandemie begann, da äußerte sich die Wertschätzung von Pflegern teilweise im Beifallspenden auf dem Balkon. Seither hat sich einiges getan, die Gehälter sind stark gestiegen, Pflegepersonaluntergrenzen sollen die Arbeitsbedingungen in der Pflege im Krankenhaus besser gestalten helfen, und die Wertschätzung der Heil- und Pflegeberufe ist generell gestiegen.

Diesen Weg will die Koalition in spe weitergehen: „Wir erhöhen die Wertschätzung und Attraktivität der Gesundheitsberufe“, heißt es im Papier der AG Gesundheit. Dazu gehöre eine „geeignete Personalbemessung im Krankenhaus und in der Pflege“ und ebenso ein „kompetenzorientierter Fachpersonaleinsatz und eine eigenständige Heilkundeausübung“. Auch die Selbstverwaltung in der Pflege soll gestärkt werden, unter anderem mit einem festen Sitz und Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss. Auch das Thema Leiharbeit will Schwarz-Rot angehen und die Unterschiede in der Entlohnung reduzieren.

Medizinstudierende können sich auf eine Vergütung im Praktischen Jahr freuen, die Union und SPD generell einführen wollen. Zurzeit vergüten nur einzelne Klinikanbieter bereits ihre PJ’ler, in Zukunft soll eine Vergütung eingeführt werden, die mindestens dem BAföG-Satz entspricht.

Für ausländische Ärztinnen und Ärzte soll in Zukunft die Kenntnisprüfung unter anderem mit einer stärkeren sprachlichen Komponente verbessert werden. Und es soll einen vorrangigen Zugang für die Anerkennung der Ausbildung ausländischer Ärzte geben. Zur Übersicht.


Bürokratie

Minister Lauterbach ist an dem Thema in der vergangenen Legislatur noch kläglich gescheitert, er hat an der einen oder anderen Stelle sogar noch mehr als eine Schippe draufgelegt. Die Rede ist von Bürokratie im Gesundheitswesen.

Wie so manche Koalition vor ihr will auch Schwarz-Rot der Belastung durch Bürokratie nun an den Kragen. „Wir verringern Dokumentationspflichten und Kontrolldichten durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen innerhalb der ersten 6 Monate massiv, etablieren eine Vertrauenskultur, stärken die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Professionen, statt sie mit Bürokratie aus Gesetzgebung und Selbstverwaltung zu lähmen“, formuliert die AG Gesundheit forsch.

„Praxis-Check“ für Gesetze

Gesetze in diesem Bereich sollen immer einem „Praxis-Check“ unterzogen werden, Datenschutzvorschriften sowie Berichts- und Dokumentationspflichten sollen auf ihre Notwendigkeit überprüft werden. In der Dokumentation der Behandlung und der Pflege wollen die Koalitionäre eine KI-Unterstützung ermöglichen und das Berichtswesen generell vereinfachen und digitalisieren.

Die ebenfalls unter Lauterbach geplante Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Regressprüfung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte soll nun endlich kommen – und auch für andere Leistungserbringer eingeführt werden. Die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln soll zudem vereinfacht werden, und auch die Prüfquoten bei Krankenhäusern sollen gesenkt werden. Allerdings soll das Prüfergebnis von Stichproben auf 100 Prozent hochgerechnet werden.

Die Bürokratieentlastung soll sogar so weit gehen, dass Kontollinstanzen des MDK und der Heimaufsicht miteinander verschränkt werden und so doppelte Prüfstrukturen abgeschafft werden können. Nicht zuletzt sollen die Vertrags- und Verwaltungsprozesse der Krankenkassen einheitlich gestaltet werden, um so den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Zur Übersicht.


Krankenhausreform

Der Umbau der Krankenhauslandschaft soll unter Schwarz-Rot weitergehen: „Wir entwickeln eine qualitative, bedarfsgerechte und praxistaugliche Krankenhauslandschaft“, heißt es im Text der AG Gesundheit und Pflege. Dazu soll die in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) auf den Weg gebrachte Reform fortgeführt werden.

Bis zum Sommer will die schwarz-rote Koalition dies gesetzlich regeln. Den Bundesländern sollen dabei aber Ausnahmen für die Grund- und die Notfallversorgung besonders im ländlichen Raum ermöglicht werden.

Ein Augenmerk wird auch auf Fachkrankenhäuser gelegt. Deren Definition soll überarbeitet werden, um sie für die Versorgung zu erhalten. Auch die belegärztliche Versorgung soll nach dem Willen der Fachpolitiker erhalten bleiben.

Geplante Änderungen im KHVVG werden als „finanzneutral“ bezeichnet

Die in der Krankenhausreform umstrittenen Leistungsgruppen werden auf Basis der in Nordrhein-Westfalen definierten 60 Gruppen zuzüglich der speziellen Traumatologie vorgenommen – und zwar zum 1. Januar 2027. Im Jahr 2027 sollen neuen Vergütungsregeln der Vorhaltefinanzierung erstmals angewendet werden.

Bei Bedarf soll nachjustiert werden. Wenn medizinisch sinnvoll, können auch die Leistungsgruppen noch angepasst werden. Bis längstens Ende 2030 sollen Übergangsregelungen in den Bundesländern gelten, die ihre Kliniken bereits zu Gruppen zugeordnet hatten.

Die geplanten Änderungen im KHVVG werden im Papier als „finanzneutral“ bezeichnet. Die wirtschaftlich unter Druck stehenden Krankenhäuser dürfen sich aber auf kurzfristige Finanzspritzen freuen: Bedarfsnotwendige Kliniken sollen die Lücken bei den Betriebskosten der Jahre 2022 und 2023 ausgeglichen werden, wird im Papier formuliert. In der Finanzplanung sind dafür einmalig vier Milliarden Euro vorgesehen.

Aufatmen können auch die gesetzlichen Krankenkassen: Wie bereits diskutiert, sollen die Mittel für den Transformationsfonds zum Umbau der Krankenhauslandschaft aus dem beschlossenen Sondervermögen kommen. Zur Übersicht.


Psychotherapie

Zudem widmen sich die Fachpolitiker von SPD und Union auch der psychotherapeutischen Versorgung.

„Durch niedrigschwellige Online-Beratung in der Psychotherapie und digitale Gesundheitsanwendungen stärken wir Prävention sowie Versorgung in der Fläche und Akutsituationen. Wir passen Vergütungsstrukturen an, um eine bedarfsgerechte Versorgung mit Blick z. B. auf die Kurzzeittherapie zu ermöglichen. Wir führen eine Notversorgung durch Psychotherapeuten ein und setzen das Suizidpräventionsgesetz um“, ist in dem Papier zu lesen.

Ferner heißt es dort: „Zur besseren psychosomatischen Grundversorgung durch Hausärzte schaffen wir deren Regresse ab und setzen Psychosomatische Institutsambulanzen wohnortnah um. Die Bedarfsplanung passen wir im Hinblick auf Kinder und Jugendliche und auf die Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum an und stellen die Weiterbildungsfinanzierung in der Psychotherapie sicher.“ Zur Übersicht.


Digitalisierung

In Sachen Digitalisierung setzt sich die Koalition ebenfalls ambitionierte Ziele – in Kontinuität der Vorhaben der Ampel-Koalition: So soll die elektronische Patientenakte ePA für alle „noch 2025“ stufenweise ausgerollt werden und zu einer „verpflichtenden, sanktionsbewerten Nutzung“.

Für wen diese Nutzung sanktionsbewehrt sein wird, ob nur für Vertragsärzte oder auch beispielsweise für Krankenhäuser, bleibt offen.

Manche Ziele wie die Vermeidung von „Doppeldokumentationen“ bleiben allgemein, aber klar ist, dass die Koalitionäre in spe auf einen Ausbau der Telemedizin setzen: „Rahmenbedingungen und Honorierung für Videosprechstunden, Telemonitoring und Telepharmazie verbessern wir“, heißt es in dem Papier. Damit soll die Versorgung flächendeckend sichergestellt werden.

Klares Bekenntnis zur Interoperabilität aller IT-Systeme

Wie bereits von Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant, soll die Betriebsgesellschaft gematik zu einer „modernen Agentur“ weiterentwickelt werden. In der vorherigen Legislaturperiode war das Gesundheitsdigitalagenturgesetz (GDAG) auf den letzten Metern der Koalition hängen geblieben. Union und SPD bekennen sich ganz klar zur Interoperabilität aller IT-Systeme auf den verschiedenen Ebenen des Gesundheitswesens.

„Alle Anbieter von Software- und IT-Lösungen im Bereich Gesundheit und Pflege müssen bis 2027 einen verlustfreien, unkomplizierten, digitalen Datenaustausch auf Basis einheitlich definierter Standards sicherstellen“, heißt es markig dazu.

Ein Vorhaben der neuen Koalition wäre auch ein Registergesetz, um die Datennutzung im Gesundheitswesen effizienter als bisher zu gestalten. Das soll auch für das neu eingerichtete Forschungszentrum Gesundheit am Bundesinstitut für Arztneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelten.

Das Zentrum soll pseudonymisierte Daten aus der ePA für die Forschung aufbereiten und zur Verfügung stellen. Hier will die Koalition offenbar das Gesundheitsdatennutzungsgesetz nachbessern. Ziel ist es ausdrücklich „Deutschland zu einem Spitzenstandort für die Gesundheitsforschung und Klinische Studien“ zu machen. Zur Übersicht.


Medizinische Versorgungszentren

Das Vorhaben, institutionelle Investoren aus dem Markt medizinischer Versorgungszentren zu drängen, wird auch von der neuen, unionsgeführten Bundesregierung weiterverfolgt. In dem jetzt aus den Koalitionsverhandlungen bekannt gewordenen Fahrplan-Papier der Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“ heißt es zunächst nur kurz und bündig: „Wir erlassen ein iMVZ-Regulierungsgesetz“.

Vorarbeiten dazu hatte es bereits in der zurückliegenden Legislatur gegeben. Inwieweit darauf zurückgegriffen wird, ist offen. In einer ersten Stellungnahme erklärte am Mittwoch die Vorsitzende des Bundesverbands der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV), Sibylle Stauch-Eckmann, ihre Vereinigung stehe „für eine offene und evidenzbasierte Diskussion über sinnvolle Maßnahmen zur Verfügung“; der BBMV vertritt die Interessen von MVZ mit Private-Equity-Beteiligung.

Für sinnvoll hält Stauch-Eckmann etwa mehr Transparenz hinsichtlich der MVZ-Eigentumsverhältnisse, eine Stärkung der ärztlichen Leitung in MVZ oder auch „Maßnahmen, die die Versorgungsteilnahme von MVZ sichern – ohne den dringend benötigten Investitionsfluss in den Gesundheitssektor zu gefährden“.

Vor dem Hintergrund absehbar drohender Versorgungslücken – „über 30 Prozent der niedergelassenen Ärzte sind 60 Jahre oder älter – viele Praxen finden keinen Nachfolger“– dürfe eine Reform der sozialrechtlichen MVZ-Rahmenbedingungen nicht bestimmte Träger einseitig diskriminieren.

Stauch-Eckmann: „Genauso wie MVZ in ärztlicher Eigentümerschaft leisten auch MVZ, die in Trägerschaft von Kapitalgesellschaften sind, einen wichtigen Beitrag: Sie bringen dringend benötigte Investitionen in moderne Infrastruktur, treiben Digitalisierung voran und entlasten Ärzte von administrativen Aufgaben.“ Zur Übersicht.


Apotheken

Den öffentlichen Apotheken winkt eine Honorarerhöhung. Die fixe Handlingsgebühr pro Packung soll von derzeit 8,35 Euro auf 9,50 Euro angehoben werden. Dadurch fließt den Apotheken voraussichtlich etwas über eine Milliarde Euro zusätzlich zu. In ländlichen Regionen mit Apothekenmangel soll es sogar 11 Euro pro Packung geben. Ebenfalls geldwert ist die Ankündigung, das Skonti-Verbot aufzuheben. Heißt: Großhändler sollen Apotheken wieder über ihre prozentuale Spanne hinaus Rabatte geben dürfen.

Weitere Ankündigungen zugunsten der Offizinbetreiber: Krankenkassen und Apothekerverband sollen die Vergütung der Arzneimittelabgabe künftig untereinander aushandeln können. Präventionsleistungen in der Offizin sollen erweitert und der Apothekerberuf „zu einem Heilberuf weiterentwickelt werden“. Zur Übersicht.


Beitragssatz

Schwarz-Rot will die bisher nicht kostendeckenden Kassen-Beiträge der Jobcenter für Bürgergeldempfänger vollständig aus Steuermitteln finanzieren. Das wären jährlich etwa neun Milliarden Euro. Dies soll schon für das Jahr 2025 gelten.

Auch will die künftige Koalition, dass beim Kliniktransformationsfonds der Bund die 2,5 Milliarden Euro im Jahr trägt, die nach bisherigen Plänen auf die gesetzlichen Kassen entfallen sollte. Zur Übersicht.


Finanzierung

Die Arbeitsgruppe listet eine ganze Reihe von Einsparpotenzialen auf. Vor allem Patientensteuerungs-Systeme sollen zur Verringerung der Ausgabenlast der GKV beitragen. Frisches Geld soll zudem aus dem Sondervermögen fließen. Dabei rechnen die Gesundheitspolitiker mit 4,2 Milliarden Euro.

Den Einsparungen und Zusatzeinnahmen stehen allerdings geplante Mehraufwendungen von 16,8 Milliarden Euro gegenüber. Große Posten sollen für die Stabilisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen werden: Zehn Milliarden Euro für die Beiträge für die Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger und 2,5 Milliarden für die Dynamisierung des Bundeszuschusses, der bislang starr bei 14,5 Milliarden Euro verharrt.

Die Pflegeversicherung soll einen Ausgleich von jährlich vier Milliarden Euro als Ausgleich für die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige erhalten.

Entbudgetierung der Fachärzte in unterversorgten Gebieten

Die künftigen Koalitionäre haben interessante Positionen auf ihrer Liste: So sollen alle Schulen Mittel zur Förderung der Kindergesundheit erhalten. Auch Apotheken sollen stärker für die Prävention interessiert werden: Hier sind 25 Millionen Euro im Jahr vorgesehen. Nachdem die USA unter der Trump-Regierung nicht mehr in die WHO investieren will, will Deutschland seinen Beitrag um 250 Millionen Euro im Jahr erhöhen.

Aus der Kostenrechnung geht hervor, dass eine Entbudgetierung der Fachärzte in unterversorgten Gebieten aktuell im Programm ist. Diese wird mit Mehrausgaben von 2,5 Milliarden Euro angesetzt. Bei der Vergütungsreform der Fachärzte wollen die Koalitionäre allerdings bei Zu- und Abschlägen kostenneutral bleiben.

Mit der Fortschreibung der Ambulantisierung und der Nutzung der Hybrid-DRG durch die niedergelassenen Fachärzte und die Krankenhäuser sollen rund 500 Millionen Euro im Jahr weniger aufgewendet werden müssen.

Zudem sollen alleine durch die Einführung eines Primärarztsystems rund 500 Millionen Euro im Jahr für die GKV eingespart werden können - mit weiteren Sparperspektiven in der Zukunft.

Sparpotenzial durch die Entbürokratisierung in der GKV

Die in dieser Legislatur liegengebliebenen Notfall- und Rettungsdienstreformen sollen die Ausgaben zusammen um 1,5 Milliarden Euro verringern. Dies soll aber nur für eine Langfristperspektive gelten.

Gerechnet werden zum Beispiel hypothetische Einsparungen von 500 Millionen aufgrund eingesparter Rettungsfahrten. Mit der Notfallreform soll im Laufe der Zeit eine Milliarde an GKV-Mitteln gespart werden können.

Durch ein Präventionsgesetz wollen die Koalitionäre die Ausgabenlast der GKV um eine Milliarde Euro verringern. Dabei gehen die Verhandler davon aus, dass sich die Krankheitslast damit um 0,4 Prozent im Jahr verringern lasse.

Sogar ein Sparpotenzial durch die Entbürokratisierung in der GKV und der Pflegeversicherung wird aufgeführt. Dies ist allerdings nicht beziffert. Zur Übersicht.


Soziale Pflegeversicherung

Beispringen wollen die Koalitionäre auch der finanziell angeschlagenen sozialen Pflegeversicherung (SPV). Der 1995 eingeführte und damit jüngste Sozialversicherungszweig stelle eine Erfolgsgeschichte dar, indem Millionen von Menschen entlaste, heißt es im Papier der AG. Aktuell sind in Deutschland rund 5,2 Millionen Menschen auf Pflegeleistungen angewiesen.

Dazu soll der Bund sogenannte versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für die rund fünf Millionen pflegenden Angehörigen sowie die Ausbildungsumlage in der Altenpflege übernehmen.

Der erste Posten wird auf vier Milliarden Euro pro Jahr beziffert – erstmals fließen soll das Geld an die Pflegekassen 2026 und ab dann jährlich. Zur Übersicht.


Corona-Kosten

Kurzfristig dagegen soll der Bund den Pflegekassen in der Corona-Pandemie entnommene Gelder aus dem Ausgleichsfonds zurückerstatten – je 2,6 Milliarden Euro fließen sollen in diesem und im nächsten Jahr, macht zusammen gut 5,2 Milliarden Euro.

Außerdem geplant ist: „Der Sonderweg bei der Finanzierung der Pflegeversicherung in Sachsen, der einen höheren Pflegeversicherungsbeitrag bedeutet, wird durch eine Anpassung beendet.“ Zur Übersicht.


Bund-Länder-Arbeitsgruppe

Stemmen wollen die Koalitionäre, wie schon im Sondierungspapier angekündigt, eine „große Pflegereform“. Die soll das System einfacher, flexibler und bezahlbarer machen.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene soll dazu binnen sechs Monaten unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände Vorschläge für eine Strukturreform erarbeiten. Viel Zeit ins Land streichen lassen will man dabei nicht – noch 2025 soll die Arbeitsgruppe Konkretes liefern. Zur Übersicht.


Dämpfung der Eigenanteile

Auch angegangen werden sollen die drängenden Fragen, wie die pflegebedingten Eigenanteile – zuletzt weiter auf monatlich knapp 1000 Euro nach Abzug von Zuschüssen gestiegen – begrenzt und ferner pflegende Angehörige besser unterstützt werden können.

Letzteres beispielsweise durch die Bündelung bestehender Unterstützungsleistungen. Zudem sollen Modellprojekte wie die Stambulanz ermöglicht werden. Zur Übersicht.


Mehr Kompetenzen für die Pflegeprofession

Zur Freude vieler Pflegeverbände enthält das Papier auch ein klares Votum für einen Reload beim schon von der Ampel geplanten Pflegekompetenzgesetz. Wörtlich heißt es im Papier der AG Gesundheit und Pflege: „Wir bringen binnen 100 Tagen auf Grundlage der bestehenden Entwürfe zur Pflegekompetenz, Pflegeassistenz und zur Einführung der Advanced Practice Nurse Gesetze auf den Weg.“

Freilich: Wie weit das Kompetenz-Upgrade für die Pflegeprofession reicht, bleibt abzuwarten. Der Hausärztinnen und Hausärzteverband hatte hier rote Linien gezeichnet und vor einem Aufweichen des Arztvorbehalts gewarnt. Zur Übersicht.

(bwa/hom/af/ger/cw/gab/ths)

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