Interview

"Länder wollen nicht nur Zuschauer sein"

Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) sitzt 2011 turnusgemäß der Gesundheitsministerkonferenz vor. Die Ressortchefs haben sich große Ziele gesteckt: Sie wollen die Bedarfsplanung reformieren und über einen Sitz im Gemeinsamen Bundesausschuss mehr Einfluss nehmen.

Veröffentlicht:

Stefan Grüttner

Aktuelle Position: Gesundheits­minister von Hessen

Werdegang/Ausbildung: Volkswirtschafts­studium in Mainz, wissenschaft­licher Mitarbeiter

Karriere: Mitglied im hessischen Landtag seit 1995; 2003 bis 2010 Chef der hessischen Staatskanzlei

Privates: 54 Jahre, verheiratet, zwei Söhne

Ärzte Zeitung: Herr Grüttner, Sie sind 2011 Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz: Welche Themen stehen auf der Agenda?

Stefan Grüttner: Wir haben vier zentrale Themenbereiche: Wir wollen die Position der Länder bei der Bedarfsplanung für die ärztliche Versorgung einbringen. Damit hängen auch die Inhalte des GKV-Versorgungsgesetzes zusammen, das ist der zweite zentrale Themenbereich.

Das dritte große Thema ist die Pflege sowie die Neuordnung des Pflegebegriffes und die Fortsetzung und Überarbeitung des Pflege-TÜV. Als viertes kommt aktuell die Klinikhygiene dazu.

Ärzte Zeitung: Die GMK 2011 wird also klar von Themen dominiert, die die Bundespolitik vorgibt. Zunächst zum Hygienegesetz: Hier will der Bund die Länder dazu zwingen, eine Rechtsverordnung zu erlassen.

Grüttner: Bei der Vorlage des Bundesgesundheitsministers ist den Ländern zweierlei wichtig: Wir wollen die Möglichkeit haben, dass die Gesundheitsämter Sanktionen verhängen können, wenn Hygienemängel auftreten.

Außerdem soll nicht nur der stationäre Sektor in eine Hygieneverordnung einbezogen werden, sondern auch Vertragsärzte, ambulantes Operieren und der Pflegebereich. Es soll aber kein allgemeines Screening geben, wie es in den Niederlanden praktiziert wird.

Ärzte Zeitung: In Hessen gibt es noch keine Hygieneverordnung. Wie schnell müssen die Länder - auch in Hinblick auf die aktuellen Hygieneskandale - reagieren?

Grüttner: In Hessen ist der Entwurf für eine Verordnung fertig. Wir warten aber noch, was uns auf Bundesebene vorgegeben wird. Wir wollen keine Verordnung erlassen, die wir gleich wieder zurückziehen müssen.

Ärzte Zeitung: Mehr Gestaltungsmöglichkeiten fordern die Länder bei der Bedarfsplanung. Welche Akzente wollen Sie als GMK-Vorsitzender in der Diskussion zwischen Ländern und Bund setzen?

Grüttner: Es ist notwenig, dass die Länder überhaupt Mitspracherechte bekommen. Die Unisono-Forderung der Länder lautet, dass wir ein Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss bekommen.

Gleichzeitig wollen wir Befugnisse in den Landesausschüssen ausbauen. Als Vorsitzland werden wir auch den Dialog mit der Selbstverwaltung und den Kostenträgern führen, wie man Arztsitze von überversorgten Gebieten in unterversorgte überführen kann.

Dazu kommt die Diskussion, welche finanziellen Anreize man Ärzte zu einer Niederlassung in ländlichen Gebieten geben kann. Und vor allem: Wir müssen verstärkt sektorenübergreifend denken.

Ärzte Zeitung: Wenn die Länder einen Sitz im GBA bekämen, wie würde das konkret aussehen? Die Person müsste sich mit den 16 Ländern und 16 Meinungen gut abstimmen!

Grüttner: Wir wollen erst einmal den Fuß in der Tür haben - mit Stimmrecht und nicht nur als Zuschauer. Wir gehen natürlich davon aus, dass die qualitativen Ressourcen für die Mitbestimmung bei den Ländern vorhanden sind. Es könnte eine Lösung sein, den GBA-Sitz mit dem Vorsitz der GMK zu koppeln. Das bringt natürlich eine intensivere Koordination unter den Ländern über das Verhalten im GBA mit sich.

Ärzte Zeitung: Im Oktober 2010 hatten die Länder auf einer Sondersitzung der GMK dem Bund Vorschläge gemacht, wie eine Mitbeteiligung zum Beispiel bei der Bedarfsplanung aussehen könnte. Dann war lange Zeit Stille - fühlen Sie sich vom Bund nicht etwas gelinkt?

Grüttner: Die Länder hatten auf der Sonder-GMK im Oktober einen abgestimmten Vorschlag für ein Versorgungsgesetz vorgelegt. Wir haben dann keine gute Erfahrung gemacht, was die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem BMG zu dem Thema angeht.

Daher ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe beschlossen worden. Hier sehe ich aber inzwischen den Willen, gemeinsam zu arbeiten. Nach einem ersten Treffen im Januar wurden vier Arbeitsgruppen gebildet, die sich demnächst in Klausur begeben werden.

Danach ist eine Konferenz der Amtschefs geplant, am 6. April gibt es eine Sonder-GMK, auf der wir Eckpunkte für ein Versorgungsgesetz vorlegen werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch der Bundesgesundheitsminister feststellen wird, dass er gut daran tut, bei der Bedarfsplanung die Länderinteressen einzubeziehen.

Ärzte Zeitung: Mehr Mitsprache ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht. Welche neuen Strukturen müssten in allen Ländern geschaffen werden, die Pflichten auszufüllen?

Grüttner: In Hessen sind die personellen Ressourcen vorhanden. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch in anderen Ländern die Maßnahmen eingeleitet werden, um diese Qualität zu erreichen, um mehr Pflichten zu übernehmen. Wir haben die Verantwortung und wir wollen sie auch erfüllen.

Ärzte Zeitung: Ein Thema der vergangenen Jahre war die Bestellung des Impfstoffes gegen die Schweinegrippe. Da sich der Bund weigert, die etwa 25 Millionen nicht verwendeten Impfstoffe zu bezahlen, sitzen die Länder auf hohen Kosten. Werden Sie noch einmal einen Vorstoß wagen, den Bund zu überzeugen, sich an den Kosten zu beteiligen?

Grüttner: Da bisher jegliche Bemühungen erfolglos waren, werden auch künftige Initiativen keinen Erfolg haben. Daraus werden die Länder ihre Konsequenzen ziehen: Im Sommer läuft die Haltbarkeit der Impfstoffe ab, dann müssen wir die Vakzine vernichten.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen wird das Thema sicherlich auf der GMK diskutiert werden. Unter den Ländern ist es völlig unstrittig, dass der Bund hier mehr Verantwortung übernehmen muss, was die Beschaffung und auch Finanzierung von Impfstoffen für künftige Pandemien angeht.

Ärzte Zeitung: Einerseits wollen die Länder Verantwortung bei der Pandemievorsorge abgeben, andererseits aber mehr Verantwortung bei der Bedarfsplanung auf sich nehmen. Ist es nicht etwas paradox?

Grüttner: Wenn der Bund nicht in der Lage ist, die Gesundheitsversorgung im ganzen Land zu regeln - und er wird dazu nicht in der Lage sein - werden die Länder an der Stelle gebraucht. Der Bundesgesundheitsminister kann nicht auf Dauer davon ausgehen, eine Bedarfsplanung ohne den stationären Bereich machen zu können.

Da Kliniken die ureigene Aufgabe der Länder ist, ist der Bund auf sie angewiesen. Wenn es um einen nationalen Seuchenplan geht, muss hier der Bund mindestens bei den Kosten in die Pflicht genommen werden. Dieser Kauf von Impfstoff war eine einmalige Aktion, das werden wir uns in dieser Form niemals wieder leisten können und wollen.

Ärzte Zeitung: Schauen wir auf das Ende des Jahres 2011: Welche Rolle und welchen Einfluss wird die GMK dann besitzen?

Grüttner: Die GMK wird im Laufe des Jahres an Bedeutung gewinnen und größeren Einfluss auf die Gesundheitspolitik haben. Sie wird ihre Beteiligungen erarbeitet haben zum Beispiel bei der Bedarfsplanung und bei der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Das Ziel, mehr Einfluss auf die Bundespolitik zu haben, das befolgen alle Länder gemeinsam.

Das Gespräch führte Rebecca Beerheide

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