Impfstrategie

Merkels Schachzug: Russischer Corona-Impfstoff bekommt eine Chance

Vor der Bundespressekonferenz in Berlin verteidigt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Impfstrategie, liebäugelt mit einer COVID-Null-Kampagne und leistet sich einen hochemotionalen Moment.

Von Anno Fricke Veröffentlicht:
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht über die Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht über die Bekämpfung der Corona-Pandemie.

© Fabrizio Bensch/Reuters/Pool/dpa

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Zeitpunkt konkretisiert, zudem jeder Bewohner Deutschlands ein Impfangebot erhalten haben soll. Dies werde bis zum 21. September des laufenden Jahres, also Sommerende, geschehen sein, sagte Merkel am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz. In einer von Regierungsmitgliedern und Länder-Chefs in den letzten Tagen gerne gebrauchten Formulierung war bislang oft nur von „Sommer“ die Rede gewesen.

Die Kanzlerin kündigte einen weiteren Baustein in der Impfstrategie an. Sie habe mit Russlands Präsident Putin über die russische Impfstoffentwicklung Sputnik V gesprochen. Trotz aller Differenzen, zum Beispiel über den Fall Nawalny, sei es möglich, im humanitären Bereich zu kooperieren. Zum Beispiel könne das Paul-Ehrlich-Institut in Langen Russland beim Antragsverfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur helfen.

Novum in der Geschichte der Impfstoffentwicklung

Merkel verteidigte die europäische Herangehensweise. „Es war richtig, dass wir uns für die europäische Initiative entschieden haben.“ Der Zeitpunkt der Bestellung sei im Übrigen nicht interessant, wehrte sich die Kanzlerin gegen Kritik. Wichtig sei, wie viel Impfstoff pro Quartal tatsächlich zur Verfügung stehe.

Dass bereits am Tag der Zulassung des Impfstoffes von BioNTech/Pfizer erste Chargen der Vakzine produziert waren, sei ein Novum in der Geschichte der Impfstoffentwicklung, betonte Merkel.

Sie hob darauf ab, dass das Mainzer Unternehmen ein Start-up ohne eigene Produktionskapazitäten sei. Deshalb sei das Unternehmen früh eine Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer eingegangen. Durch die Initiative von Gesundheitsminister Jens Spahn und BioNTech „sei das Werk in Marburg klar gemacht“ worden, das Produktion von Impfstoff in Deutschland ermöglichen werde.

Möglichst langfristige Corona-Strategie

Merkel kündigte an, dass die zugesagte Menge an Impfstoff von 8,8 Millionen Dosen für das erste Quartal trotz der Produktionsumstellung im Pfizer-Werk im belgischen Puurs sichergestellt sei. Die Bundesregierung flankiere die Produktion durch eine Absicherung der für die Herstellung notwendigen Lieferketten von Grundprodukten und Verpackungsmaterial, berichtete die Kanzlerin.

Merkel bekannte sich zu einer möglichst langfristigen Strategie. „Weil wir wissen, dass das britische Virus hier ist, müssen wir jede Öffnung sehr vorsichtig angehen“, sagte die Regierungschefin. Begonnen werden solle mit Kitas und Schulen, bevor Gastronomie, Sportveranstaltungen und Kulturbetrieb wieder Gäste empfangen könnten.

Mir bricht das Herz, wenn ich sehe, dass tausende alter Menschen in Einsamkeit sterben.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin, am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz

Eine No-COVID-Strategie, wie sie Australien verfolge, sei bedenkenswert, sagte die Kanzlerin. Ein multidisziplinäres Team von 14 Wissenschaftlern hatte diesen Weg zurück zur Normalität Anfang der Woche vorgeschlagen.

Ziel dieser Strategie ist es, die Bevölkerung ganzer Regionen für das gemeinsame Ziel zu motivieren, das Virus durch harte Kontaktbeschränkungen möglichst vollständig niederzuringen und „grüne Zonen“ zu schaffen. Wenn sie sehe, wie viele alte Menschen in den Heimen in Einsamkeit stürben, sei das „emotional extrem schwierig zu ertragen“, sagte Merkel.

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Zunächst müsse die Sieben-Tage-Inzidenz von derzeit 119 auf unter 50 sinken, damit die Gesundheitsämter die Kontaktverfolgung wieder leisten könnten. Wie die Inzidenz „mit harten Restriktionen“ von 50 auf zehn zu bringen sei, und danach auf null müsse politisch diskutiert werden.

Auf jeden Fall müssten die Gesundheitsämter dafür „doppelt und dreifach“ ertüchtigt werden. Nachdem Neujahr als Frist für die Installation der bundeseinheitlichen Nachverfolgungssoftware SORMAS gerissen worden sei, werde nun Ende Februar anvisiert.

Am Donnerstagabend konferierte die Kanzlerin mit den Regierungschefs der EU-Länder. Grenzschließungen seien Ultima Ratio, aber nicht vollständig aus der Welt.

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