TSVG-Kehrtwende
Ministerium im Blindflug? Die Wartezeiten-Diskussion ist zurück
In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken verneint die Bundesregierung positive Effekte der TSVG-Neupatientenregelung. 99 Prozent der Praxen hätten Neupatienten behandelt, rechnet die Ärzteseite vor.
Veröffentlicht:Berlin. Die Bundesregierung schnürt die Diskussion über Wartezeiten auf Facharzttermine komplett neu auf. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Vergütungsanreize im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) zur Verkürzung der Wartezeit auf einen Termin bei Vertragsärzten geführt hätten, teilt Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) auf eine schriftliche Anfrage dazu mit.
Die Auswirkungen der sogenannten „Neupatientenregelung“ blieben hinter den Erwartungen der Bundesregierung zurück, einen schnelleren Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung zu ermöglichen. Gestellt hatte die Anfrage die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler.
Die extrabudgetäre Vergütung für die Behandlung neuer Patienten soll nach dem Willen der Bundesregierung fallen. Die möglichen Einsparungen sind Teil des aktuellen Sparpakets zur Konsolidierung der Kassenfinanzen im kommenden Jahr.
„Die Bundesregierung ist im Blindflug unterwegs, was die Effekte des TSVG anbetrifft“, kommentierte Vogler die Antwort aus dem Ministerium. Dass der Gesundheitsminister das Gesetz jetzt kassiere, um Defizite der Krankenkassen auszugleichen, helfe Patientinnen und Patienten nicht, die weiterhin keinen Facharzttermin bekommen, sagte Vogler.
DAK-Chef: An vielen Stellen noch lange Wartezeiten
In der Fraktion der Linken herrscht der Eindruck vor, dass der Bundesregierung keine belastbaren Zahlen vorlägen, die belegen könnten, dass die Neupatientenregelung keine Verbesserungen für die Versorgung und den Zugang zu Facharztpraxen gebracht habe.
„An vielen Stellen haben wir noch sehr lange Wartezeiten im Hinblick auf die Facharzttermine“, kommentiert DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm die Streichung der Neupatientenregelung. „Die bisherigen Instrumente haben die Wirkung nicht erbracht, die man sich davon erhofft hat“, so Storm im Podcast der Ärzte Zeitung.
Hartmannbund: „Entweder ahnungslos oder dreist“
Mit scharfen Worten reagierte auch der Hartmannbund. Dass Lauterbach die Streichung der Neupatientenregelung damit begründe, dass man nicht richtig in der Lage sei zu prüfen, wer Bestands- und wer Neupatient in den Praxen sei, spreche entweder für eine „erschreckende Ahnungslosigkeit oder aber für schlichte Dreistigkeit“, heißt es in einer vom Hartmannbund verbreiteten Erklärung zum Spargesetz.
KVen und Kassen könnten entsprechende Daten ermitteln und hätten das in der Vergangenheit auch schon getan. Man werde im nun beginnenden parlamentarischen Verfahren alles tun, um zu zeigen, „dass der Minister nicht nur in der Sache auf dem Holzweg ist, sondern auch seine Argumentation jeglicher Grundlage entbehrt“.
Die Vorsitzende des Hartmannbunds in Berlin, Miriam Vosloo, erklärte am Donnerstag, man werde die Mitglieder auch zur Teilnahme an einer Protestaktion der Berliner KV gegen die geplante Streichung der Neupatientenregelung aufrufen. Die Aktion ist für den 7. September geplant.
Zi: Pandemie-Effekte überlagern Beurteilungen zu Wartezeiten
Das Zentralinstitut der Kassenärztlichen Versorgung (ZI) geht davon aus, dass die Kehrtwende der Bundesregierung beim TSVG für die Vertragsärzte Mindereinnahmen in Höhe von rund 400 Millionen Euro bedeuten dürfte. Im vierten Quartal 2021 seien in den Praxen 20 Millionen Neupatientinnen und -patienten behandelt worden. Gegenüber dem vierten Quartal 2019 sei ihre Zahl damit um zwölf Prozent gestiegen. Die höchsten Anstiege seien in den neuen Ländern beobachtet worden.
Insgesamt 99 Prozent aller Arztpraxen hätten neue Patienten behandelt, heißt es in der Datenauswertung des ZI. Das Institut verweist darauf, dass die Abrechnungsdaten keine Hinweise auf Veränderungen bei den Wartezeiten gäben. Dazu müssten die Patienten und Praxen gesondert befragt werden. In den vergangenen beiden Jahren dürfte die Beurteilung der Wartezeiten durch Effekte der Pandemie überlagert sein, so das ZI.
Staatssekretärin: „Keine Studien zu Wartezeiten bekannt“
Wörtlich schreibt Dittmar in ihrer Antwort: „Der Bundesregierung sind keine offiziellen oder repräsentativen Studien oder Evaluationen darüber bekannt, dass die Einführung der extrabudgetären Vergütung für Leistungen, die gegenüber Patientinnen und Patienten erbracht werden, die entweder noch gar nicht oder seit mindestens zwei Jahren nicht in der Praxis behandelt worden sind, zu einer Verkürzung der Wartezeit auf einen Termin bei einer Vertragsärztin oder einem Vertragsarzt geführt hat.“
Nach vorliegenden Erkenntnissen habe es seit der Einführung des TSVG keine Leistungsausweitungen gegeben. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass Vertragsärztinnen und –ärzte neue Patientinnen und Patienten in dem Rahmen aufgenommen hätten wie bisher, hierfür aber eine zusätzliche Vergütung erhalten hätten, ohne den Leistungsumfang zu steigern.
Dittmar schließt mit dem Hinweis, dass die Ärztinnen und Ärzte die Leistungen, die sie gegenüber Neupatienten erbrächten, künftig im Rahmen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) vergütet erhielten. (Mitarbeit: hom)