Pandemielage
Neues Corona-Gesetz: Koalition will bundesweit eingreifen können
Bund und Länder konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die steigenden Infektionszahlen einigen. Jetzt zieht der Bund die Entscheidungskompetenzen an sich.
Veröffentlicht:Berlin. Die Regierungsfraktionen nehmen das Heft in die Hand und führen eine bundesweit verbindliche Notbremse ein. Grund sind die aktuell steigenden Zahlen von Infektionen mit SARS-CoV-2 und seinen Mutationen – und die in den Ländern höchst unterschiedlichen Reaktionen darauf.
Mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes sollen nun die Voraussetzungen für einheitliche Regeln für Gebiete mit hohen Sieben-Tage-Inzidenzen geschaffen werden. Die Notbremse soll ab einem Schwellenwert von 100 in Landkreisen und kreisfreien Städten einschließlich Berlin und Hamburg greifen, so wie es zwischen Bund und Ländern eigentlich längst vereinbart ist. Das geht aus dem Entwurf eines „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ von Samstag hervor, der der „Ärzte Zeitung“ vorliegt. Das Gesetz soll zügig beraten werden und in Kraft treten. Zwei Sitzungswochen stehen dafür im April noch zur Verfügung. Um die Novelle des Infektionsschutzgesetzes in einem Eilverfahren schon in der laufenden Woche durch das parlamentarische Verfahren zu bringen, benötigt sie eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. FDP, Grüne und Linke haben bereits angedeutet, darüber mit sich reden zu lassen.
Bundesrat mit von der Partie
Der Bundesregierung soll zudem die Möglichkeit eingeräumt werden, unmittelbar per Verordnung eine bundesweit einheitliche Steuerung des Infektionsschutzes zu gewährleisten. Die Länder sollen über den Bundesrat eingebunden werden. Der Bund soll damit Handlungskompetenzen in Regionen mit andauernd hohen Inzidenzwerten erhalten. Darauf hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länder zuvor verständigt.
„Festzustellen ist gegenwärtig eine bundesuneinheitliche Auslegung der gemeinsam mit den Ländern in der regelmäßig stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen Maßnahmen“, heißt es in dem Gesetzentwurf. Dem Gesetzgeber komme angesichts der nach wie vor ungewissen und sich dynamisch verändernden Gefahrenlage ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.
Tatsächlich hatten Bund und Länder ein für Montag geplantes Treffen abgesagt. Mit dem nun geplanten Mechanismus sollen nun die in der Pandemie institutionalisierten, aber als ineffizient geltenden Bund-Länder-Treffen obsolet werden.
Öffnung nach Inzidenz
Der Gesetzentwurf sieht für den Fall, dass die Notbremse gezogen werden muss, einen Rücksturz auf die Situation vor dem 8. März vor. Das würde bedeuten, dass in betroffenen Gebieten wieder nur ein Haushalt und eine weitere Person, nicht aber mehr als fünf Personen, zusammenkommen dürften. Zudem würde eine weitgehende Ausgangssperre von 21 Uhr bis fünf Uhr morgens greifen, die nur zum Beispiel aus beruflichen Gründen oder wegen medizinischer Notfälle durchbrochen werden dürfte. Die Zoos müssten wieder schließen, ebenso gastronomische Angebote im Freien. Wie bisher nicht betroffen wären Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Drogerien, der Buchhandel, Blumengeschäfte und Gartencenter.
Ab einer Inzidenz von 100 müsste bei Präsenzunterricht in Schulen jeder Schüler zweimal in der Woche getestet werden, ab einem Wert von 200 müssten die Schulen wieder schließen. Nicht adressiert werden mit dem Entwurf bislang die Betriebe, die zum Teil wegen laxer Test- und Hygienekonzepte in der Kritik stehen.
Schutz des Gesundheitssystems
Bundeseinheitliche Regelungen und Maßnahmen seien zwingend notwendig, um der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit zu entsprechen, begründen die Fraktionen ihren Schritt mit Sorge um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Erst am Freitag hatten Intensivmediziner vor einer Überlastung der Intensivstationen gewarnt. In der Begründung zu dem am Samstag vorgelegten Entwurf heißt es, dass der aktuelle Anstieg kein „regional begrenztes Geschehen“ sei. Die Anzahl der Landkreise mit einer Sieben-Tages-Inzidenz über 100 nehme „deutlich“ zu.
Bedingte Zustimmungssignale
Der Fraktionsvorsitzende der FDP Christian Lindner betontem, dass seine Fraktion sich „konstruktiv in diese Beratungen einbringen“ werde. Es müsse aber die Verhältnismäßigkeit der geplanten Schritte im Blickj behalten werden. Den Handel zu schließen und die Außengastronomie schon bei einer Inzidenz ab 100 einzustellen, sei aus Sicht der Liberalen „unverhältnismäßig“, ließ der FDP-Chef mitteilen. Modelle wie in Tübingen oder Rostock müssten weiter möglich sein, weil Tests und Masken eben auch Sicherheit böten, so Lindner.
Der Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU Ralph Brinkhaus wollte die Dauer eines nun möglichen verschärften Lockdowns nicht definieren. Im Interview mit der Funke Mediengruppe sagte Brinkhaus am Samstag, die Dauer müsse an das Infektionsgeschehen geknüpft werden. Zudem forderte er, keine Front zwischen Bund und Ländern aufzubauen. Der Bundesrat müsse stets einbezogen werden.
Einen „radikalen Wellenbrecher“ gegen das Infektionsgeschehen forderte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen Katrin Göring Eckardt. Sie forderte, bei der möglichen bundesweiten Notbremse vor allem die Arbeitswelt in den Blick zu nehmen. Es gebe immer noch keine Verpflichtung der Unternehmen, ihre Mitarbeiter zu testen, wo Präsenzarbeit unabdingbar sei.
Gesetzliche Regelungen in der Arbeitswelt seien weiteren Verschärfungen im Privatleben wie Ausgangssperren vorzuziehen, betonte der gesundheitspolitische Sprecher der Linken Dr. Achim Kessler bereits am Freitag.