Europäischer Vergleich / PKV-Studie
Nicht nur bei der freien Arztwahl steht Deutschland gut da
Das deutsche Gesundheitssystem muss sich im Vergleich zu anderen Ländern nicht verstecken. Das zeigt eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV. Ein Grund dafür, so die Autoren: das duale System aus PKV und GKV.
Veröffentlicht:Köln. Wenn es um den Zugang zu Gesundheitsleistungen geht, braucht Deutschland den Vergleich mit anderen europäischen Ländern nicht zu scheuen. „Auch wenn es an manchen Stellen hakt und es einige Baustellen gibt, stehen wir international sehr gut da“, sagte Dr. Frank Wild, Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP), bei einem Online-Fachgespräch. Dazu trägt seiner Meinung nach auch das hiesige duale System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung bei.
Das WIP hat in einer aktuellen Untersuchung die Gesundheitssysteme in 26 europäischen Staaten verglichen. Im Mittelpunkt der Analyse standen die unterschiedlichen Zugangshürden in der Versorgung.
In vielen Ländern sei die Wahlfreiheit in der ärztlichen Versorgung durch Gatekeeping beziehungsweise finanzielle Anreize eingeschränkt, sagte Wild. „Deutschland zeichnet sich hier durch eine hohe Wahlfreiheit und damit große Patientensouveränität aus.“
Freier Zugang zu Fachärzten
Zwar gibt es hierzulande die hausarztzentrierte Versorgung und Hausarzttarife in der PKV. Die Teilnahme ist jedoch freiwillig. „Das unmittelbare Aufsuchen eines Facharztes (ohne Überweisung) ist in Deutschland jederzeit möglich“, schreibt Autor Lewe Bahnsen in der Studie.
Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das duale System im europäischen Vergleich über einen der umfangreichsten Leistungskataloge verfügt. Wild verwies darauf, dass sich der Umfang der Absicherung im ambulanten und stationären Bereich zwischen den Ländern nicht so sehr stark unterscheidet. Anders sieht es aus bei der zahnärztlichen und der Arzneimittelversorgung. Hier liegt Deutschland beim Leistungsumfang jeweils an der Spitze.
„In Deutschland sind auffällig viele neue Medikamente sofort auf dem Markt verfügbar, in vielen anderen Ländern können die Patienten diese Medikamente erst einmal nicht erhalten“, berichtete Wild.
Vergleichsweise geringe Wartezeiten
Autor Bahnsen nennt in der Studie einen Erklärungsansatz für das breite Leistungsspektrum in Deutschland: die PKV als wettbewerbliches Korrektiv. „Geringe Qualität oder Leistungskürzungen in der GKV würden deren Wettbewerbsposition gegenüber der PKV schwächen und werden daher möglichst vermieden.“
Die WIP-Studie unterstreicht, dass Deutschland auch mit Blick auf die Wartezeiten gut abschneidet. „In vielen Ländern müssen Patienten Wochen, Monate, teilweise sogar Jahre auf Behandlungen warten“, betonte Bahnsen. Wie auch die KBV-Versichertenbefragung 2021 gezeigt habe, seien Wartezeiten hierzulande dagegen ein nachrangiges Problem. In Estland geben 12,2 Prozent der Bevölkerung an, dass aufgrund langer Wartelisten ihr Bedarf an ärztlicher Versorgung nicht gedeckt sei, in Deutschland sind es 0,1 Prozent. Bahnsen machte aber auch klar: „Wartezeiten gehen nicht zwingend mit einer schlechteren Versorgung einher.“
Kostenbeteiligungen seien ein gängiges Instrument zur Steuerung des Nachfrageverhaltens, sagte Bahnsen. Private Zuzahlungen spielen in allen Ländern eine Rolle, in Deutschland aber eine vergleichsweise geringe. In den vergangenen Jahren habe die Bedeutung der Kostenbeteiligungen in vielen Ländern zugenommen. „Zuzahlungen sind mittlerweile ein wichtiger Pfeiler in der Finanzierung.“
Jeder Vierte mit Zusatz-Police
Ein Beleg für das hohe Absicherungsniveau in Deutschland ist die geringe Quote an Menschen, die hierzulande eine private Zusatzversicherung haben. In Belgien hatten im Jahr 2020 insgesamt 98,0 Prozent der Bevölkerung solche Policen, in Frankreich 95,5 Prozent, in Deutschland nur 24,9 Prozent. „Wir haben ein gutes gesetzliches System mit einem breiten Leistungskatalog“, sagte Bahnsen. Laut Studie ist der Anteil von Menschen mit Zusatzversicherungen in steuerfinanzierten Gesundheitssystemen geringer als in beitragsfinanzierten Systemen.
Auch wenn Gesundheitsleistungen grundsätzlich verfügbar sind, werden sie zum Teil trotz eines bestehenden Bedarfs nicht in Anspruch genommen. Das liegt nach Angaben von Bahnsen häufig an sogenannten weichen Faktoren wie der Gesundheitskompetenz, der Bildung oder persönlichen Präferenzen. Er nannte die COVID-19-Impfung als Beispiel. „Obwohl europaweit Impfstoffe sehr gut verfügbar sind, ist die Inanspruchnahme sehr unterschiedlich.“ Dabei zeige sich international bei den über 65-Jährigen ein enger Zusammenhang zwischen den Impfquoten bei Influenza und bei COVID-19. „Auch bei Influenza liegen wir eher im Mittelfeld.“