Pathologen an der Uniklinik Kiel
Obduktion von Corona-Toten: „Wir werden demütig“
Ein Großteil der in Kiel obduzierten Corona-Toten ist tatsächlich an COVID-19 gestorben. Für den Pathologen Röcken sind die Obduktionen wichtig, um mehr über eine Krankheit zu erfahren, die ihn demütig macht.
Veröffentlicht:Kiel. Professor Christoph Röcken und sein Team sind derzeit noch beschäftigter als sonst. Jeden Tag obduzieren die Pathologen des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins (UKSH) zusätzlich zu ihren anderen Aufgaben zwei Menschen, die an oder mit COVID-19 gestorben sind.
Ihr Ziel: Wissen sammeln über einen Erreger und eine Krankheit, die derzeit überall auf der Welt wüten. Die Ergebnisse werden im Rahmen einer bundesweiten Initiative von 34 Unikliniken systematisch zusammengetragen. In einem Obduktionsregister werden die Daten aus ganz Deutschland gesammelt und ausgewertet sowie Gewebeproben von an COVID-19 Verstorbenen aufbewahrt.
Mehr als 50 Menschen im Alter von 53 bis über 90 Jahre, die sich vor ihrem Tod mit SARS-CoV-2 angesteckt hatten, wurden in Kiel inzwischen obduziert. „Bei 85 Prozent der Fällen konnten wir wirklich bestätigen, dass sie an COVID-19 verstorben sind“, sagt der Direktor des Instituts für Pathologie am UKSH, Röcken. Nur ein kleiner Teil sei mit COVID-19 gestorben.
Typische Veränderungen an der Lunge
Das Virus macht nach Angaben Röckens relativ typische Veränderungen an der Lunge, die es unterscheidet von anderen Entzündungsformen der Lunge. Oftmals haben die Menschen, die an einer COVID-19 verursachten Lungenentzündung gestorbenen sind, auch eine Lungenembolie. „Das beobachten wir leider auch.“
Röcken und die Assistenzärztin Theresa Pflaum zeigen auf ein Stück Lunge eines an COVID-19 Verstorbenen, das vor ihnen auf einem Tisch liegt. Es ist in Formalin fixiert, um alles Infektiöse abzutöten und es haltbarer zu machen. „Hier sieht es ein bisschen dunkler aus als oben“ sagt Pflaum und zeigt mit der Pinzette auf die Stelle, die sie meint. Auch die Struktur des Gewebes hat sich verändert, das zeigt sich an diesem Stück deutlich. „Normalerweise ist eine Lunge poröser, wie ein Schwamm. Hier sehen Sie keine Schwammstrukturen mehr.“
Röcken vergleicht es mit einem Ballon, der eigentlich Luft im Zentrum hat. Bei COVID-19 füllt sich dieser Luftraum mit Gewebe aus und beeinträchtigt damit die Belüftung der kleinen Lungenbläschen. Pflaum entnimmt jetzt Gewebeproben aus dem Lungenstück und legt sie in kleine, Kassetten genannte Behälter. Diese brauchen die Pathologen für feingewebliche Untersuchungen, die weitere Antworten liefern soll, ob ein Mensch an COVID-19 gestorben ist und welche weiteren Krankheiten mit zum Tod geführt haben könnten.
Jung, sportlich – und an COVID-19 gestorben
Obwohl ein Großteil der an COVID-19-Verstorbenen ältere Menschen mit Vorerkrankungen gewesen sind, gibt es immer wieder auch Fälle, bei denen junge, sportliche Menschen ohne Vorerkrankungen an COVID sterben. „Keiner von uns weiß, gehöre ich zu denen, die es schwer erwischen wird oder gehöre ich nicht dazu“, sagt Röcken. „Das ist wie Russisch Roulette. Sie drehen die Kammer und sie wissen nicht, ist die Kugel jetzt im Lauf oder nicht.“ Es sei eine noch wenig bekannte Krankheit.
„Wir wissen zwar, das meistens ältere Menschen von schweren oder tödlichen Verläufen betroffen sind und jüngere seltener. Man findet auch Blutgruppenassoziationen. Aber ich würde darauf nicht wetten.“ Die Krankheit mache demütig und respektvoll.
Und auch wenn es mit der momentanen Zahl der Obduktionen schwierig sei, auf mehr als 800 Tote, die es allein in Schleswig-Holstein gibt, zu extrapolieren, könne man schon davon ausgehen, dass der weitaus überwiegende Teil an COVID-19 stirbt, sagt Röcken. Bundesweite Daten aus dem Obduktionsregister liegen noch nicht vor. Aber er höre mündlich von anderen Pathologen bundesweit, dass diese zu ähnlichen Ergebnissen kämen.
Nur die Obduktion bringt Gewissheit
Manche fragen sich, ob eine Obduktion überhaupt noch notwendig ist, wenn die Zahlen doch relativ eindeutig sind. Für Röcken lässt sich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten. „Nur durch eine Obduktion lässt sich Gewissheit darüber erlangen, woran ein Mensch wirklich gestorben ist.“ Nicht alle Symptome sehe man bei jedem Patienten.
„Sie haben nicht einen hundertprozentigen Phänotyp.“ Es könne sein, dass bei einem kleinen Teil der Patienten Besonderheiten auftreten und die erfasst man erst, wenn man hohe Fallzahlen hat. „Dann kann man sie als Komplikation einer COVID-19-Erkrankung erkennen und ist dann darauf vorbereitet und weiß, wie man handeln muss.“
Röcken warnt davor, zu denken, dass das Virus irgendwann verschwindet. „Corona wird bleiben. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.“ Man könne die aktuelle Pandemie vielleicht mit Impfungen und Lockdown am Ende in den Griff kriegen, „aber damit werden wir das Virus nicht aus der Welt schaffen“. Es werde wieder Ausbrüche geben.
Gut beraten, möglichst viel über das Virus zu wissen
„Und dann sind wir gut beraten, wenn wir möglichst viel von diesem Virus wissen; wie wir es behandeln, welche Konsequenzen es hat, welche Nebenerkrankungen es vielleicht mitverursacht, was Risikokonstellationen sind.“ Man müsse das Wissen einfach sammeln.
Auch weil es immer wieder zu Pandemien kommen könne, sagt Röcken. Für ihn sei es bereits die zweite Pandemie, der er miterlebe. „Die erste war HIV. Damals haben wir auch sehr viel obduziert bei den an Aids erkrankten und verstorbenen Patienten. Und damals war auch der Wunsch, können wir das nicht gleich nächstes Jahr heilen?“ Die Antwort war Nein. Man müsse sich ein bisschen Zeit geben und viel Wissen sammeln. Dann könne man zu dem Punkt kommen, an dem die Krankheit ein Stück weit ihren Schrecken verloren hat.
Und so wie das HI-Virus nicht ausgerottet wurde, wird auch SARS-CoV-2 bleiben. Und es werden nach Ansicht Röckens weitere Pandemien kommen, einfach weil die mobile, globalisierte Gesellschaft es Viren einfach mache, sich zu verbreiten. (dpa)