Sanierung der sozialen Pflegeversicherung

Pflegeforscher Rothgang wirft Lauterbach „Bankrotterklärung“ vor

Für seine Äußerungen zur Pflegeversicherung steht Gesundheitsminister Lauterbach weiter am Pranger. Der Bremer Sozialexperte Heinz Rothgang spricht von „Bankrotterklärung“ – die Kassen warnen vor empfindlichen Beitragssprüngen.

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Wachsender Bedarf: Ende 2023 waren rund 5,6 Millionen Menschen auf Leistungen aus der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung angewiesen.

Wachsender Bedarf: Ende 2023 waren rund 5,6 Millionen Menschen auf Leistungen aus der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung angewiesen.

© Eisenhans / stock.adobe.com

Berlin. In Alarmstimmung – aber keinen Gestaltungswillen: Nach seinen Äußerungen zur Zukunft der sozialen Pflegeversicherung schlägt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiter scharfe Kritik entgegen.

Der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang sprach von einer „Bankrotterklärung“, wenn Lauterbach feststelle, dass es ein Riesenproblem in der Pflege gebe, es dafür Lösungen gebe, die Ampel diese aber nicht umsetzen werde, weil man sich in der Koalition nicht einigen könne. „So kann man als Minister nicht agieren“, sagte Rothgang der Online-Ausgabe des „Spiegel“ (Donnerstag).

Die Alternative zum Nichtstun sei, „dass bei den Beitragszahlern Kosten entstehen“. Dabei habe die Politik das Gegenteil versprochen. Die Sanierung der Pflegefinanzen sei möglich, betonte Rothgang. SPD, FDP und Grüne müssten dafür einfach die Punkte umsetzen, die im Koalitionsvertrag stünden. Es reiche womöglich sogar aus, einen Punkt anzugehen.

Einfach mal in den Koalitionsvertrag schauen

Als Beispiel nannte Rothgang die Herausnahme der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige aus der Finanzierung durch die Pflegeversicherung. Werde der Posten, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, über Steuermittel bezahlt, entlaste dies die soziale Pflegeversicherung um jährlich mehr als drei Milliarden Euro.

Dasselbe gelte für Folgekosten der Corona-Pandemie, die in der Pflegeversicherung mit fünf bis sechs Milliarden Euro zu Buche schlügen, obwohl sie Aufgabe der Allgemeinheit und daher aus dem Bundeshaushalt gedeckt werden müssten. Denkbar sei auch, statt der Beitragssätze zur Pflege die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, schlug Rothgang vor. „Auf diese Weise belastet man nur Beitragszahler, die es sich leisten können.“

Vertreter der Pflegekassen warnten unterdessen vor kräftigen Beitragssprüngen. Das Vorstandsmitglied beim BKK-Dachverband, Anne-Kathrin Klemm, sagte der „WirtschaftsWoche“ (Mittwoch), spätestens 2025 werde der allgemeine Beitragssatz in der Pflege um 0,63 Prozentpunkte auf 4,03 Prozent steigen. Für Kinderlose drohe ein Anstieg auf 4,63 Prozent.

DAK-Storm: Brauchen Zeitenwende auch bei Pflege

Bislang sind Schätzungen von 0,2 Prozentpunkten Beitragssatzanstieg ausgegangen. Die Betriebskrankenkassen rechnen für kommendes Jahr mit einem Defizit in der sozialen Pflegeversicherung in Höhe von 4,4 Milliarden Euro.

Der Vorstandschef der Krankenkasse DAK-Gesundheit, Andreas Storm, forderte analog zur Sicherheitspolitik eine Zeitenwende auch bei Gesundheit und Pflege. Die Probleme seien so groß, dass grundsätzliche Änderungen notwendig seien. Diese Transformation könne nur mit zusätzlichem Geld gelingen, sagte Storm der Deutschen Presse-Agentur (Donnerstag).

Alleine wegen der Babyboomer-Effekte, die in 15 bis 20 Jahren ihren Höhepunkt erreichen werden, komme eine riesige Belastung auf das Gesundheits- und Pflegesystem zu. Beide Systeme seien dramatisch unterfinanziert, warnte der Kassenchef. (hom/dpa)

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Kommentare
Andreas Hoffmann 30.05.202415:48 Uhr

Das Problem der versicherungsfremden Leistungen ist kein neues und daher umso dringender anzugehen - der Wähler hat es in der Hand. Ein wesentlicher Teil des Problems wird aber weiterhin konsequent in der öffentlichen Debatte ignoriert: der Stellenwert der Familie in der Gesellschaft. Wenn immer mehr Ein- und Zwei-Raum-Wohnungen gebaut werden, über die Abschaffung des Ehegattensplittings diskutiert wird, Kinder in institutionelle Betreuung gedrängt werden usw., wie will man dann die notwendige nicht-institutionelle Pflege sicherstellen, die zweifelsfrei den größten Teil der Pflege ausmachen muss, damit das System nicht endgültig zusammenbricht?! Traditionelle Familienstrukturen sind eben kein zu überwindendes Relikt einer vergangenen Zeit, sondern Grundlage für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Wer heute über steigende Pflegekosten klagt, muss sich dies endlich bewusst machen!

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