Milliardendefizit

Pflegeversicherung in Not – Ampel plant offenbar „Notoperation“

Bedarfe steigen, Finanzreserven sind aufgezehrt: Laut einem Medienbericht will die Bundesregierung der angeschlagenen sozialen Pflegeversicherung mit einer „Notoperation“ helfen.

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Gute Pflege künftig noch bezahlbar? Die soziale Pflegeversicherung rutscht von einem Minus ins nächste.

Gute Pflege künftig noch bezahlbar? Die soziale Pflegeversicherung rutscht von einem Minus ins nächste.

© Peter Atkins / stock.adobe.com

Berlin/München. Im Frühjahr musste das Bundesamt für Soziale Sicherung bereits zum Skalpell greifen, um die Zahlungsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung zu erhalten. Nun gibt es offenbar Pläne in der Ampelkoalition, der Pflegeversicherung mit einer „Notoperation“ erneut auf die Beine zu helfen.

Laut einem Bericht des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ vom Montag könnte der Sozialversicherungszweig spätestens im nächsten Februar zahlungsunfähig sein, wenn nicht rasch gegengesteuert wird. Zahlungsunfähig hieße: Heime, Pflegedienste wie Pflegebedürftige erhielten kein Geld mehr aus dem gesetzlichen Pflegetopf.

„In Kürze“: BMG kündigt Finanzkonzept an

Das „RND“ beruft sich auf Regierungskreise: Diese gingen davon aus, dass die bisher von den Pflegekassen geschätzte Anhebung des Beitragssatzes zur Pflege von 0,2 Prozentpunkten nicht ausreiche und stattdessen 0,25 bis 0,3 Prozentpunkte nötig seien, um den Finanzbedarf bis zum Frühjahr 2026 – also nach der Bundestagswahl im Herbst 2025 und einer womöglich zähen Regierungsbildung – zu decken.

Das Bundesgesundheitsministerium erklärte, man könne den Bericht „so nicht bestätigen“. Dass die Pflegeversicherung kurzfristig und strukturell Schwierigkeiten habe, sei bekannt. Dies habe vor allem drei Gründe: „Mit der jüngsten Pflegereform haben wir die Pflegebedürftigen in Heimen erheblich entlastet, Pflegekräfte bekommen höhere Löhne, und es gibt mehr Pflegebedürftige als angenommen.“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) werde daher in Kürze ein „Finanzkonzept vorlegen, um sowohl kurz- wie langfristig die Pflegeversicherung wieder auf stabilere Füße zu stellen“.

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Gerlach: Bisher nur Ankündigungen statt Taten

Derzeit liegt der allgemeine Beitragssatz zur Pflege bei 3,4 Prozent. Hinzukommen könnte ein Beitragsaufwuchs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 0,7 Prozentpunkten. Im Wahljahr 2025 ist das keine gute Nachricht für die über 70 Millionen gesetzlich Versicherten.

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach rief die Bundesregierung auf, „rasche Konsequenzen“ zu ziehen. Die Probleme der Pflegeversicherung seien seit Langem bekannt – bislang gäbe es seitens der Bundesregierung „statt Taten nur Ankündigungen“, sagte die CSU-Politikerin.

Um die Finanzierung der Pflege sicherzustellen, müsse die Ampel ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen und versicherungsfremde Leistungen aus Bundesmitteln finanzieren, so Gerlach. Hierzu gehöre auch ein „vollständiger Ersatz Corona-bedingter Aufwendungen“ der Pflegekassen aus dem Bundeshaushalt. Zudem sei die Pflegeausbildung aus Steuermitteln zu finanzieren.

Die DAK Gesundheit hatte vergangene Woche erklärt, der Bund sei rechtlich verpflichtet, den Pflegekassen sechs Milliarden Euro an Corona-Kosten zu erstatten. Die Krankenkasse hatte sich dabei auf ein Rechtsgutachten der Hamburger Juristin Dagmar Felix berufen.

Ruf nach Ausgleich für Corona-Kosten

Derzeit sind rund fünf Millionen Bundesbürger auf Pflegeleistungen angewiesen. Die Chefin beim GKV-Spitzenverband, Dr. Doris Pfeiffer, sagte, die Kassen rechneten bis zum Jahresende mit einem Defizit von 1,8 Milliarden Euro. Blieben Reformen jetzt aus, müssten die Beitragssätze zur Pflege ab Januar 2025 „mindestens“ um 0,25 Prozentpunkte steigen.

Nötig sei, die Sonderausgaben aus Corona-Zeiten, mit denen der Staat die Pflegeversicherung allein gelassen habe, über Bundesmittel auszugleichen, so Pfeiffer. Addiere man die vier beziehungsweise 4,5 Milliarden Euro hinzu, die die Pflegeversicherung in diesem und im nächsten Jahr für Rentenbeiträge pflegender Angehöriger aufbringen müsse, hinzu, lande man bei gut neun Milliarden Euro. „Mit diesen rund neun Milliarden Euro müssten wir nicht schon wieder über Beitragserhöhungen sprechen.“

Diakonie: Brauchen neue Art der Beitragsbemessung

Eine ähnliche Forderung kam am Montag aus den Reihen der Diakonie Deutschland. „Das Defizit kann nicht allein aus Beiträgen gedeckt werden, sondern muss aus Bundesmitteln finanziert werden“, sagte Vorstandsmitglied Maria Loheide. Bei den Beitragszahlern seien künftig nicht nur Löhne und Gehälter, sondern auch andere Einkommensarten wie Kapital- und Mieterträge bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen, setzte Loheide hinzu.

Gesundheitsminister Lauterbach hat sich in der Vergangenheit mehrfach für Steuerzuschüsse zur Pflege ausgesprochen. Bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) beißt er damit aber regelmäßig auf Granit. Laut Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 sind derzeit keine Steuerzuschüsse für die Pflege geplant. (hom)

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