Pro und Contra
"Pille danach" - Verschreibungspflicht ja oder nein?
Über die Freigabe der "Pille danach" aus der Verschreibungspflicht tobt seit Monaten ein Streit. Heute hört der Gesundheitsausschuss des Bundestags dazu Experten an. Wir dokumentieren zwei Meinungen, fassen die Anträge und Stellungnahmen der Sachverständigen zusammen und liefern einen Überblick über die Historie des Streits.
Veröffentlicht:BERLIN. Ärztliche Beratung unverzichtbar? Im Streit um die Rezeptpflicht für die "Pille danach" mischen sich medizinische, ethische und gesellschaftspolitische Aspekte. Bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags werden am 2. Juli die unterschiedlichen Positionen aufeinanderprallen.
Ob die von der Opposition geforderte Anhörung ein parlamentarisches Nachspiel haben wird, ist zweifelhaft. SPD und Union liegen bei der "Pille danach" über Kreuz. Aber wegen des Streits um die Rezeptfreigabe für Levonorgestrel den Koalitionsfrieden riskieren?
Die "Ärzte Zeitung" lässt unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen und hat in einem Dossier Material zum Thema aufbereitet. (fst/bee)
Pro Rezeptfreiheit: Von Professor Daphne Hahn
Im Sinne der Frauengesundheit für die Freigabe
Von Professor Daphne Hahn
Pro familia setzt sich seit Jahren dafür ein, dass endlich auch in Deutschland die Pille danach auf Levonorgestrelbasis (LNG) aus der Rezeptpflicht entlassen wird. Die Pille danach wirkt umso effektiver, je früher sie nach ungeschütztem Sexualkontakt eingenommen wird. Der Weg zum Arzt/zur Ärztin kostet Zeit bis zur Einnahme und verursacht unnötige Kosten für die Frauen und im Gesundheitssystem.
Zur rezeptfreien Abgabe von LNG existieren in Europa inzwischen wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen aus etwa 15 Jahren und 28 Ländern. Demnach gilt die Pille danach als sicher, wirksam und nebenwirkungsarm. Die Weltgesundheitsorganisation kam auf Grund der wissenschaftlichen Datenlage bereits im Jahr 2010 zu der Einschätzung, dass LNG von Frauen - auch in der Adoleszenzphase - ohne ärztliche Beratung eingenommen werden kann.
pro familia hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es keine sachlichen Gründe gibt, die gegen die Rezeptfreiheit sprechen und dass die von Gegner/innen oft angeführten Argumente haltlos sind. Levonorgestrel ist für die Anwendung zur Nachverhütung medizinisch unbedenklich. Es ist sehr gut untersucht, nebenwirkungsarm und es gibt kein Risiko der Überdosierung, keine wesentlichen Interaktionen mit anderen Arzneimitteln. Bei allen für LNG aufgezeigten relativen Kontraindikationen überwiegt der Nutzen der Anwendung gegenüber den Risiken.
Die internationale Studienlage belegt, dass Frauen weiterhin reguläre Verhütung anwenden, wenn die Pille danach rezeptfrei erhältlich ist, und dass sexuell übertragbare Krankheiten nicht zunehmen. In den Ländern mit rezeptfreier Vergabe der Pille danach ist auch kein Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche zu verzeichnen.
Im Sinne der Verbesserung der Frauengesundheit brauchen wir die rezeptfreie Vergabe der Pille danach, da die Versorgung an Wochenenden und Feiertagen nicht sichergestellt ist, vor allem in Regionen mit überwiegend konfessionell geführten Klinken. Deutschland gehört zu den wenigen europäischen Ländern, die auf der Rezeptpflicht von LNG beharren. Der zuständige Sachverständigenausschuss des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat bereits im Jahr 2003 und erneut in diesem Frühjahr die rezeptfreie Abgabe der Pille danach als sicher eingestuft.
Das Festhalten an der Rezeptpflicht der LNG-Pille widerspricht der Umsetzung internationaler evidenzbasierter wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrung. pro familia sieht in dem deutschen "Sonderstatus" eine nicht nachvollziehbare Beschränkung des Zugangs zu Verhütung für Frauen.
Contra Rezeptfreiheit: Von Dr. Christian Albring
Wissenschaftliche Ergebnisse werden geleugnet
Von Dr. Christian Albring
Aus medizinischer und ethischer Sicht spricht in Deutschland nichts für die Entlassung des überholten Levonorgestrel (LNG) aus der Rezeptpflicht. In Ländern ohne ein engmaschiges soziales Gesundheitssystem mag das weniger wirksame, billige LNG besser sein als gar keine Notfallkontrazeption.
Da LNG nur bis zum Anstieg des LH-Spiegels wirkt und nicht darüber hinaus, hilft es ausgerechnet in den zwei Tagen vor dem Eisprung nicht. Dagegen verringert das bis kurz vor dem Eisprung wirksame, europaweit verschreibungspflichtige Ulipristalacetat (UPA) das Schwangerschaftsrisiko gegenüber LNG auf ein Drittel. Die Wirkung des LNG lässt zudem schon ab einem BMI von 25 nach; ab 75 Kilo Körpergewicht ist überhaupt keine Wirkung mehr vorhanden.
Nur ÄrztInnen können entscheiden, ob die Betroffene eine Notfallverhütung braucht, und ob ab 95 Kilo gar eine Kupferspirale eingelegt werden muss. Apotheker können zwar zu Nebenwirkungen von Arzneimitteln beraten, aber eine medizinische Beratung mit Alternativen in der Sofortversorgung ist eine ärztliche Aufgabe. UPA ist zu jedem Zeitpunkt der Einnahme zuverlässiger wirksam, aber rezeptpflichtig. Da es im Notfall keinen "zweiten Versuch" gibt, würde die Freigabe eines wirkschwachen Arzneimittel nicht nur nicht helfen, sondern Schwangerschaftsabbrüche provozieren.
So zeigt die Erfahrung in England, dass Mädchen und Frauen im Notfalle gar nicht wissen, ob, wie und wann sie die freie Pille danach einnehmen sollen: Dort werden pro Kopf fünfmal so viele Notfallkontrazeptiva gekauft wie in Deutschland, gleichzeitig ist die Rate an Schwangerschaftsabbrüchen viermal höher als bei uns. Das zeigt, dass eine Rezeptfreigabe keine Lösung sein kann. Zudem haben wir die Bereitschaftsdienste der Kassenärztlichen Vereinigungen, die rund um die Uhr erreichbar sind. Sie werden regelmäßig von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktion und dem Berufsverband der Frauenärzte mit einer aktualisierten Checkliste zur Notfallverhütung versorgt, so dass eine ärztliche Betreuung der Mädchen und Frauen jederzeit gewährleistet ist.
Zu unserem Bedauern haben sich die Befürworter der Rezeptfreiheit aus der medizinisch-sachlichen Diskussion verabschiedet. Sie leugnen den anerkannten Wissensstand: Die deutliche Überlegenheit von UPA, die nachlassende Wirksamkeit von LNG bei steigendem BMI und die weltweit einmalige Reduktion der Schwangerschaftsabbruchrate in Deutschland (unter 18 Jahren ein Rückgang um 41 Prozent seit 2006, über 18 Jahren ein Rückgang um 16 Prozent). Damit schaden sie den Frauen, um die es geht.
Was die Opposition fordert
Gegenstand der Anhörung im Gesundheitsausschuss sind zwei Anträge von Linken und Grünen.
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Selbstbestimmung bei der Notfallverhütung stärken - Pille danach mit Wirkstoff Levonorgestrel schnell aus der Verschreibungspflicht entlassen
BT-Drucksache 18/492
Nach Ansicht der Grünen gibt es "keine sachlichen Gründe, die rezeptfreie Abgabe der "Pille danach" mit dem Wirkstoff Levonorgestrel abzulehnen". Dies hätten beispielsweise die wiederholten Empfehlungen des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aus den Jahren 2003 und 2014 deutlich gemacht.
Die Grünen fordern, der Bundestag solle der Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung, wie sie der Bundesrat gefordert hat, zustimmen. Die Länderkammer hat bereits mehrfach dafür ausgesprochen, den Wirkstoff Levonorgestrel rezeptfrei zu stellen.
Antrag der Fraktion Die Linke: Bundestagsmehrheit nutzen - Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen
BT-Drucksache 18/1617
Die Linken verweisen darauf, in der weit überwiegenden Zahl der europäischen Länder könne die "Pille danach" auf Basis des Wirkstoffs Levonorgestrel "rezeptfrei und komplikationslos in Apotheken gekauft werden". Dabei erinnert die Fraktion daran, dass die Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2010 bei einer Bewertung der "Pille danach" auf Basis des Wirkstoffs Levonorgestrel zu dem Schluss gekommen ist, "dass die Anwendung der Methode einfach und eine ärztliche Betreuung für eine korrekte Anwendung nicht erforderlich sei". Die Linken halten Apotheker "bestens qualifiziert", über "Risiken, Nebenwirkungen und die korrekte Einnahme sachgerecht zu informieren".
Was Sachverständige berichten
Insgesamt 15 Sachverständige sollen am Mittwoch im Gesundheitsausschuss zu Wort kommen. Einige von ihnen haben ihre Stellungsnahme vorab dem Ausschuss zur Verfügung gestellt. Zehn der Sachverständigen wurden von Union und SPD benannt, fünf von Grünen und Linken.
Dr. Christoph Baumgärtel von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit berichtet in seiner Stellungnahme von der - ähnlich wie in Deutschland - jahrelangen Debatte über die Pille danach. Im Nachbarland ist das Notfallkontrazeptivum seit Dezember 2009 rezeptfrei erhältlich. Im Vorfeld hatte es von Patientinnen aus ländlichen Krankenhäusern immer wieder Berichte gegeben, die Probleme bei der rechtzeitigen Beschaffung des Notfallkontrazeptivums erkennen ließen. Erst auf Nachfrage der zuständigen Behörde in Österreich habe der dortige Zulassungsinhaber für den Wirkstoff Levonorgestrel seinen Antrag auf Rezeptfreistellung erneuert, berichtet Baumgärtel.
Der Donum vitae Bundesverband spricht sich für die Beibehaltung der geltenden Rechtslage, also der Verschreibungspflicht, aus die Verschreibungspflicht für Levonorgestrel. Es handele sich bei der "Pille danach" um ein "hochdosiertes Hormonpräparat", das bei Rezeptfreigabe "unkontrolliert beliebig oft ab Beginn der Geschlechtsreife vorgenommen werden kann". Donum vitae warnt vor der Möglichkeit, "dass eine kontrollierte Empfängnisverhütung vernachlässigt wird, was einen Anstieg ungewollter Schwangerschaften zur Folge haben könnte". Der Verband argumentiert mit einer "Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern", die dazu führen müsse, dass die Einnahme des Wirkstoffs nur nach ärztlicher Beratung erfolgen dürfe. Insofern bedeutet die Beibehaltung der Verschreibungspflicht "keine Einschränkung der Persönlichkeitsrechte der Frau".
Der Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein (SkF) hat nach eigenen Angaben "aus der Praxis der Beratung heraus" alle Argumente für und wider der Rezeptfreigabe abgewogen. Man sei nicht zu dem Ergebnis gekommen, "dass die Vorteile der Freigabe die Nachteile überwiegen", heißt es. Nötig sei allerdings ein niederschwelliger und schneller Zugang für betroffene Frauen sowie eine kompetente Beratung durch Ärzte. Und daran, so der SkF, mangele es "vor allem an Wochenenden und an Feiertagen und auf dem Land". So seien etwa Notdienste oftmals nicht mit Gynäkologen besetzt. Der Verein spricht sich dafür aus, die Beratungskompetenz von Ärzten, Apothekern sowie von Schwangerschaftsberatungsstellen zu stärken. 50.000 Frauen und Männer haben im vergangenen Jahr die 120 Schwangerschaftsberatungsstellen der SkF aufgesucht, heißt es.
Die Historie des Konflikts
Oktober 2012: Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich in einem Antrag dafür aus, den Wirkstoff Levonorgestrel (LNG) rezeptfrei zu stellen. Voraussetzung für die rezeptfreie Abgabe soll aber eine Beratung durch Apotheker sein.
Januar 2013: Bundesweit sorgt die Weigerung zweier katholischer Kliniken in Köln, eine Frau zu behandeln, die vermutlich Opfer einer Vergewaltigung wurde, für Aufregung. Beide Krankenhäuser begründeten ihre Weigerung, der Frau zu helfen mit dem Verweis auf die ethischen Grundsätze des konfessionell gebundenen Klinikträgers, die eine eventuell geforderte Abgabe der "Pille danach" verböten .
Januar 2013: Die Links-Fraktion im Bundestag spricht sich in einem Antrag für die Entlassung von Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht aus.
Februar 2013: Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) hat die Erklärung des Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Meisner zur Verordnung der "Pille danach" begrüßt. Meisners neue Position: Nach einer Vergewaltigung kann ein Präparat eingesetzt werden, das auf die Verhinderung der Zeugung zielt. Die Verordnung von Präparaten, deren Wirkprinzip die Nidationshemmung ist, sei dagegen nicht vertretbar, weil es sich dabei um eine Tötung handele.
Mai 2013: Union und FDP haben im Gesundheitsausschuss des Bundestags dafür votiert, an der Verschreibungspflicht für die sogenannte "Pille danach" festzuhalten. Die beiden Fraktionen lehnten entsprechende Anträge von SPD und Linken ab.
November 2013: Der Bundesrat fordert, den Levonorgestrel in einer Konzentration von bis zu 1,5 mg für "die einmalige Einnahme zur Notfallkontrazeption" aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Die Länderkammer verspricht sich davon "einen niedrigschwelligen und schnellen Zugang zur Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft", heißt es in der Begründung.
Januar 2014: Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, sorgt für Aufregung mit einem "Smarties"-Vergleich. Er erklärte: "Für uns als CDU ist klar, die Pille danach wird es auch in Zukunft nur auf Rezept geben. Das sind keine Smarties, das ist ein Medikament mit Risiken und Nebenwirkungen". In der ersten Sitzungswoche im neuen Jahr wollte der Bundestag über die "Pille danach" beraten. Das Thema wurde von der Tagesordnung genommen - denn zwischen SPD und Union besteht dazu keine Einigkeit.
Januar 2014: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält an seiner bisherigen Empfehlung zu Levonorgestrel ("Pille danach") fest. Der Ausschuss für Verschreibungspflicht empfahl wie schon im Jahr 2003, die Rezeptpflicht für das Notfallkontrazeptivum aufzuheben. Tags darauf sprach sich der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, gegen eine Freigabe aus. Levonorgestrel bleibe ein "Notfallmedikament mit Nebenwirkungen".
Februar 2014: In der SPD-Fraktion werden Stimmen laut, die Rezeptfreiheit für Levonorgestrel notfalls über den Bundesrat durchzusetzen. Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nochmals seine Ablehnung dieses Vorhabens deutlich gemacht.
Februar 2014: Bei einer von der Opposition erzwungenen Debatte im Bundestag werden die Verhärtungen zwischen Union und SPD deutlich. "Wir wollen nicht auf die ärztliche Beratung der Betroffenen verzichten", sagte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Annette Widmann-Mauz (CDU). Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach rügte die Haltung der Bundesregierung als "willkürlich". Die Rezeptpflicht beizubehalten verliefe einzig nach dem Motto "ein bisschen Strafe muss sein".
April 2014: Im Streit um die Freigabe von LNG bleiben die Fronten verhärtet. Das Bundesgesundheitsministerium hat dem Bundesrat die entsprechende Verordnung erneut vorgelegt. Sie enthält nicht die vom Bundesrat ausdrücklich geforderte Entlassung von Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht. Seit November 2013 blockiert der Bundesrat mit seiner Forderung die Umsetzung einer EU-Richtlinie umgesetzt werden soll. Diese Richtlinie regelt die Anerkennung von in anderen EU-Mitgliedstaaten ausgestellten Verschreibungen. Weil die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren.
Mai 2014: Punktsieg für Gröhe: Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hat die Blockade der EU-Verordnung aufgegeben, mit der die Länder die Rezeptfreiheit für Levonorgestrel (PiDaNa) erzwingen wollten. Allerdings legt der Bundesrat mit der Mehrheit von elf Ländern sofort einen neuen Antrag vor, der wiederum den Antrag enthält, LNG aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
Juni 2014: Der Gesundheitsausschuss des Bundestags beschließt auf Druck der Opposition eine Anhörung zur "Pille danach".