Schiedsspruch zu Richtgrößen schockiert Ärzte in Berlin
Die Kassen freuen sich, KV-Vertreter zeigen sich überrascht und enttäuscht: Nach einem Beschluss des Schiedsamts warnen Ärzte vor steigender Regressgefahr.
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Das Rezept als Risiko: Nach Hochrechnungen könnten künftig mehr als zehn Prozent der Ärzte über der Regressgrenze liegen.
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BERLIN (ami). Die niedergelassenen Ärzte in Berlin sind in Alarmstimmung. Das Schiedsamt hat die neuen Arzneimittelrichtgrößen festgelegt. In manchen Fachgruppen schrumpfen sie um die Hälfte.
Die Richtgröße der Kinderärzte sinkt durch den Schiedsspruch zum Beispiel um fast 60 Prozent, wie die KV Berlin mitteilte.
Allgemeinmediziner dürfen ihren Rentnern ab Juli nur noch Medikamente für 104,27 Euro verordnen, allen anderen Patienten für 41,54 Euro. Bisher standen ihnen 143,92 Euro für Rentner und 50,33 Euro für andere Patienten zur Verfügung.
217 Allgemeinmediziner von Regress bedroht
Eine KV-Hochrechnung hat ergeben, dass damit 217 von insgesamt 1717 Allgemeinmedizinern von einem Regress durch Richtgrößenüberschreitung bedroht sind.
In sehr vielen Fachgruppen liegen der Hochrechnung zufolge deutlich mehr als zehn Prozent der Ärzte über der Regressgrenze. Gesetzlich vorgesehen ist, dass nicht mehr als fünf Prozent geprüft werden.
Die Richtgrößen-Senkung trifft laut KV fast alle Fachgruppen. Anästhesisten, Augenärzte, Nervenärzte und Reha-Mediziner profitieren zum Teil. Einige Fachgruppen wurden für die neue Richtgrößensystematik neu gebildet.
So waren bisher alle Internisten zusammengefasst. Nun gibt es für jeden Schwerpunkt eigene Richtgrößen. Hier trifft es Kardiologen und Gastroenterologen besonders hart.
"Echte Bedrohung der medizinischen Versorgung"
Von einer "echten Bedrohung der medizinischen Versorgung" spricht Dr. Rolf Drossel, Vorsitzender des Vereins gastroenterologisch tätiger Internisten in Berlin. Betroffen seien vor allem Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und chronischen Lebererkrankungen.
Doch auch die Ärzte mit höheren Richtgrößen als bisher sind künftig nicht gegen Regresse gefeit. So steigen die Richtgrößen der Onkologen und Rheumatologen zwar um mehr als 400 Prozent. Dafür werden in diesen Fachgruppen aber bestimmte Praxisbesonderheiten nicht mehr anerkannt.
Das Schiedsamt ist mit seiner Entscheidung nach KV-Angaben voll dem Vorschlag der Krankenkassen gefolgt. Die Kassenverbände begrüßten den Schiedsspruch als "versorgungsgerechte Abbildung der Verordnungskosten". Die Senkung bei Allgemeinmedizinern und Kinderärzten sehen sie durch Preissenkungen der letzten Jahre gerechtfertigt.
KV-Chefin Dr. Prehn: Ergebnis unverständlich
Als "katastrophal für die Patienten" wertet dagegen das für Arzneimittel zuständige Vorstandsmitglied Burkhard Bratzke den Schiedsspruch. KV-Chefin Dr. Angelika Prehn bezeichnete das Ergebnis als enttäuschend und unverständlich.
"Jeder Griff zum Rezeptblock bedeutet für einen Vertragsarzt in Berlin künftig eine konkrete Regressgefahr. Es kann doch nicht sein, dass selbst ein Arzt, der bisher wirtschaftlich verordnet hat, nun für diese Medikamente selbst bezahlen soll", sagte Prehn. Sie geht davon aus, dass viele spezialisierte Behandlungen und die Verordnungen teurer Medikamente wieder in die Kliniken verlagert werden.