Gesetzentwurf
Schutz vulnerabler Gruppen bei Corona-Triage: Zwei Intensivmediziner sollen entscheiden
Die Bundesregierung legt einen Gesetzentwurf vor, der Menschen mit Behinderung vor Benachteiligung in Triage-Situationen schützen soll. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Schritt angesichts der vierten Corona-Welle Ende 2021 angemahnt.
Veröffentlicht:Berlin. Menschen mit Behinderungen, aber auch Hochbetagte sollen im Falle einer pandemiebedingten Triage künftig besonders geschützt sein. Das geht aus einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes hervor. Der Entwurf liegt der Ärzte Zeitung vor.
Wie aus der dazugehörigen Formulierungshilfe für die Ampel-Fraktionen hervorgeht, soll „bei der ärztlichen Entscheidung über die Zuteilung von pandemiebedingt nicht ausreichenden überlebenswichtigen, intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten im Krankenhaus“ niemand aus „Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden“.
Ausschlaggebend dürfe nur der Patientenwille sowie die „Dringlichkeit der intensivmedizinischen Behandlung“ und die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ sein. Komorbiditäten oder die Gebrechlichkeit sollen ärztliches Handeln dann beeinflussen, wenn durch „Schwere oder Kombination“ die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ des betreffenden Patienten „erheblich“ verringert sei.
Zwei Intensivmediziner sollen entscheiden
Die Entscheidung darüber sollen zwei „mehrjährig intensivmedizinisch erfahrene praktizierende Fachärztinnen oder Fachärzte mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich“ herbeiführen. Beide Ärzte sollen den Patienten vorab „unabhängig voneinander“ begutachten.
Besteht kein Einvernehmen, soll eine „weitere, gleichwertig qualifizierte ärztliche Person“ hinzugezogen werden. Die Ärzte sollen dann „mehrheitlich“ entscheiden, wie zu verfahren ist.
Urteil des Verfassungsgerichts
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Zudem soll die Ausbildung von Ärzten um „behinderungsspezifische Besonderheiten“ bei pandemiebedingt knappen Behandlungskapazitäten ergänzt werden. An entsprechenden Aus- und Fortbildungsinhalten soll die Bundesärztekammer mitwirken. Ziel sei es, „das Risiko insbesondere der unbewussten Stereotypisierung nachhaltig“ zu senken und mehr Fachwissen zu behinderungsspezifischen Besonderheiten aufzubauen.
Karlsruhe verlangt „unverzügliche“ Schutzvorkehrungen
Mit ihrem Gesetzentwurf reagiert die Koalition auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe von Dezember 2021. Die Richter hatten der Regierung auferlegt, „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen bei der pandemiebedingten Triage zu treffen. Andernfalls sei zu befürchten, dass diese bei der Zuteilung intensivmedizinischer Behandlungsressourcen benachteiligt würden. Geklagt hatten mehrere Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen.
Nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
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Die Entscheidung in Karlsruhe fiel vor dem Hintergrund der Ende vergangenen Jahres aufbrandenden vierten Corona-Welle. Diese hatte die Intensivstationen fast bundesweit an die Belastungsgrenzen gebracht. Teils mussten Patienten in andere Bundesländer verlegt werden. Die neue Omikron-Variante hatte die Lage zusätzlich verschärft.
Intensivmediziner hatten mit Blick auf das Urteil aus Karlsruhe die Sorge geäußert, die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen könne eingeschränkt werden. Gleichzeitig hatten sie eine Gesetzesregelung angemahnt, die zu mehr Rechtssicherheit bei der Extremsituation der Triage führt. (hom/af)