Schädlicher Alkoholkonsum
Schwangere besser aufklären
Das Ausmaß schwerer Schädigungen von Kindern durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft wird offenbar drastisch unterschätzt. Die Politik soll helfen, besser aufzuklären - und Betroffene vor Stigmatisierung zu schützen, fordern Experten.
Veröffentlicht:BERLIN. Jede Schwangere weiß, dass Alkoholkonsum erhebliche Folgen für ihr Neugeborenes haben kann - doch nicht jeder Frau ist bewusst, dass dies auch für geringe Mengen gilt.
Bei einem Expertengespräch im Gesundheitsausschuss des Bundestages forderten Sachverständige aus Medizin und Praxis deswegen dazu auf, das Problem des fetalen Alkoholsyndroms (FAS) systematisch anzugehen.
Dazu seien eine geeignete Vorbeugung, Aufklärung, Diagnose und Behandlung nötig.
Das FAS ist die häufigste nichtgenetische Ursache für eine geistige Behinderung, konstatiert die "Stiftung für das behinderte Kind".
In Deutschland werden jedes Jahr im Schnitt 2000 Kinder geboren, die alle Anzeichen eines FAS zeigen und schätzungsweise rund 10.000 Kinder, die einzelne Anzeichen von einer Schädigung durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft aufweisen.
Zu selten diagnostiziert
Mit konservativ geschätzt 200.000 Betroffenen ist es keinesfalls ein Randphänomen.
"Allerdings wird die Diagnose FAS viel zu selten gestellt, da die professionellen Helfer im Gesundheitssystem Hemmungen haben, einen diesbezüglichen Verdacht auszusprechen oder zu wenig über das Krankheitsbild informiert sind", stellt die wissenschaftliche Fachgesellschaft für Neuropädiatrie in ihrer Leitlinie für die FAS-Diagnostik fest. Für die Behandlung sei eine konkrete Diagnose jedoch unverzichtbar.
Bereits im November hatte auch die Fraktion der Linken die Mängel im Umgang mit dem Problem adressiert: "Es existiert ein unzureichendes Netz von Angeboten, das Beratungsangebot besteht auf einem niedrigen Level", kritisierte die Partei in einer Kleinen Anfrage unter dem Titel "Schädigung von Föten durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft".
Die Antwort der Bundesregierung: "Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung haben seit der letzten Legislaturperiode zahlreiche Initiativen zur Information, Stärkung der Prävention sowie zur Verbesserung der Diagnostik von FAS durchgeführt."
Allein im Zeitraum zwischen März 2011 und Februar 2012 habe das BMG sieben Modellvorhaben mit Haushaltsmitteln in Höhe von rund 261.000 Euro gefördert, die sich auf lokaler und regionaler Ebene unterschiedlichen Ansätzen der Prävention von Tabak- und Alkoholkonsum in Schwangerschaft und Stillzeit widmeten.
"Aktuell werden im Rahmen einer zweiten Förderphase drei der sieben Modellvorhaben für zwei weitere Jahre mit Haushaltsmitteln in Höhe von rund 415.000 Euro unterstützt, um ihre Ansätze überregional zu implementieren."
Tatsächlich wird laut den Sachverständigen - Professor Hans-Ludwig Spohr (Charité Campus Virchow Klinikum), Professor Florian Heinen (Pädiatrische Neurologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital), Gisela Michalowski (FASD Deutschland) und Elke Mattern (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) - nur etwa ein Fünftel der Fälle sofort erkannt, der Rest nicht oder erst mit Verzögerung.
Die Experten sprachen von einem "absolut kritischen Zukunftsthema", weshalb Einrichtungen geschaffen werden sollten, wo Diagnose-Spezialisten ausgebildet und Behandlungen konzipiert werden könnten.
Warnbotschaften auf Flaschen?
In einer von der Fachstelle für Suchtprävention Berlin beauftragten Studie zum Tag des alkoholgeschädigten Kindes am 9. September 2014 wurden über 1000 Personen über 14 Jahren befragt.
Das Ergebnis: 85 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass Alkohol während der Schwangerschaft generell problematisch ist.
In der Altersgruppe der 14 bis 29-Jährigen sind es 94 Prozent, bei den über 60-Jährigen 80 Prozent. Unterschieden nach Berufsgruppen zeigt sich, dass nur 65 Prozent der Freien Berufe und Selbstständigen Alkohol als generell problematisch einschätzen und 35 Prozent der Meinung sind, dass ab und zu ein Glas Sekt nicht schaden kann.
Auf die Frage "Wie kann sich Alkoholkonsum in der Schwangerschaft schlimmstenfalls auf das werdende Kind auswirken?" geben nur 56 Prozent an, dass es zu lebenslangen schweren Behinderungen führen kann.
Nötig ist nach Ansicht der Experten eine sensible Beratung der betroffenen Frauen, die keinesfalls stigmatisiert werden dürfen. Auch dürfe es künftig nicht zu einer reinen Abfrage heikler Angaben kommen oder gar zu einer Art "Alkoholpolizei".
Die Erfahrung zeige, dass schwangere Frauen oder Mütter mit kleinen Kindern, die nach ihrem Alkoholkonsum befragt würden, schlicht nicht die Wahrheit sagten.
Die Frauen entzögen sich auf diese Weise einer möglichen Diagnose, die aber auch für die Nachsorge von entscheidender Bedeutung sei.
Die Experten forderten neben spezialisierten Einrichtungen auch geeignete Initiativen, um das Problem bekannt zu machen und auf die Gefahren konkret hinzuweisen.
Denkbar wären dazu Warnbotschaften wie bei Zigaretten, Werbekampagnen oder verpflichtende Hinweise von Ärzten und Hebammen zu Beginn einer Schwangerschaft. Frankreich beispielsweise hat bereits verpflichtende Piktogramme als Warnhinweise für alle Alkoholflaschen vorgeschrieben.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken gibt es hier.