Ebola
Sich jetzt zurückzulehnen, wäre ein fahrlässiger Fehler
Die stagnierenden Zahlen von Ebola-Neuerkrankungen in Westafrika sind Anlass zur Hoffnung - jedoch keinesfalls dazu, das Virus von der politischen Agenda zu verbannen. Im Gegenteil: Jetzt ist es Zeit, Strategien für die Zukunft zu entwickeln.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Zufrieden lehnt man sich zurück. Geschafft! Ebola ist unter Kontrolle! Nur vorsichtig ertönen Zwischenrufe, dass es für eine vollständige Entwarnung zu früh sei.
Die Bundeswehr beendete jüngst ihren Einsatz in Liberia, die USA haben schon zuvor die meisten ihrer 2800 Soldaten aus Westafrika zurückgeholt - der Kriseneinsatz sei erfolgreich gewesen, so das Pentagon. Zeit also, sich zurückzulehnen?
Dass die Alarmbereitschaft bei Politikern, Wissenschaftlern und Medizinern nun möglicherweise zurückgeht, liegt vor allem am - bisher - vergleichsweise regionalen Charakter der Ebola-Epidemie.
Erinnern wir uns im Vergleich etwa an SARS: Die bis zum Winter 2002/2003 unbekannte Lungenkrankheit breitete sich von Hongkong binnen weniger Monate aus. Mehr als 8000 Menschen in 37 Ländern erkrankten.
Schätzungen zufolge kostete die SARS-Welle die Weltwirtschaft ein Wachstum von 1,4 Prozent, vor allem wegen massiver Einschränkungen im internationalen Flugverkehr.
Im Vergleich dazu ist der Ebola-Ausbruch des vergangenen Jahres zwar ein bedeutendes, aber regionales Problem.
Doch das könnte sich jederzeit ändern. Nicht nur, dass die aktuelle Epidemie an verschiedenen, epidemiologisch unabhängigen "Hotspots" weiterbrodelt, wie Professor Stephan Becker nun als Referent bei der Frankfurter Medizinischen Gesellschaft sagte.
Auch die Fragezeichen in der Ebola-Forschung bereiten dem Virologen der Philipps-Universität Marburg Sorgen.
Ob auch ein Ausbruch außerhalb Afrikas möglich sei? Verneinen kann Becker diese Frage nicht. "Die Flughunde, die das Ebola-Virus tragen, gibt es auch in anderen Teilen Afrikas, ja sie wurden sogar schon einmal in Südspanien gesichtet.
Wann und wo sie das Virus auf den Menschen übertragen, weiß derzeit keiner." Die Frage, warum Flughunde, die das Ebola-Virus tragen, nicht symptomatisch werden, sei aktuell die "100.000-Dollar-Frage".
Bessere Vorbereitung auf hochinfektiöse Fälle
Forscher, Politiker und Hilfsorganisationen sollten sich also keinesfalls in der trügerischen Sicherheit der positiven Meldungen weitgehend stagnierender Ebola-Neuerkrankungen wähnen.
Für das Netz der sieben Sonderisolierstationen in Deutschland hat Becker zwar lobende Worte - "doch in den normalen Kliniken ist kaum jemand auf hochinfektiöse Patienten vorbereitet".
Dass auch unter medizinischem Personal angesichts eines akuten Notfalls Angst ausbrechen könnte, kann der Virologe gut verstehen: "Wenn man nicht weiß, wie man sich schützen kann, hat man eben Angst."
Seine Forderung: Schulung von Notaufnahmen, eine bessere Vorbereitung der medizinischen Strukturen auf hochinfektiöse Patienten.
Wir alle könnten im Ernstfall davon profitieren, wenn Pfleger und Ärzteteams wie an der Charité oder der Frankfurter Uniklinik genau wissen - und bereits im Vorfeld erproben -, wie sie mit hochinfektiösen Patienten umzugehen haben.
Dass auch in modernen Kliniken Fehler möglich sind, zeigen die Ebola-Ansteckungsfälle aus den USA und Spanien.
Auch in der Versorgung der Betroffenen ist weitere Klarheit nötig - beispielsweise wenn es an die Dialyse geht. "Nur weltweit fünf Ebola-Patienten sind dialysiert worden, drei von ihnen starben", berichtete Dr. Timo Wolf, Oberarzt der Frankfurter Isolierstation.
Die Mediziner stehen dabei vor Herausforderungen: Welche Art der Dialyse ist geeignet, wie muss der Abfall entsorgt werden? Es sind Fragen, die dringend beantwortet werden müssen.
Das kompetente, schnelle Handeln im Ernstfall muss von der Politik kontrolliert werden. Beispielsweise mit einem Nationalen Aktionsplan "Emerging Infections". "Wir müssen Ebola nutzen, um diesen jetzt auf die Beine zu stellen", ist sich Becker sicher.
Ein Leitfaden könnte helfen, Hilfe im Ernstfall besser zu koordinieren - und ein zu spätes Aktivwerden der internationalen Kräfte wie im jüngsten Fall des Ebola-Ausbruchs zu verhindern.
Entwicklungspolitisch bedeutet die zielführende Auswertung der bisherigen Erfahrungen aber auch, auf globaler Ebene Strategien zu entwickeln, wie den betroffenen Ländern geholfen werden kann.
"Ebola hat unsere Wirtschaft ruiniert"
Beispiel Sierra Leone: Eigentlich reich gesegnet mit Rohstoffen, hat hier ein jahrelanger Bürgerkrieg Wirtschaft und Infrastruktur schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen rangiert die kleine Nation gerade mal an 183. Stelle - von 195 Ländern.
Umso härter wird das Land von der Krankheit getroffen: "Ebola hat unsere Wirtschaft ruiniert", sagte Sierra Leones Präsident Ernest Koroma jüngst. "Wenn wir eine nachhaltige Erholung nach Ebola wollen, müssen wir auf die vielen Problembereiche Antworten finden, wo unsere Länder verletzbar geworden sind."
Der Kampf gegen Ebola gehört weiterhin nach oben auf die politische Agenda - auf dem internationalen Parkett, aber auch hierzulande.
So tragisch der gewaltige Ebola-Ausbruch mit seinen 10.000 Toten ist, so birgt er auch eine Chance, endlich eine Strategie für die Zukunft zu entwickeln.
Wird die Forschung gegen Ebola aber wieder schleifen gelassen, so wird die internationale Gemeinschaft beim nächsten Ausbruch ebenso überrumpelt sein wie vergangenes Jahr.
Ein zufriedenes Zurücklehnen in der trügerischen Sicherheit der stagnierenden Zahlen wäre deshalb geradezu fahrlässig.