Priorisierung
Sind Ärzte zu passiv?
Der Deutsche Ärztetag hat schon 2009 in Mainz eine breite Diskussion über das Thema Priorisierung im Gesundheitswesen gefordert. Doch die kommt auch sechs Jahre später nur schwer in Gang.
Veröffentlicht:KÖLN. Ärzte sollten eine aktive Rolle bei der Priorisierung medizinischer Leistungen einnehmen - allerdings nicht bei jeder Form der Priorisierung.
Davon geht Professor Matthias Graf von der Schulenburg aus, Direktor des Instituts für Versicherungsbetriebslehre an der Universität Hannover.
Von der Schulenburg unterscheidet zwischen vertikaler und horizontaler Priorisierung. Bei der Vertikalen geht es um die Frage, welche Patienten innerhalb eines definierten Kollektivs welche Leistungen erhalten sollen.
Diese Entscheidungen seien nur mit Hilfe der Ärzteschaft zu treffen, sagte der Wissenschaftler auf dem "Gesundheitskongress des Westens 2015" in Köln.
Anders sehe es aus bei der horizontalen Priorisierung, die eine Rangfolge für unterschiedliche Patientengruppen schafft. "Da sollten sich die Ärzte möglichst zurückhalten." Dieser Bereich sollte der gesellschaftlichen Diskussion überlassen bleiben, findet von der Schulenburg.
Grundsätzlich dürfe Priorisierung nur dann stattfinden, wenn es eine unabweisbare Knappheit gibt. Dabei schließen sich für ihn Rationierung und Priorisierung nicht gegenseitig aus.
Im Gegenteil: "Das eine geht nicht ohne das andere, es sind ergänzende Konzepte", sagte er. Für entscheidend hält er die Arbeit mit Verteilungs- und Gerechtigkeitskriterien, die sich auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz stützen können.
Spielt das Alter eine Rolle?
Nach Angaben von Professor Christian Katzenmeier, Direktor des Institutes für Medizinrecht an der Universität Köln, bietet sich eine Reihe von Kriterien an.
Dazu zählt er die Transparenz, die Evidenzbasierung, die Legitimität und die Rechtsschutzmöglichkeit. "Auch der medizinische Nutzen und die Kosteneffektivität kommen als Kriterium in Frage."
Es sei umstritten, ob bei der Priorisierung medizinischer Leistungen auch das Alter der Patienten eine Rolle spielen sollte, sagte Katzenmeier. Verfassungsrechtlich sei eine altersbasierte Entscheidung möglich und vertretbar.
"Eine andere Frage ist, ob wir das befürworten", betonte der Jurist. Am Ende der Priorisierung stehe ein Katalog von Leistungen. "Das bedeutet eine Einschränkung der Therapiefreiheit", stellte er klar.
Eine DFG-Forschergruppe habe sich sechs Jahre lang mit dem Thema beschäftigt, ohne zum Konsens über eine Kriterienliste zu kommen, berichtete Professor Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums Essen.
"Was wir brauchen, ist eine öffentliche Debatte unter Einbeziehung der Ärzte." Allerdings müsse die Ärzteschaft auf diesem Gebiet noch Hausaufgaben machen, auch hier fehle der Konsens.
"Die einzelnen Disziplinen finden ihre jeweiligen Behandlungsmaßnahmen unverzichtbar", nannte Nagel einen möglichen Grund.
Die Ärzteschaft sollte sich aktiv an der Debatte über die Priorisierung beteiligen, forderte auch Professor Dominik Groß. "Das würde das Vertrauen stärken", sagte Groß.
Er ist Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie & Ethik der Medizin an der Universität Aachen und Mitglied der Arbeitsgruppe Priorisierung der Bundesärztekammer.
Nach Umfragen wünsche sich der überwiegende Teil der Bevölkerung eine Einflussnahme der Ärzteschaft auf die Gestaltung des GKV-Leistungskatalogs, sagte er.
Aus Sicht von Groß muss Priorisierung nicht mit Rationierung einhergehen. "Es geht zunächst um die Festlegung einer Rangfolge", sagte er. Schlimm sei, wenn rationiert werde, ohne über Prioritäten nachgedacht zu haben.