Kindergesundheitsbericht

Teenager sind belastet, die Hilfesysteme überlastet

Als Folge der Corona-Pandemie haben psychische Belastungen bei Jugendlichen zugenommen. Mit dem Aufwachsen in Zeiten multipler Krisen wächst der Unterstützungsbedarf – doch das Hilfesystem ist am Limit.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Für die Kinder, die professionelle Unterstützung benötigen, wird es eng, heißt es im Kindergesundheitsbericht. Bildungssystem, Gesundheitssystem und Jugendhilfe – alle drei Hilfesysteme seien chronisch überlastet.

Für die Kinder, die professionelle Unterstützung benötigen, wird es eng, heißt es im Kindergesundheitsbericht. Bildungssystem, Gesundheitssystem und Jugendhilfe – alle drei Hilfesysteme seien chronisch überlastet.

© Mikael Damkier / stock.adobe.com

Berlin. Jugendliche leiden stark unter den vielfältigen Krisen dieser Zeit. So waren 2021 deutlich mehr Teenager zwischen 15 und 17 Jahren aufgrund von psychischen Belastungen in ein Krankenhaus eingewiesen worden, als dies 2020 der Fall war.

Allein bei den emotionalen Störungen liegt die Zunahme bei 42 Prozent, beim multiplen Suchtmittelmissbrauch bei 39 Prozent und bei depressiven Episoden bei 28 Prozent. Das geht aus dem aktuellen Bericht der Stiftung Kindergesundheit hervor.

Die Stiftung, die ihren Sitz an der Kinderklinik der Universität München hat, nimmt in ihrem diesjährigen Bericht die gesundheitliche Lage von Jugendlichen in den Blick. Schließlich durchleben etwa acht Millionen Mädchen und Jugend in Deutschland eine wichtige Lebensphase, in der sich der Körper entwickelt, die eigene Sexualität entdeckt wird, die Identität reift und Grenzen getestet werden.

Die Adoleszenz ist auch die Phase, in der die Grundlagen für ein gesundes Leben gelegt werden. „Entwicklungsschritte, die im Jugendalter versäumt werden, können später nicht einfach nachgeholt werden“, betont Professor Berthold Koletzko, Kinder- und Jugendarzt in München sowie Vorstand der Stiftung Kindergesundheit.

Aufwachsen im Zeichen multipler Krisen

Die Corona-Pandemie hat jedoch viele Entwicklungsschritte durchkreuzt oder unterbrochen – mit der Folge, dass die psychischen Belastungen bei Jugendlichen deutlich gestiegen sind. Auch wenn sich die jungen Menschen nun langsam erholen, setzen ihnen jetzt der Krieg gegen die Ukraine und der Klimawandel zu. Die sogenannte „Klimaangst“ ist als neues Phänomen im Kindergesundheitsbericht aufgenommen worden. Dahinter steht, so Kinderarzt Koletzko, jedoch keine Diagnose ist, sondern eine „angemessene Reaktion auf eine konkrete Bedrohung“.

Das Aufwachsen im Zeitalter multipler Krisen müssen die Jugendlichen erst lernen. Viele von ihnen schaffen dies gut, für jene aber, die Hilfe brauchen, wird es eng. Denn das Dramatische ist: An professioneller Unterstützung dabei mangelt es immer mehr. In Schulen und öffentlichen Verwaltungen fehlt es seit Jahren an Lehr- und Fachkräften und die Wartezeiten in Praxen und Kliniken für die nötige Diagnostik erstrecken sich über Monate. „Bildungssystem, Gesundheitssystem und Jugendhilfe – alle drei Hilfesysteme sind chronisch überlastet“, sagt Dr. Katharina Bühren.

Die Fachärztin und ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums in München ist eine der Expertin, die für den Bericht interviewt worden ist. Ihre Einschätzung: „Die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung war schon vor der Pandemie unzureichend. Ein System, das bereits am Anschlag ist, kann nicht deutlich mehr leisten und mehr Diagnosen stellen.“

Täglich körperlich aktiv ist nur eine kleine Minderheit

Im Jugendalter werden jene Verhaltensweisen geprägt, die später über Gesundheit oder Krankheit im Erwachsenenalter entscheiden. Unter den 14- bis 17-Jährigen sind nur 7,5 Prozent der Mädchen und 16 Prozent der Jungen täglich eine Stunde körperlich aktiv. 61 Prozent der Jungen und 32 Prozent der Mädchen essen mehr als zwei Mal pro Woche Fast Food.

Fast ein Viertel der Jugendlichen verfügt über zu wenig Wissen im Bereich Gesundheit. Eine der alarmierenden Folgen: Die Zahl der adipösen Jugendlichen hat nach Versichertendaten des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen um rund ein Drittel zugenommen.

Was hilft? Die Liste mit konkreten Ideen und Forderungen, um die Lage zu verbessern, ist lang und geht weit über das Medizinische hinaus: Die Jugenduntersuchungen und die HPV-Impfung müssen bekannter werden, so dass sie auch häufiger genutzt werden. Bei künftigen Krisen und Pandemien muss die Situation der Jugendlichen stärker berücksichtigt werden.

Lange Liste mit Forderungen

Niedrigschwellige Prävention ist frühzeitig anzubieten, Diagnostik und Intervention sollten zügig erfolgen, zudem sind psychosoziale, psychotherapeutische und psychiatrische Angebote in Schule und Jugendhilfe auszubauen. Gefordert wird schließlich auch, „massiv“ in zusätzliche sozialpädagogische, psychologische und gesundheitsorientierte Fachkräfte zu investieren.

Die Politik müsse den „Kampf gegen den Klimawandel“ bei jeglichem politischen Handeln berücksichtigen. Und an Schulen sollten die Themen „mentale Gesundheit“, „Nachhaltigkeit“, „Ernährung“ und „Gesundheitskompetenz“ dauerhaft im Lehrplan zu verankern werden. Professor Berthold Koletzko stellt klar: „Alle Akteure der Gesellschaft sind gefordert, die Entwicklungschancen junger Menschen bestmöglich zu fördern. Der Kindergesundheitsbericht 2023 liefert Ideen, wie dies besser gelingen kann.“

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

© Springer Medizin Verlag

Intens. Video-Podcast

Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Mann mit Pflaster auf Oberarm gibt Daumen-hoch-Zeichen

© U_Photo / Shutterstock

Impflücken bei Chronikern

Senkung von Morbidität und Mortalität durch bessere Vorsorge

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Kommentare
Abb. 1: Prozentualer Anteil der Patientinnen und Patienten pro Gruppe mit den genannten Symptomen zum Zeitpunkt der Visite 1 (Erstvorstellung) und Visite 2 (24–72h nach Erstvorstellung).

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [13]

Akute Otitis media – Behandlungsoptionen in der Praxis

Leitlinienbasierte Therapie für schnelle Symptomverbesserung

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Homöopathisches Laboratorium Alexander Pflüger GmbH & Co. KG, Rheda-Wiedenbrück

ADHS und Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Guter Schlaf durch schnell freisetzendes Melatonin

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Medice Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Tab. 2: Schlaf bei Kindern nichtpharmakologisch optimieren

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach Angaben von Prof. Dr. Christian F. Poets und [6]

Einschlafstörungen und Melatonin

Was braucht es für einen gesunden Schlaf bei Kindern und Jugendlichen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: P&G Health Germany GmbH, Schwalbach am Taunus
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Porträt

Felix Michl: Unternehmer, Jurist und Medizinstudent

Lesetipps
Arzt injiziert einem älteren männlichen Patienten in der Klinik eine Influenza-Impfung.

© InsideCreativeHouse / stock.adobe.com

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!