Bundesverfassungsgericht

Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat Paragraf 217 SGB für nichtig erklärt: Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verletze das Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

Veröffentlicht: | aktualisiert:
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, Christine Langenfeld (hintere Reihe, l-r), Doris König, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Johannes Masing und Ulrich Maidowski, verkündet das Urteil zum Sterbehilfe-Verbot.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, Christine Langenfeld (hintere Reihe, l-r), Doris König, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Johannes Masing und Ulrich Maidowski, verkündet das Urteil zum Sterbehilfe-Verbot.

© Uli Deck/dpa

Karlsruhe. Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verletzt den einzelnen Menschen in seinem Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, am Mittwoch bei der Urteilsverkündung bezüglich der Sterbehilfe in Karlsruhe. Der neue Paragraf 217 im Strafgesetzbuch mache das weitgehend unmöglich. Die Richter erklärten das Verbot deshalb nach Klagen von schwerkranken Menschen, Sterbehelfern und Ärzten für nichtig. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)

Voßkuhle sagte, der Gesetzgeber könne Suizidprävention betreiben und palliativmedizinische Angebote ausbauen. Die Straflosigkeit der Sterbehilfe stehe aber nicht zu seiner freien Disposition. Ohne Dritte könne der Einzelne seine Entscheidung zur Selbsttötung nicht umsetzen. Dies müsse rechtlich auch möglich sein. Einen Anspruch auf Sterbehilfe gebe es hingegen nicht. Das Urteil verpflichtet also keinen Arzt, gegen seine Überzeugung Sterbehilfe zu leisten.

Nach Voßkuhles Worten hat der Gesetzgeber „ein breites Spektrum an Möglichkeiten“, die Suizidhilfe zu regulieren. Die Hilfe dürfe aber nicht davon abhängig gemacht werden, ob zum Beispiel eine unheilbare Krankheit vorliege. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestehe in jeder Lebensphase eines Menschen. „Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren.“

Paragraf 217 stellt seit 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Nur Angehörige und „Nahestehende“, die beim Suizid unterstützen, bleiben straffrei. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Was heißt „geschäftsmäßig“?

Sterbehilfe-Vereine lassen sich ihre Dienste meist bezahlen. „Geschäftsmäßig“ im juristischen Sinne bedeutet aber nicht gewerblich, sondern so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Aktive Sterbehilfe - also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze - ist und bleibt in Deutschland verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es aber selbst ein.

Professionelle Sterbehelfer hatten ihre Aktivitäten in Deutschland seit dem Verbot weitgehend eingestellt, aber in Karlsruhe dagegen geklagt – genauso wie mehrere schwerkranke Menschen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen möchten. Hinter anderen Verfassungsbeschwerden stehen Ärzte, die befürchten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen. Manche von ihnen wünschen sich auch die Freiheit, Patienten in bestimmten Fällen ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen zu dürfen. (dpa)

Lesen Sie auch:
Ihr Newsletter zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Behandlungstipps

Psoriasis und Komorbiditäten: Welche Therapie wirkt am besten?

70 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025

Lesetipps
Dr. Carsten Gieseking

© Daniel Reinhardt

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

Eine Spritze für eine RSV-Impfung liegt auf dem Tisch.

© picture alliance / Ulrich Baumgarten

Update

Umfrage unter KVen

Erst sechs Impfvereinbarungen zur RSV-Prophylaxe Erwachsener