Kommentar

Suizidurteil wirft neue Fragen auf

Mit Spannung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet worden. Jetzt steht fest: Paragraf 217 Strafgesetzbuch verstößt gegen das Grundgesetz.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:

Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe wird aufgehoben. Der im Dezember 2015 eingeführte Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs verstößt gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und damit gegen das Grundgesetz. In sechs Punkten begründete Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die Entscheidung des 2. Senats. Das vor gut vier Jahren in der Ära von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe eingeführte Gesetz mache es faktisch unmöglich, die Hilfe von Dritten beim Suizid in Anspruch zu nehmen.

Schmaler Grat für Ärzte

Und dabei kommen Ärzte, insbesondere Palliativmediziner, ins Spiel, die sich in den vergangenen Jahren aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen, dem Wunsch todkranker Menschen nach Beihilfe zum Suizid nicht mehr entsprechen konnten. Zu schmal war der Grat zwischen der straffreien einmaligen Unterstützung und der „Gewerbsmäßigkeit“. Das ist mit der heutigen Entscheidung anders geworden, beantwortet allerdings nicht alle Fragen. Im Gegenteil.

Das Urteil wird tiefgreifende Folgen haben und wird eine neue grundsätzliche Diskussion um das Thema Sterbehilfe auslösen. Dabei kommt es zunächst auf eine präzise Klärung der Begrifflichkeiten an. Klar ist: Aktive Sterbehilfe bleibt weiterhin verboten. Hingegen ist die passive Sterbehilfe erlaubt.

Beim aktuellen Urteil ging es um die Beihilfe zur Selbsttötung. Doch wie soll dem Willen von Patienten Rechnung getragen werden, wenn die Berufsordnung dies Ärzten verbietet? In mehr als der Hälfte der 17 Landesärztekammern ist dies noch der Fall. Bei einem Verstoß riskiert der Arzt die Approbation. Andere Kammern haben den Beschluss des Ärztetages aus dem Jahre 2011 nicht umgesetzt. Das zeigt einmal mehr, wie unterschiedlich auch innerhalb der Ärzteschaft das Thema diskutiert wird.

Anspruch auf tödlich wirkende Arzneimittel

Darüber hinaus wird auch die Frage zu klären sein, inwiefern die Verschreibung tödlicher Substanzen gegen das Betäubungsmittelgesetz verstößt. Diese Diskussion glaubte man mit der Entscheidung für ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe abgeräumt zu haben. Weit gefehlt: Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von März 2017, wonach Sterbewilligen in einer extremen Notlage nicht die Erlaubnis verwehrt werden darf, ein tödlich wirkendes Medikament zu erwerben, wurde die Politik und damit das Bundesgesundheitsministerium massiv unter Druck gesetzt. Die Folge: In den meisten Fällen lehnte das BfArM entsprechende Anträge ab. Auch dieses Thema dürfte mit dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts wieder zur Diskussion stehen.

Klar ist aber auch, dass dieses Urteil keinen Rechtsanspruch beinhaltet, Ärzte zum assistierten Suizid zu verpflichten. Eine neue Diskussion wird beginnen, die sicherlich über das Thema assistierter Suizid hinausgehen wird und hoffentlich wieder die Themen Palliativversorgung und Hospize in den Fokus rückt.

Schreiben Sie dem Autor: vdb@springer.com

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 26.02.202019:29 Uhr

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein säkularisierter Staat j e n s e i t s von Fundamentalismus und Gottesgemeinschaften. Unsere Republik muss a l l e gesellschaftlichen Strömungen und die Meinungsvielfalt aufgreifen.
Für mich persönlich ist die Sache klar: Ich eigne mich definitiv n i c h t zum "Dr. Death"! Ich kann unmöglich palliativ- und sozialmedizinisch ebenso qualifiziert wie engagiert "Hilfestellungen am Lebensende" leisten und g l e i c h z e i t i g überlegen, wie ich meine Patienten am besten assistiert "um die Ecke bringe".

Meine medizinische Sozialisation ist auf Krankheiten abgestellt: von der Prävention über Früherkennung, Anamnese, Untersuchung, erweiterte Differenzialdiagnostik, Diagnose, konservative/operative/interventionelle Therapie, Palliation. Möglichst Heilung, wenigstens Linderung und hoffentlich Tröstung. Und das füllt meine professionelle hausärztliche Tätigkeit mit prallem Leben, Arbeit, Anstrengung, Genuss, Ruhe und kultureller Reflexion voll und ganz aus. Zur weitergehenden, oft selbstherrlich behaupteten "Erlösung" meiner Patientinnen und Patienten mit aktiver Sterbehilfe und der Gratwanderung zur "Tötung auf Verlangen" (§ 216 StGB) bin ich weder bereit noch befugt oder ausgebildet.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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