Ein Thema - Zwei Meinungen

Videokonferenz statt Arztbesuch?

Virtuelle Kontaktaufnahme zum Arzt unter Einbeziehung der Apotheken: Dieses Modell soll 2012 in der Schweiz starten. Ziel ist eine bessere Gesundheitsversorgung von Patienten in dünn besiedelten Gebieten.

Von Stefan Holler Veröffentlicht:
Webcams sind teils auch in der Telemedizin im Einsatz.

Webcams sind teils auch in der Telemedizin im Einsatz.

© Alterfalter / fotolia.com

Den Arzt über eine Webcam konsultieren - was für Patienten in Deutschland noch nach Science-Fiction klingt, könnte in einigen Jahren Realität werden. In Nordamerika ist es das bereits: Seit Anfang 2009 können die Bewohner zum Beispiel im US-Bundesstaat Hawaii ihren Arztbesuch per Videokonferenz absolvieren.

Der Software-Anbieter American Well entwickelte dazu eine webbasierte telemedizinische Plattform, die Gesundheitsversorger und Patienten miteinander verbindet - per Webcam und Sprachchat.

Telemedizinischen Betreuungsmodelle

Um den Ärztemangel in unterversorgten Gebieten wirkungsvoll zu begegnen, sehen Experten die Zukunft auch hierzulande in telemedizinischen Betreuungsmodellen. Während Videokonferenzen in Kliniken bereits zwischen behandelnden Ärzten im Einsatz sind, um sich über Röntgenbilder und medizinische Untersuchungsergebnisse auszutauschen, ist der virtuelle Kontakt zwischen Arzt und Patient umstritten.

Ein Videokonferenz-Pilotprojekt unter Beteiligung von rund 400 Apothekern soll nun 2012 in der Schweiz starten. Grundidee: Apotheker sollen als Gatekeeper in dünn besiedelten Gebieten den Bewohnern den Zugang zu ärztlichen Leistungen erleichtern.

Zugleich erhoffen sich die Projektverantwortlichen Einsparungen im Gesundheitswesen. Kooperationspartner sind der Schweizer Apothekerverband PharmaSuisse, die Krankenkasse Helsana, das medizinische Telefonzentrum medgate und der Telefonanbieter swisscom, der die systemischen Voraussetzungen für die Video-Verbindung bereitstellt.

Im Einzelnen soll es so ablaufen: Eine netCare-Apotheke bietet Patienten an, ihre Beschwerden anhand festgelegter Schemata abklären zu lasen. Kann das Problem vom Apotheker gelöst werden, darf dieser auch ein verschreibungspflichtiges Medikament abgeben, das er direkt mit der Helsana-Gruppe abrechnet.

Rezept wird Apotheke zugemailts

Ist eine ärztliche Beratung notwendig, begibt sich der Patient in einen separat eingerichteten Raum der Apotheke, wo der Arzt per Videokonferenz zugeschaltet wird. Dieser Arzt kann den Patienten begutachten und gleich ein Rezept ausstellen, das der Apotheke zugemailt wird.

Nach dem derzeitigen Stand ist die Teilnahme am Projekt für den Apotheker mit der Anschaffung einer Videokonferenz-Anlage, einer gesonderten Qualifizierung, die zum Erhalt eines Fähigkeitsausweises FPH berechtigt, sowie Vorinvestitionsbeträgen an Helsana verbunden.

Geplant ist, nach Ablauf der zweijährigen Pilotphase in einer Studie die Zweckmäßigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der neuen Dienstleistung zu evaluieren.

Wie ein Arzt und ein Apotheker die medizinische Beratung von Patienten per Videokonferenz-Zuschaltung bewerten, lesen Sie im Fokus.

Der Apotheker

"Dieses System mit Videokamera hat ja selbst bei Arzneimitteln nicht funktioniert."

Kornelia Hellmuth, Arnika-Apotheke, Schauenburg

Kornelia Hellmuth, Arnika-Apotheke, Schauenburg

© Arnika-Apotheke

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Patienten von der Möglichkeit Gebrauch machen würden, sich in einem separaten Raum in einer Apotheke via Videokamera von einem Arzt begutachten zu lassen.

Wie soll hier denn eine medizinische Untersuchung möglich sein? Oft haben die Patienten eine völlig andere Wahrnehmung ihrer Krankheit, die dann erst durch Untersuchungen und Tests abgeklärt werden kann.

Dieses System hat ja selbst bei Arzneimitteln nicht funktioniert. Ich erinnere daran, dass die mit großem Tamtam gestartete sogenannte CoBox am Ende grandios in die Insolvenz gegangen ist. Einige Kollegen haben hier richtig Lehrgeld zahlen müssen.

Die Idee war dabei ähnlich. Die Beratung sollte auch per Video-Übertragung erfolgen. Das Rezept musste anschließend nur noch eingescannt werden. Die Arzneimittel wurden dann per Post bzw. Lieferservice zugestellt.

Die Patienten wollen und brauchen die persönliche Ansprache sowohl durch Arzt als auch Apotheker. Gerade bei älteren Menschen ist das unabdingbar. Und diese sind ja in erster Linie vom Ärztemangel auf dem Land betroffen, da sie oft nicht mehr mobil sind.

Und eine Landapotheke ohne Ärzte in der Umgebung wird sich auch auf Dauer nicht halten können. Rund 85 Prozent des Umsatzes werden hier durch Verordnungen der Mediziner ausgelöst. Da ist es anders als in der Stadt, wo eine größere Durchmischung mit freiverkäuflichen Arzneimitteln, Dermopharmazieprodukten und anderen apothekenüblichen Waren besteht.

Der Arzt

"Viele ältere Patienten sind gar nicht mehr in der Lage, eine Apotheke aufzusuchen."

Dr. med. Gerd Zimmermann, Stv. Vorstandsvorsitzender KV Hessen

Dr. med. Gerd Zimmermann, Stv. Vorstandsvorsitzender KV Hessen

© KV Hessen

Vom Ansatz her ist dieses Modell sicherlich überlegenswert. Inwieweit es technisch tatsächlich umsetzbar ist und insbesondere eine Lösung für die nicht mehr ausreichende flächendeckende Versorgung der Bevölkerung in Deutschland mit Medikamenten sein kann, bedarf selbstverständlich einer sorgfältigen Prüfung. Persönlich habe ich daran erhebliche Zweifel.

In meiner Hausarztpraxis zum Beispiel wäre nur ein kleiner Teil meiner Patienten mental überhaupt dazu in der Lage, in der Apotheke an einer solchen Zuschaltung per Videokonferenz teilzunehmen.

Viele meiner älteren Patienten sind körperlich gar nicht mehr imstande, eine Apotheke aufzusuchen und beauftragen stattdessen ihre Angehörigen mit der Medikamentenabholung. Für diesen Patientenkreis müsste daher auch eine Lösung gefunden werden.

Besser und gewiss auch kurzfristig umsetzbar wäre allerdings das sogenannte "Hausapothekenmodell" durch Übertragung des Dispensierrechts auf niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Leider sperren sich die Apothekerverbände immer noch gegen eine entsprechende gesetzliche Änderung im SGB.

Vor allem in unterversorgten Gebieten, in denen keine Apotheken niedergelassen sind oder die Patienten weite Wegstrecken zur nächsten Apotheke zurücklegen müssen, macht die Abgabe von Medikamenten durch den Arzt Sinn.

In Österreich und auch in der Schweiz funktioniert das Modell der ärztlichen Hausapotheken seit vielen Jahren hervorragend. Warum also nicht auch in Deutschland?

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Regierung muss sich wirtschaftlicher Schieflage annehmen

ABDA: Es darf keinen Stillstand geben

Pharmahandel

Apothekenzahl anhaltend auf Talfahrt

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Porträt

Felix Michl: Unternehmer, Jurist und Medizinstudent

Lesetipps
Arzt injiziert einem älteren männlichen Patienten in der Klinik eine Influenza-Impfung.

© InsideCreativeHouse / stock.adobe.com

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!