Bagatellfälle zwischen Kliniken und Kassen

Von der Schlichtung zur Lähmung

Geht es um Bagatellfälle sollen Kassen und Krankenhäuser ihre Abrechnungsstreitereien eigentlich in Schlichtungsausschüssen auf Landesebene selbst lösen. Die Umsetzung dieses Vorhabens klappt jedoch nicht - das hat fatale Folgen.

Von Michael Kuderna Veröffentlicht:
Geht es um bis zu 2000 Euro, sollen nicht mehr die Sozialgerichte entscheiden.

Geht es um bis zu 2000 Euro, sollen nicht mehr die Sozialgerichte entscheiden.

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Eigentlich eine alltägliche Situation im Geschäftsleben: Eine Partei, beispielsweise ein Handwerker, erbringt eine Leistung, der Zahlungspflichtige ist aber der Meinung, die Rechnung sei überhöht und fehlerhaft. Er behält einen Teil der Forderung ein.

Beharrt der Leistungserbringer jedoch auf Zahlung, kann er vor Gericht ziehen oder ein Schiedsverfahren beantragen, um zu seinem Geld zu kommen.

Doch solch "normales" Rechtsempfinden mag überall gelten, nur nicht im immer komplizierter werdenden Gesundheitssystem. Dort sehen sich die Krankenhäuser in einer absurden Situation: Forderungen im Wert von bis zu 2000 Euro, die von den Krankenkassen nach Prüfung durch den Medizinischen Dienst beanstandet werden, können sie derzeit nicht bei den Sozialgerichten einklagen.

Schlichtung geht vor Klageerhebung

Der Grund liegt in einer Vorschrift im Krankenhausgesetz, die mit dem "Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung" eingeführt wurde und seit August 2013 in Kraft ist. Danach muss bei entsprechenden Streitigkeiten vor einer Klageerhebung zunächst ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden.

Dieser Weg sei "obligatorisch", bestätigte die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz in einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Harald Terpe. Die Crux daran: Schlichtungsausschüsse existieren bisher in keinem einzigen Bundesland. Und wo kein Schlichtungsausschuss, da auch kein Klageweg.

Dass die Ausschüsse nicht zustande kommen, hat verschiedene Gründe. "Eine Entlastung der Sozialgerichte erkauft man sich durch den Aufbau neuer Bürokratie und erhebliche zusätzliche Kosten an anderer Stelle, das kann nicht im Sinne der Politik sein", beklagt beispielsweise der Leiter der vdek-Landesvertretung, Martin Schneider, in einer gemeinsamen Erklärung von Kassen und Krankenhausgesellschaft im Saarland.

Deren Geschäftsführer Günter Möcks stößt ins gleiche Horn. Abgesehen von einer Geschäftsstelle bräuchte man allein im Saarland bis zu 20 Fachleute, um die hier zu erwartenden 1000 bis 2000 Fälle abzuarbeiten, warnt Möcks.

Auf den ersten Blick scheinen diese Zahlen unrealistisch hoch. So registrierte das Sozialgericht für das Saarland in den vergangen drei Jahren jeweils etwa 1000 Verfahrenseingänge aus dem Bereich der GKV. Darin sind sämtliche Streitigkeiten inbegriffen, auch von Versicherten oder von Krankenhäusern mit höherem Streitwert.

Die "Bagatell"-Forderungen der Kliniken bis 2000 Euro liegen also zahlenmäßig deutlich niedriger. Bei Schlichtungsverfahren besteht jedoch ein viel geringeres finanzielles Risiko als beim Gang zum Sozialgericht. Keine Gerichtskosten, keine Anwälte, keine Gutachter - die niedrigen Hürden sind geradezu ein Einladungsschreiben zu häufigerem Streit.

Entbürokratisierung durch Rolle rückwärts

Zur berechtigten Angst vor einer teuren Zusatzbürokratie kommen noch andere, nicht öffentlich ausgesprochene Bedenken. Wer soll unparteiischer Vorsitzender werden? Wie weit wollen die Beteiligten im Ausschuss Konkurrenten Einblick in Interna gewähren?

Gesetzliche Bestimmungen über die Ausgestaltung und Finanzierung dieser zusätzlichen Institution fehlten teilweise oder seien unklar, beklagt denn auch die Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz / Saarland, Dr. Irmgard Stippler.

So endet die Erklärung aus dem Saarland mit einem Appell: "Die großen Parteien der Selbstverwaltung fordern die Politik auf, das Gesetz auszusetzen und die Neuregelungen grundsätzlich zu überdenken."

So verständlich der Ärger auch sein mag, mit dem Hilferuf ist auch ein fatales Signal verbunden. Auf Bundesebene kann die Selbstverwaltung gar nicht genug Aufgaben einfordern. Auf regionaler Ebene sieht das ganz anders aus. Auch dort schimpft es sich gut und gerne auf die Politiker, doch ist man oft ganz froh, wenn diese klare Vorgaben geben und den kleinen Selbstverwaltungs-Einheiten nicht zu viel Einigungszwang aufbürdet.

Dennoch müssen sich die Politiker vor allem an die eigene Nase fassen. Der Versuch, über das Beitragsschuldengesetz nebenbei den leidigen Dauerstreit über angeblich in der Summe milliardenschwere Falschabrechnungen der Kliniken zu entschärfen und gleich auch noch die Gerichtsbarkeit auf Kosten anderer zu entlasten, ist gründlich misslungen.

Deshalb ist Berlin nun wieder am Zug. Einfache Lösungen wären der Verzicht auf eine Zwangsschlichtung oder aber gleich die Wiederherstellung des alten Zustands. Für den neuen Gesundheitsminister hätte dies zusätzlich den Charme, dass sich die Rolle rückwärts noch als Beitrag zur Entbürokratisierung verkaufen ließe.

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