Ringen um die Sterbehilfe

Wie regelt der Bundestag nun die Freiheit zum Suizid?

Bei einer Diskussionsrunde der Heinrich-Böll-Stiftung wird deutlich: Der Wille zu einem neuen Paragrafen 217 ist zwar erkennbar. Doch der Spielraum des Gesetzgebers ist eng.

Von Florian Staeck Veröffentlicht:
Interpretieren die Konsequenzen und gesetzgeberischen Folgen des Karlsruher Urteils sehr unterschiedlich: Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und der ehemalige BGH-Richter Professor Thomas Fischer.

Interpretieren die Konsequenzen und gesetzgeberischen Folgen des Karlsruher Urteils sehr unterschiedlich: Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und der ehemalige BGH-Richter Professor Thomas Fischer.

© Deutscher Bundestag/T. Trutschel | R. Wittek/dpa

Berlin. Eine Neuregelung der Sterbehilfe im Bundestag wird begleitet sein von fundamental unterschiedlichen Auslegungsvarianten des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Ende Februar hatten die Karlsruher Richter in einem Grundsatzurteil das bisher in Paragraf 217 Strafgesetz normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für unvereinbar erklärt mit den durch das Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte.

Bei einer Online-Veranstaltung der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung wurde am Dienstag die Bandbreite der Positionen deutlich. Professor Thomas Fischer, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, sieht im Nachgang zum Urteil keinen grundsätzlichen Regelungsbedarf.

Rechtsordnung schützt das Leben seit jeher

Das Leben werde durch die Rechtsordnung seit jeher geschützt. Es bedürfe somit keines weiteren Schutzes, „wenn man annimmt, dass der Mensch nicht vor sich selbst geschützt werden muss.“ Der Staat sei gehalten, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen „Menschen, die selbstbestimmte Entscheidungen treffen können, dies auch tun können. Genau daran mangelt es bisher!“

Fischer, der den vom Gericht jetzt verworfenen Paragrafen 217 StGB in der Vergangenheit massiv kritisiert hatte, hält das Karlsruher Urteil für keineswegs „radikal“. Die Richter hatten dabei das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben hervorgehoben. „Was denn sonst?“, fragte Fischer. „Dass man dies in einen Leitsatz des Urteils schreiben muss, ist schon bemerkenswert.“

Ganz anders fällt die Bewertung von Professor Steffen Augsberg aus, der an der Justus-Liebig-Universität Gießen Öffentliches Recht lehrt. Der Jurist attestierte dem Gericht, es habe ein „zugespitztes Verständnis von Autonomie“ formuliert und zugleich seine Haltung „dürftig begründet“.

Regelung über das ärztliche Berufsrecht nicht gangbar

Augsberg, der die Bundesregierung bei den Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hat, mahnte einen „behutsamen Umgang mit dem Urteil“ an, sieht aber enge Spielräume für ein „legislatives Schutzkonzept“.

So komme etwa eine Regelung über das ärztliche Berufsrecht nicht infrage, da dieses in die Regelungskompetenz der Länder falle. Aus konzeptionellen Gründen bleibe letztlich nur eine Ausgestaltung über das Strafrecht übrig. Der Gesetzgeber sollte dabei „Bedingungen schaffen, um Autonomie überprüfen“ zu können.

Augsberg gab zu, „dass wir an die Grenze dessen kommen, was wir juristisch nachvollziehen können.“ Dabei gehe es erstens darum, die Freiverantwortlichkeit des Entschlusses zum Suizid zu prüfen. Zweitens sollten Minderjährige von einer Suizidregelung ausdrücklich ausgeschlossen werden. Drittens riet Augsberg dazu, Vollsorgevollmachten in diesem Zusammenhang nicht zu akzeptieren. Der Missbrauch dieses Instruments lasse sich in den Niederlanden bei der – dort legalen – Tötung auf Verlangen beobachten.

Rechtsordnung geht von „in dubio pro vita“ aus

Der in Gießen lehrende Jurist, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, erinnerte daran, die Rechtsordnung sei vom Gedanken „in dubio pro vita“ geprägt – im Zweifel für das Leben. Darum versuche die Polizei ja auch, Suizidenten von der Brücke herunterzuholen, so der Jurist. Eine völlig andere Perspektive vertrat Fischer. Das Grundgesetz unterstelle, dass die Bürger im Grundsatz autonom sind. „Das ist zwar ein normatives Postulat, aber wir sollten davon ausgehen“, sagte Fischer.

Die grüne Bundestagsabgeordnete und Psychiaterin Dr. Kirsten Kappert-Gonther widersprach Fischer. Das Bundesverfassungsgericht habe nicht ausreichend reflektiert, „wie sich Autonomie entwickelt“. In dem Urteil sei nichts darüber zu lesen, auf welchem Wege – etwa Diagnostik und Beratung – eine freiverantwortliche Entscheidung zum Suizid sichergestellt werden kann: „Man geht von Phantasiepersonen aus.“

„Keine Ächtung des freiverantwortlichen Suizids“

Kappert-Gonther mahnte, die Selbstbestimmung vulnerabler Gruppen müsse von Staats wegen geschützt werden. Es gehe ausdrücklich nicht um die Ächtung des freiverantwortlichen Suizids. Nur dürfe im Kielwasser des Karlsruher Beschlusses nicht die „gesellschaftliche Suggestion entstehen, der Suizid sei eine erwünschte Handlung“, so die grüne Politikerin. Sie verwies darauf, dass es seit dem Urteil Medienberichten zu Folge in Deutschland 24 Fälle von Suizidbeihilfe gegeben habe – darunter eine in einem Pflegeheim.

Kappert-Gonther mahnte noch in dieser Legislatur eine Neuregelung des Paragrafen 217 an. Der Bundestag habe im November 2015 mit 360 Stimmen für den Gesetzentwurf gestimmt. „Wir müssen davon ausgehen, dass diese Mehrheit auch jetzt noch existiert“, sagte sie.

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