Studie der Universität Krems
Zentren – eine Rettung für Österreichs Allgemeinmedizin?
Österreich hinkt bei der Aufwertung der Allgemeinmedizin hinterher. Nicht nur das Honorar ist ein Problem, auch die Ausbildung und der fehlende Facharzt. Helfen könnten aber PVE und PVZ.
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Wo geht‘s hier zum Arzt? In den ländlichen Gebieten Österreichs sorgen sich Bewohner um die Gesundheitsversorgung, da vermehrt Praxen geschlossen werden und Ärzte in Gesundheitszentren ausweichen.
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Neu-Isenburg. In puncto Primärversorgung hat Österreich starken Nachholbedarf. Im Rahmen einer Evaluationsstudie landet die Alpenrepublik hier nur auf Platz zehn von insgesamt 14 untersuchten Ländern. Das hat bereits vor einigen Jahren ein internationaler Vergleich gezeigt (Fam Pract 2013; 30: 185–189).
Die Gründe für den Nachholbedarf sind nach Auswertung diverser Studien und Umfragen vielfältig, wie eine Analyse des Zentrums für evidenzbasierte Gesundheitsökonomie (ZEG) am Department für Wirtschaft und Gesundheit der Donau-Universität Krems zeigt. Sie ist jetzt unter dem Titel „Primärversorgung in Österreich – Quo vadis“ in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin (ZFA 2020; 96 (11); 467–471) veröffentlicht worden.
Einer der Gründe liegt darin, dass in Österreich der Fokus sehr lange auf die Spezialisierung der Medizin und weniger auf die Stärkung der Allgemeinmedizin gerichtet worden ist. So gibt es trotz überdurchschnittlicher Arztdichte einen Mangel an Allgemeinmedizinern mit einer Kassenordination, wie in Österreich Arztpraxen mit Kassenzulassung genannt werden.
Erschwerend kommt laut einer Befragung von österreichischen und deutschen Medizinstudierenden ein „nicht facharztäquivalentes Gehalt“ für Allgemeinmediziner hinzu.
Kein Facharzt für Allgemeinmedizin
Die Misere der Primärversorgung in Österreich ist aber auch auf die mangelhafte Aus- und Weiterbildung von Allgemeinmedizinern zurückzuführen, da es dort bislang – im Gegensatz zur hart erkämpften fünfjährigen Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in Deutschland – keine Facharztbezeichnung für Allgemeinmedizin gibt.
Immerhin hat die Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) im Jahr 2018 einen Masterplan mit Forderungen zur Attraktivitätssteigerung der Allgemeinmedizin entworfen. Wie und wann dieser Plan seine Wirkung entfalten kann, bleibt jedoch gerade auch nach den Erfahrungen in Deutschland bis zur Anerkennung des Fachs Allgemeinmedizin als etablierte Disziplin offen.
Allerdings hat die seit Anfang Januar 2020 amtierende türkis-grüne Koalition unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Einführung dieses Facharztes zumindest ins Regierungsprogramm aufgenommen.
Für 2021 gestecktes Ziel kaum erreichbar
Doch es hakt auch an anderer Stelle: Die in Österreich angestrebte Zahl von 75 Primärversorgungseinheiten (PVE) bis Ende 2021 scheint jedenfalls kaum mehr realisierbar.
PVE sind allgemeine und direkt zugängliche erste Kontaktstellen für Menschen mit gesundheitlichen Problemen in der Grundversorgung, die den Versorgungsprozess koordinieren und ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung sicherstellen sollen.
Im Kernteam der PVE arbeiten mindestens drei ÄrztInnen der Allgemeinmedizin mit Fachkräften aus der Gesundheits- und Krankenpflege zusammen. Sie können als Zentren betrieben werden, sogenannte Primärversorgungszentren (PVZ). Dann wären sie etwa mit MVZ oder Berufsausübungsgemeinschaften hierzulande vergleichbar. Oder sie können sich als Netzwerk gründen (PVN).
Bis zur Gründung des ersten PVZ im Wiener Gemeindebezirk Mariahilf im Jahr 2015 waren viele Jahre vergangen.
Höhere Arbeitszufriedenheit in Zentren
Bisher konnten allerdings in Österreich nur 24 PVE in fünf Bundesländern (Wien, Steiermark, Burgenland, Ober- und Niederösterreich) konnten bisher etabliert werden. Weitere sieben befinden sich aktuell in der Gründungsphase.
Die Tätigkeit in den PVE scheint allerdings die Mehrzahl der Allgemeinmediziner im Gegensatz zur Arbeit in einer Einzelpraxis oder einem Spital zu präferieren. Das zumindest geht aus den Ergebnissen einer qualifizierten Studie hervor, die 2019 von der Donau-Universität Krems durchgeführt worden ist.
Dabei wurden insgesamt 14 leitfadengestützten Einzelinterviews mit Ärzten aus 13 PVE geführt. Zusätzlich nahmen im Rahmen einer Fokusgruppendiskussion vier niederösterreichische Allgemeinmediziner mit einer Einzelzulassung teil.
Die in einem PVE tätigen Ärzte berichteten dabei mehrheitlich von einer höheren Arbeitszufriedenheit, verbesserten Arbeitsbedingungen und einer höheren Lebensqualität im Vergleich zur Arbeit in einer Einzelpraxis.
„Überfällige Priorisierung“
Vorteile ergäben sich auch für Patienten: Genannt wurden hier verlängerte Öffnungszeiten, kürzere Wartezeiten sowie eine höhere Behandlungsqualität durch eine ganzheitliche kontinuierliche Versorgung.
Autorin Dr. Arieta Franczukowska, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department für Wirtschaft und Gesundheit der Donau-Universität Krems, zieht abschließend dieses Fazit: Angesichts aktuell überlaufender Spitalsambulanzen, der bevorstehenden Pensionierungswelle sowie fehlender nachrückender Allgemeinärzte sei die Priorisierung der Primärversorgung in Österreich überfällig.