BGH-Urteil

Ärzte müssen Sterbende nicht retten

Der Bundesgerichtshof bestätigt die Freisprüche für zwei Ärzte, die Patienten beim Suizid begleitet hatten: Die Ärzte seien in den konkreten Fällen von der "grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens" entbunden.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Wollen Patienten vom Leben loslassen, müssen Ärzte nicht immer eingreifen.

Wollen Patienten vom Leben loslassen, müssen Ärzte nicht immer eingreifen.

© Dan Race / stock.adobe.com

LEIPZIG. Ärzte, die Suizidwillige beim Sterben begleiten, sind keine Täter. Im Streit um angeblichen Totschlag und „unterlassene Hilfe“ hat nun auch der Bundesgerichtshof (BGH) die angeklagten Ärzte freigesprochen. Der 5. BGH-Strafsenat in Leipzig bestätigte am Mittwoch Freisprüche der Landgerichte Hamburg und Berlin. Die von den Ärzten begleiteten Frauen hätten sich „freiverantwortlich“ für ihren Tod entschieden.

Im Hamburger Fall litten zwei miteinander befreundete Frauen, 81 und 85 Jahre alt, jeweils an mehreren Krankheiten. Diese waren nicht lebensbedrohlich, die Frauen sahen aber ihre Lebensqualität und ihre Handlungsmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Sie wandten sich daher an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung von einem psychiatrischen Gutachten abhängig machte.

Der beauftragte Arzt für Neurologie und Psychiatrie hatte an der Urteilsfähigkeit der Frauen ebenso wenig Zweifel wie an der Festigkeit und „Wohlerwogenheit“ ihrer Suizid-Wünsche. Auf Bitte der Frauen wohnte der Arzt ihrer Einnahme tödlicher Medikamente bei und unterließ nach ihrer Bewusstlosigkeit jegliche Rettungsmaßnahmen.

Wie sahen die Fälle aus?

Im Berliner Fall hatte der Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem tödlichen Medikament verschafft. Die 44-jährige Arzthelferin litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einer Krankheit, die zu starken krampfartigen Schmerzen führt. Verschiedene Behandlungen halfen nichts.

Die Frau nahm das Medikament und benachrichtigte ihren Hausarzt. Der kam zu ihr und betreute sie zweieinhalb Tage bis zu ihrem Tod. Wie gewünscht unternahm auch er nichts, um das Leben der Frau doch noch zu retten.

In beiden Fällen wertete die jeweilige Staatsanwaltschaft das Verhalten der Ärzte als Tötungsdelikt und unterlassene Hilfe. Die Landgerichte Hamburg und Berlin sprachen die Angeklagten jedoch frei. Vor dem BGH sprachen die Ärzte von einer „Konfliktsituation“, verteidigten ihr Verhalten aber als „moralische Verpflichtung“. Wie die Verteidiger plädierte auch Bundesanwalt Michael Schaper auf Freispruch. Dem ist nun auch der BGH gefolgt.

Ärzte von Pflicht zur Rettung entbunden

Schon in der Verhandlung hatten die Richter auf die Gesetzeslage bei einer Patientenverfügung hingewiesen. Danach sei der Wille entscheidungsfähiger Patienten bindend, Ärzte dürften den gewollten Sterbeprozess dann nicht durch „Rettung“ beenden. Dies wandte der BGH nun auch hier an. Alle drei Frauen hätten sich eigen- und „freiverantwortlich“ für den Suizid entschieden. Die allgemeine Hilfspflicht in Unglücksfällen scheide daher aus.

Selbst ein behandelnder Arzt, wie im Berliner Fall, sei in solchen Fällen „durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der (…) grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden“. Ob Berufsrecht verletzt ist, hatte der BGH nicht zu entscheiden.

Az.: 5 StR 132/18 (Hamburg) und 5 StR 393/18 (Berlin)

Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten (...) hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden.

Aus der Mitteilung des Bundesgerichtshofs

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