Missbrauch
Amnesie verlängert Verjährungsfrist
Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch beginnt erst, wenn sich das Opfer an die Tat erinnert, urteilt der Bundesgerichtshof.
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Erst wenn die Erinnerung zurückkehrt, beginnt die Verjährung.
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KARLSRUHE. Schadenersatzansprüche wegen sexuellen Missbrauchs verjähren nicht, solange das Opfer die Taten komplett verdrängt hat. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Urteil entschieden.
Die strafrechtliche Verjährung von sexuellem Missbrauch hängt von der Schwere der Tat ab. Zivilrechtliche, also "private" Ansprüche des Opfers gegen den Täter verjähren meist schon nach drei Jahren.
Die Frist läuft allerdings frühestens ab dem 18., für Taten seit Anfang 2002 sogar erst ab dem 21. Geburtstag des Opfers.
In dem nun vom BGH entschiedenen Fall hatte die Schwester des Klägers 2005 während einer Familienfeier offenbart, sie sei als Kind von einem Nachbarn missbraucht worden. Die Schilderungen der Schwester weckten beim Kläger Erinnerungen an mehrfachen eigenen Missbrauch durch denselben Nachbarn im Alter von neun bis 14 Jahren.
Bis dahin war er sich dieser Taten nicht mehr bewusst gewesen; er hatte sie völlig verdrängt. 2008, rund 20 Jahre nach den Taten, verlangte er von dem früheren Nachbarn ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro.
Das Landgericht Osnabrück und das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg sprachen ihm ein Schmerzensgeld von 7500 Euro zu: Er habe seine Klage noch rechtzeitig vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist eingereicht.
Dies hat der BGH nun bestätigt. Die Verjährung beginne erst ab "Kenntnis" des Geschehens. Zu Recht seien daher die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Verjährung ruht, solange das Opfer die Taten völlig verdrängt und keine Erinnerung an das Geschehen hat.
Dass hier eine retrograde Amnesie vorlag, habe ein Sachverständigengutachten plausibel belegt. (mwo)
Az.: VI ZR 217/11
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