Strafanzeige
Aufatmen nach vier Jahren Ungewissheit
Vor fast vier Jahren erreichte die Strafanzeige der KV wegen Verdachts auf Abrechnungsbetrug Dr. Siegfried Spernau. Nun kann der Hausarzt aus Neu-Isenburg endlich aufatmen: Die Ermittlungen sind eingestellt worden. Jetzt hofft er auf Entschädigung.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Im Juli sind Dr. Siegfried Spernau wohl einige Steine vom Herzen gefallen.
Fast vier Jahre nach dem Eingang der Strafanzeige der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gegen ihn hat Oberstaatsanwalt Alexander Badle, der auf Straftaten im Gesundheitswesen spezialisiert ist, Ermittlungen gegen den Allgemeinarzt aus Neu-Isenburg eingestellt.
"Mit Zustimmung des Gerichts (wird) von der Verfolgung abgesehen", heißt es in einem Schreiben Badles an Spernau, das er der "Ärzte Zeitung" weitergeleitet hat.
Und: "Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen wäre die Schuld des Täters als gering anzusehen. Ein öffentliches Interesse, das die Strafverfolgung gebietet, liegt nicht vor."
Rückblende: Es waren die Zeitprofile, die bei Hausarzt Spernau zeitweise aus dem Ruder liefen. Spernau betreut viele Patienten, nach eigener Aussage kommen "immer noch täglich 100 bis 150 Patienten".
Bei den Plausibilitätsprüfungen für die Jahre 2005 bis 2007 fiel er der KV Hessen auf. Doch erst in der zweiten Jahreshälfte 2010 erstattete die KV Anzeige.
Im betreffenden Zeitraum galt noch der Ordinationskomplex, der für viele Ärzte zur Falle wurde. Der Ordinationskomplex wurde als Pauschalleistung abgerechnet und durfte - ähnlich wie die Versichertenpauschale heute - einmal im Quartal angesetzt werden.
112.000 Euro an die KV
Wer neben dem Ordikomplex, wie er auch genannt wurde, weitere Leistungen erbrachte und abrechnete, ging automatisch mit "20 Minuten Gesprächsleistung" ins Zeitprofil ein, heißt es im Schreiben des Oberstaatsanwalts.
"Diese Tatsache wurde sowohl von einigen Ärzten als auch ärztlichen Abrechnungsprogrammen übersehen und führte zu sehr hohen Tagesprofilen, insbesondere am ersten Quartalstag", erinnert Badle in seinem Schreiben.
Nach der Anzeige begann Spernau, der auch mit Honorarrückforderungen von mehr als 100.000 Euro konfrontiert war, einen Feldzug gegen die Überprüfung der Abrechnung anhand der Zeitprofile und gegen den Prüfparagrafen 106 a SGB V.
Er machte Eingaben beim Petitionsausschuss, beschwerte sich beim Bundesgesundheitsminister, sogar eine Demonstration von Patienten aus der Region, die für ihn auf die Straße gingen, stellte er auf die Beine.
Über vier Jahre zog sich das Verfahren hin, "vier Jahre Ungewissheit, vier Jahre Depression", erinnert sich Spernau nur ungern. Zwischenzeitlich zahlte er die Honorarrückforderung an die KV, nach seinen Angaben waren es insgesamt 112.000 Euro.
"Das will ich mir jetzt jedenfalls teilweise zurückholen", sagt er kämpferisch und kündigt an, gegen die KV klagen zu wollen. Er hofft auf Schadenersatz und Schmerzensgeld und pocht darauf, dass die KV öffentlich macht, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt worden sind.
Hoffnung macht ihm dabei das Schreiben des Oberstaatsanwalts: Denn zwischen den Zeilen ist durchaus auch Kritik am Vorgehen der KV zu spüren, zum Beispiel der Zeitabstand von der "Tat" Spernaus bis zur Anzeige: "Die Tatzeit liegt bereits mehrere Jahre zurück. Die Anzeigeerstattung durch die Kassenärztliche Vereinigung für die Tatzeit 2005 bis 2007 erfolgte erst in der zweiten Jahreshälfte 2010", heißt es etwas lakonisch.
"Tatnachweis schwer zu führen"
Es sei "sozialrechtlich zulässig", wenn die KV ihren Rückforderungsbescheiden Schätzwerte zugrunde lege, heißt es ebenfalls in dem Schreiben. Strafrechtlich wäre hingegen eine Einzelfallprüfung der abgerechneten Leistungen und Gebührenziffern erforderlich.
"Eine entsprechende Auswertung im vorliegenden Verfahren ergab Zeitprofile mit wesentlich geringeren Stundenzahlen und auch insgesamt deutlich weniger auffällige Tage", schreibt der Oberstaatsanwalt.
Weiter heißt es, dass in acht der elf "tatgegenständlichen Abrechnungsquartale" die Tagesprofile keine Tage mit mehr als 16 Stunden Arbeitszeit ergeben hätte und in den anderen drei Quartalen seien es auch nur wenige Tage gewesen.
"Eine Arbeitszeit von mehr als 12 Stunden am Tag ist jedoch nicht unmöglich und daher nicht von vornherein völlig ausgeschlossen", so die Bewertung der Staatsanwaltschaft.
Zudem habe in der Praxis zeitweise eine Weiterbildungsassistentin mitgearbeitet, deren Tätigkeit unter derselben Arztnummer abgerechnet worden sei. "Ein Tatnachweis dürfte insofern nur äußerst schwer zu führen sein", heißt es.
Die Prüfung der Abrechnung von Vertragsärzten nach Plausibilität anhand der Zeitprofile war immer umstritten. Größere Einzelpraxen liefen leicht Gefahr, auffällig zu werden.
"Wollten sie dem entgehen, müssten sie Patienten abweisen. Dadurch würde ein künstlicher Ärztemangel erzeugt", bilanzierte Spernau bereits vor vier Jahren. Zumindest strafrechtlich muss er nicht mehr befürchten, dafür belangt zu werden, dass er seine Patienten nicht abgewiesen hat.