BVerfG: Ärzte können gegen Zulassungsentzug vorgehen
Reicht ein Arzt Widerspruch gegen den Entzug seiner Zulassung ein, hat das selbst dann aufschiebende Wirkung, wenn gegen ihn ein Betrugsverdacht besteht.
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Einen Sofortvollzug durch die KV müssen Ärzte nicht wortlos hinnehmen.
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KARLSRUHE. Ärzte müssen auch in wenig aussichtsreichen Fällen eine Chance haben, wirksam gegen den Entzug ihrer Zulassung vorzugehen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe stellte deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Berlin wieder her.
Das MVZ war im April 2008 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden; zum Jahresende waren dort 14 Ärzte angestellt. Im vierten Quartal 2008 stellte die KV Berlin verschiedene Unregelmäßigkeiten fest.
So waren Positionen für drei weitere Ärzte abgerechnet worden, deren Anstellung erst zum Jahresbeginn 2009 genehmigt worden war. Weitere Positionen wurden unter fremden Arztnummern abgerechnet. Das Medizinische Versorgungszentrum rechtfertigte sich unter anderem mit einem "fehleranfälligen EDV-System".
Der Zulassungsausschuss ließ dies nicht gelten und zog die Zulassung zurück. Weil der Widerspruch ohne Erfolg blieb, klagte das MVZ vor dem Sozialgericht Berlin.
Laut Gesetz hat diese Klage aufschiebende Wirkung, sprich: Die Rücknahme der Zulassung wird bis zu einem rechtskräftigen Urteil ausgesetzt. Das aber wollte die KV nicht akzeptieren: Sie beantragte den sogenannten Sofortvollzug. Das Sozialgericht und in zweiter Instanz auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gaben dem statt.
Weil in solchen Beschwerdeverfahren das Bundessozialgericht nicht mehr angerufen werden kann, wandte sich das MVZ nach Karlsruhe. Und dort hatten die Ärzte nun Erfolg: Die MVZ-Betreiber wurden in ihren Grundrechten auf Berufsfreiheit sowie auf "effektiven Rechtsschutz" verletzt, heißt es in dem inzwischen schriftlich veröffentlichten Beschluss.
Mit gutem Grund schreibe das Gesetz die aufschiebende Wirkung einer Klage vor, argumentierte das Bundesverfassungsgericht. Wegen des hohen Anteils der Kassenpatienten komme der Entzug der Zulassung "einem vorläufigen Berufsverbot zumindest nahe".
Auch die nach Einschätzung der Sozialgerichte "hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird", reiche nicht aus, um einen derart gravierenden Eingriff zu rechtfertigen. Dass es zu weiteren Fehlabrechnungen kommen könnte, hätten die Gerichte nicht ausreichend begründet. Auch das vom Landessozialgericht herangezogene Argument der Abschreckung konnte die Karlsruher Verfassungsrichter nicht überzeugen.
Az.: 1 BvR 722/10