Pharmastandort Deutschland
Biotech wünscht sich „ATMP-welcome-Kultur“
Hält Deutschland Anschluss an die neuesten biotechnologischen Entwicklungstrends? Nach Ansicht des Industrieverbands vfa bio besteht Handlungsbedarf.
Veröffentlicht:Frankfurt/Main. Binnen einer Dekade hat sich der Anteil rekombinanter Arzneimittel im bundesdeutschen Apotheken- und Klinikmarkt fast verdoppelt und der Herstellerumsatz annähernd verdreifacht. 2019 betrug der Marktanteil der roten Biotechnologie 29 Prozent (2009: 16 Prozent) bei Gesamtverkäufen von 12,7 Milliarden Euro (+13 Prozent, zu Herstellerabgabepreisen). Das berichtete Dr. Frank Mathias, Vorsitzender der Interessenvereinigung vfa bio, am Dienstag in Frankfurt. Überproportional stark zugelegt haben demnach im Berichtsjahr Biosimilars, die erstmals die Milliardengrenze überschritten – und das mit 1,5 Milliarden Euro Herstellerumsatz deutlich (+60 Prozent).
Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Biotechindustrie auch durch die jüngsten Zulassungserfolge neuartiger Gen- und Zelltherapien, die im Branchenjargon als „Advanced Therapy Medicinal Products“ unter dem Kürzel ATMP zusammengefasst werden. Zehn derartige Therapien sind in der EU seit 2015 zugelassen worden – mit etlichen weiteren ist zu rechnen. Nach Angaben der Boston Consulting Group (BCG) wird weltweit in über 1000 Studienprojekten der Phasen I bis III an neuen Gen- oder Zelltherapien gearbeitet.
Beispielhaft für eine der nächsten Innovationen auf diesem Gebiet nannte Mathias die Gerinnungsfaktor-IX-Ersatztherapie Fidanacogen Elaparvovec, die von Pfizer und Spark Therapeutics aktuell in Phase III geprüft wird. Spark zählt als Entwickler der Gentherapie Luxturna® (Voretigen Neparvovec, zusammen mit Novartis) zu den Pionieren der ATMP.
Deutschland sei in Forschung und Entwicklung an neuartigen Gen- und Zelltherapien noch nicht besonders gut aufgestellt, so Mathias. Die meisten Studien fänden in den USA (48 Prozent) und China 39 (Prozent) statt. Deutschland rangiere zwar an dritter Stelle, was angesichts nur rund vier Prozent aller klinischen ATMP-Projekte aber keinen Eindruck mache. Zu den Handlungsempfehlungen, die vfa bio an die Adresse Berlins richtet, um den Standort auf eine, so wörtlich, „ATMP-welcome-Kultur“ zu trimmen, zählt unter anderem,
- nach dem Vorbild des DKFZ ein Forschungszentrum für Gen- und Zelltherapien einzurichten,
- eine „ATMP-Taskforce“ zu gründen, die länderübergreifend die Anforderungen an klinische Studienprojekte harmonisiert,
- sowie das Paul-Ehrlich Institut mit mehr Personal auszustatten, um die Genehmigungsdauer für klinische Studien zu verkürzen.
- Zudem müsse der Einsatz dieser neuartigen Therapien den Kliniken schneller erstattet werden. Die momentane Option, für „Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ (NUB) Zusatzentgelte zu vereinbaren, sei zu schwerfällig und restriktiv.