Urteil
Bundesverwaltungsgericht: Keine Erleichterung für Schwerkranke beim Zugang zu Natrium-Pentobarbital
Schwerkranke Menschen haben gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) keinen Anspruch darauf, Medikamente zur Selbsttötung zu bekommen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Leipzig. Die mit Spannung erwartete Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgabe von Selbsttötungsmitteln ist am Dienstagvormittag gefallen: Statt der von Sterbewilligen erhofften Erleichterung des Zugangs zu Natrium-Pentobarbital hat das Bundesverwaltungsgericht diesen weiter erschwert.
Ein Anspruch auf eine Erlaubnis besteht nach zwei aktuell verkündeten Urteilen grundsätzlich nicht. Unter Verweis auf „zumutbare Alternativen“ schränkten die Leipziger Richter auch die bisherige Ausnahme bei „einer extremen Notlage“ deutlich ein. Das Betäubungsmittelgesetz verfolge mit seinem Verbot das legitime Ziel, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Betäubungsmitteln zu verhindern“.
BfArM lehnte Anträge bisher ab
Damit wiesen die Leipziger Richter zwei Kläger ab. Der Erste leidet unter arterieller Hypertonie und koronarer Herzkrankheit. Ein 2015 diagnostiziertes Burkitt-Lymphom im Stadium IV wurde mit Chemotherapie vollständig zurückgedrängt. Er will das Natrium-Pentobarbital aber für den Fall zu Hause haben, dass das Lymphom zurückkehrt.
Der zweite Kläger leidet an einer schweren Multiplen Sklerose. Er ist an den Armen und unterhalb des Schultergürtels gelähmt. Die inneren Organe sind geschwächt, eine Blasen- und eine Mastdarmentleerungsstörung sind die Folge.
Kommentar zu selbstbestimmtem Sterben
Urteil zu Natrium-Pentobarbital: Weckruf für den Gesetzgeber
Rückenschmerzen und Spastiken können durch die Einnahme von Medikamenten gedämpft werden. Für jede Alltagsaktivität benötigt er Hilfe rund um die Uhr. Mit Assistenz will er nun sein „unerträgliches Leiden auf humane Weise beenden“.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte wie üblich die Anträge abgelehnt. Wie die Vorinstanzen hat dies nun auch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
Gericht: Andere Möglichkeiten stehen offen
Zur Begründung verwies es auf die „realistische Möglichkeit, über eine Ärztin oder einen Arzt Zugang zu (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln zu erhalten, mit denen eine Selbsttötung durchgeführt werden kann“. Dies sei für die Sterbewilligen zwar mit hohen Belastungen verbunden. So müssten sie einen Arzt finden und eine größere Menge an Medikamenten einnehmen. Bei Sterbewilligen mit Schluckbeschwerden gebe es aber auch intravenöse Möglichkeiten.
Auch mit Blick auf das vom Bundesverfassungsgericht Anfang 2020 postulierte Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben sei das im Betäubungsmittelgesetz verankerte Verbot von Natrium-Pentobarbital gerechtfertigt. Denn den sich daraus für Sterbewillige ergebenden Erschwernissen stünden wichtige Gemeinwohlbelange gegenüber.
Gefährlichkeit rechtfertigt Einschränkung
„Die Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch Miss- oder Fehlgebrauch des Mittels sind angesichts seiner tödlichen Wirkung und der einfachen Anwendbarkeit besonders groß und wiegen schwer. Diese besonderen Gefahren sind die Kehrseite der dargelegten Vorzüge des Mittels für die Sterbewilligen.“
2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht Zugang zu Natrium-Pentobarbital „unter dem Gesichtspunkt einer extremen Notlage“ gewährt. Eine solche Notlage liege hier bei beiden Klägern aber nicht vor. Zur Begründung verwiesen die Leipziger Richter auch hier auf „zumutbare Alternativen“. Damit beschränkten sie ihre alte Rechtsprechung auf medizinische Sonderfälle, in denen die Selbsttötung mit einem ärztlich zusammengestellten Arzneimittel-Cocktail nicht möglich ist.
Anlehnung an Bundesverfassungsgericht
Ganz überraschend ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Ende 2020 hat das Bundesverfassungsgericht nämlich ganz ähnlich argumentiert. Damals wies es eine Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen als unzulässig ab, welche das BfArM stützten - und zwar mit Hinweis auf seine im Februar 2020 ergangene Entscheidung zum selbstbestimmten Sterben.
Die Möglichkeit, dem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, sei infolge seines Urteils und durch die Nichtigerklärung des Paragrafen 217 StGB „wesentlich verbessert“ worden, so das Bundesverfassungsgericht.
„Aufgrund dieser grundlegend veränderten Situation“ seien Suizidwillige „nunmehr zunächst gehalten, durch aktive Suche nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeignetem Weg ihr anerkanntes Recht konkret zu verfolgen“. (mwo/juk)
Bundesverwaltungsgericht, Az.: 3 C 8.22 und 3 C 9.22