Compliance-Killer Babysprache
Alte Menschen machen einen großen Anteil der Patienten von Hausärzten aus. Hier ist praktische Geriatrie gefragt - auch in der Kommunikation. Babysprache und Patronisierung sind dabei nur zwei von vielen Fauxpas.
Veröffentlicht:Gerade Hausärzte haben viel mit alten Menschen zu tun. Die meisten von ihnen sind erfahren im Umgang mit alten Patienten. Doch im Laufe der Zeit können sich Kommunikationsfehler einschleichen. Deshalb ist es sinnvoll, sich immer wieder neu klar zu machen, dass es typische Verhaltens- und Reaktionsmuster im Alter gibt und dass diese die Kommunikation in eine eigentlich unerwünschte Richtung lenken können.
Zum Beispiel sprechen Jüngere -auch jüngere Ärzte - mit alten Menschen oft betont langsam, mit reduziertem Wortschatz und aufmunternden Floskeln.
Sprachliche Entmündigung
Dieses Kommunikationsverhalten entspreche einer "sekundären Babysprache" und unterscheide sich nicht von Unterhaltungen zwischen Erwachsenen und zweijährigen Kindern, kritisiert der Internist, Medizinethiker und Kommunikationsexperte Professor Linus Geisler (Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2007;2:146-148). Daraus könne sich ein Teufelskreis entwickeln, der zu einer sprachlichen Entmündigung führe.
Weder Baby-Talk ist angebracht, noch Patronisierung, also gönnerhaftes Verhalten. Patronisierende Kommunikation führt laut Geisler zu Fehlverhaltensweisen. Und: Herablassende Entmündigungsstrategien, Bagatellisierung, Formulierungen, die alten Menschen ihre Gedächtnis- und Merkprobleme vor Augen führen, oder pädagogische Zurechtweisungen wie "Alte Menschen weinen nicht!" würden das Gefühl von Hilflosigkeit und Unselbstständigkeit fördern.
Doch bei vielen Jüngeren ist ein patronisierender Gesprächsstil tief eingefahren, und der Sprechende merkt das gar nicht mehr. Am besten hört man sich selbst immer wieder kontrolliert zu und achtet dabei genau auf typische patronisierende Gesprächsmerkmale.
Positive Einstellung, Respekt und Zeit
Gelungene Kommunikation mit alten Menschen basiert auf Einfühlung, Respekt und Fürsorge. Nötig sei eine positive Einstellung zu alten Menschen. Sie hätten schließlich in ihrem Leben etwas geleistet und verdienten, mit Respekt behandelt zu werden, so Dr. Thomas Hermens, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft "Ambulante Geriatrie" der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
"Wir Ärzte müssen nun für Lebensqualität im Alter sorgen." Er selbst fühle sich als der Anwalt seiner alten Patienten, sagt der hausärztlich tätige Internist und Geriater, der in Wesel eine Diabetologische Schwerpunktpraxis unterhält.
Was alte Menschen vor allem brauchen, ist Zeit. "Eine Fünf-Minuten-Medizin funktioniert bei ihnen nicht", so Hermens. "Ein alter Mensch kommt nicht sofort in die Puschen. Er erzählt oft erst von eher unwichtigen Symptomen. Nicht nach der ersten, der zweiten oder der dritten Aussage fällt dann der Groschen, was das Problem ist, sondern vielleicht erst nach der 11. oder der 12.
Das ist wie bei einem Puzzlespiel, man braucht oft viele Steine, um das diagnostische Puzzle zusammensetzen zu können."
Angehörige einbeziehen
Um Zeit zu sparen, rät der Geriater dazu, dass alte Patienten die Tochter, den Sohn oder einen Enkel in die Praxis mitbringen oder sich vorher einen Spickzettel machen. Dann können die Patienten vorher alles durchgehen und vergessen nichts Wichtiges.
Sich für alte Menschen die Zeit zu nehmen, die sie brauchen, zahlt sich aber aus. Es sei erwiesen, dass eine ausreichende Zeitinvestition, vor allem im Erst-Interview, per Saldo zeitsparend, zumindest aber zeitneutral sei, rechnet Geisler vor:
Es entfallen zum Beispiel viele zusätzliche Kurzgespräche, eine patientengerechte, gezielte Behandlung wird möglich, diagnostische und therapeutische Umwege und Sackgassen werden vermieden, die Kosten im Gesundheitssystem werden gesenkt. Das sieht auch Hermens so: "Würde man den Faktor Zeit wegnehmen, würde das viele Einweisungen und Übertherapien ersparen."
Denn wer sich die Zeit nicht nimmt, übersieht, dass es sich häufig um eine Pseudomultimorbidität handelt, die etwa Ausdruck einer Depression oder "einer untergründigen Lebensangst" ist, wie Geisler formuliert. Oft steckt bei alten Menschen auch eine Alkohol- oder eine Medikamentenabhängigkeit hinter den organischen Symptomen.
Persönliche Lebensgeschichte kennen lernen
Außerdem kann Krankheit im Alter Maske, Mittel oder Signal sein: Sie kann Einsamkeit verdecken. Auch ein Verlust von Prestige kann durch Krankheit überspielt werden, vor allem bei Menschen, deren Lebensinhalt ihre Arbeit war. All das sind typische Fallgruben im Gespräch mit alten Patienten. Doch es braucht eben Zeit und Einfühlungsvermögen, sie zu erkennen.
Und noch etwas sei ganz wichtig, sagt Hermens: präventive Hausbesuche. "Man muss alte Menschen in ihrem Umfeld sehen." Das werde inzwischen auch wieder extra budgetiert. Das persönliche Umfeld und vor allem auch die persönliche Lebensgeschichte eines alten Menschen sind Schlüssel zum Verständnis seines Krankheitserlebnisses.
Alte Menschen, die sich verstanden und angenommen fühlen, sind äußerst dankbare Patienten. Die gelungene Kommunikation mit ihnen kann daher für Ärzte sehr befriedigend sein.
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