Der große Zuckerschock
Darf‘s ein bisschen weniger Zucker sein?
Große Lebensmitteleinzelhändler wollen den Zuckergehalt in ihren Eigenmarken reduzieren, um Volkskrankheiten wie Adipositas und Diabetes vorzubeugen. Für Verbraucherschützer ist das allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Deutschlands Lebensmitteleinzelhändler haben dem hohen Zuckergehalt vieler Produkte in ihren Regalen den Kampf angesagt. Allein der Handelsriese Rewe will in diesem Jahr bei rund 100 Eigenmarken-Produkten neue zuckerreduzierte Rezepturen einführen.
Die Rewe Group hat nach eigenen Angaben ein Programm aufgelegt, um in den Rewe-Supermärkten und den Penny-Discountern die Rezepturen im Hinblick auf Salz- und Zuckergehalte zu optimieren.
Dazu würden in einem ersten Schritt ausgewählte Lebensmittel der Eigenmarken wie Molkereiprodukte, Speiseeis, Cerealien, Brot oder Getränke im Hinblick auf das jeweilige Reduktionspotenzial klassifiziert und priorisiert. Begonnen werde mit Lebensmitteln, die ein besonders hohes Reduktionspotenzial haben.
Reaktion auf DEG und WHO
10 Regeln für eine gesunde Ernährung
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) erklärt in ihren 10 Regeln, wie sich Verbraucher ausgewogen und genussvoll im Alltag ernähren können.
1. Lebensmittelvielfalt genießen
2. Gemüse und Obst – nimm "5 am Tag"
3. Vollkorn wählen
4. Mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzen
5. Gesundheitsfördernde Fette nutzen
6. Zucker und Salz einsparen
7. Am besten Wasser trinken
8. Schonend zubereiten
9. Achtsam essen und genießen
10. Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben
Rewe reagiere damit auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und der WHO, die aufgenommene Menge an Salz und Zucker zu verringern, da es einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen zu hohem Salz- und Zuckerkonsum und Volkskrankheiten wie Bluthochdruck und Adipositas gebe. Und Fakt ist: Die Menschen in Deutschland essen zuviel Zucker.
Auch der Discounter Lidl will den Anteil an zugesetztem Zucker und Salz in seinen Eigenmarken um je 20 Prozent verringern – allerdings erst bis 2025. Edeka und Aldi schrauben ebenfalls an ihren Rezepturen, wie sie verlauten ließen.
Doch der Kampf gegen den übermäßigen Zuckerkonsum ist mühsam. Auch weil für Verbraucher gar nicht so einfach festzustellen ist, wie viel Zucker sie wirklich zu sich nehmen. Nur der geringste Teil wird bewusst als Würfelzucker, Kandis- oder Kristallzucker konsumiert. Ein weit größerer Teil steckt in den Fertigprodukten der Lebensmittelindustrie.
Verbraucher stimmen ab
Für Lebensmitteleinzelhändler ist die Zuckerreduzierung bei Schokopuddings, Fruchtjoghurts, Cerealien und Erfrischungsgetränken eine Gratwanderung. Denn selbst wenn sie etwas für die öffentliche Gesundheit tun wollen, so fürchten sie sich doch davor, ihre Kunden mit neuen Rezepturen zu verschrecken.
Letztlich lasse sich die "gelernte" Geschmackserwartung nur über einen längeren Zeitraum ändern, heißt es im Handel. Man müsse dem Kunden Zeit geben, sich auf die veränderten Zusammenstellungen einzurichten.
Rewe geht das Problem in dieser Woche offensiv an – mit einer werbeträchtigen Mischung aus Marktforschung und Marketing. Der Handelsriese bietet seinen Kunden unter dem Motto "Wie viel Zucker brauchst Du noch?" einen Schokopudding seiner Eigenmarke "REWE Deine Wahl" im Viererpack an.
Doch enthält nur ein Becher den üblichen Zuckeranteil, bei den anderen Portionen ist der Zuckergehalt um 20, 30 und im vierten Becher sogar um 40 Prozent reduziert. Im Internet können die Verbraucher darüber abstimmen, welche Variante am Ende in die Regale kommt.
Hoffen auf Akzeptanz bei Kunden
Rewe-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog geht davon aus, dass eine der zuckerreduzierten Varianten die Abstimmung gewinnen wird. Doch macht er auch deutlich: "Wenn die Kunden am Ende die Originalrezeptur wollen, werden wir dem entsprechen. Wir wollen die Zuckerreduktion nicht auf Kosten des Geschmacks machen."
Die Zeichen für die Lebensmitteleinzelhändler stehen indes nicht schlecht – zumindest, wenn sich die Konsumenten so verhalten, wie sie es in Umfragen vorgeben.
So ergab zum Beispiel die TK-Studie zur Ernährung 2017, dass den Bundesbürgern in Sachen Ernährung das Motto "Hauptsache gesund" am wichtigsten sei. Immer mehr Menschen möchten sich demnach gesund ernähren. Gefragt, worauf es ihnen bei ihrer Ernährung ankommt, gaben 45 Prozent der Befragten an, dass sie vor allem gesund essen möchten.
In der vorangegangenen Befragung zum Ernährungsverhalten der Deutschen aus dem Jahre 2013 sagten das nur 35 Prozent – damals fand das Ernährungsmotto "Hauptsache lecker" noch die meiste Zustimmung.
Ruf nach Lebensmittelampel
Der Ernährungsexperte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht das Engagement der Handelsketten deshalb mit gemischten Gefühlen. Prinzipiell sei es natürlich zu begrüßen, wenn die Unternehmen versuchten mitzuhelfen, den Zuckerkonsum zu senken. Doch reiche das bei weitem nicht aus.
Hier sei der Gesetzgeber gefordert, meint Valet. Notwendig sei eine klare Ampel-Kennzeichnung bei Lebensmitteln, die dem Verbraucher auf den ersten Blick ermögliche, den Zuckergehalt eines Produktes einzuordnen.
Schließlich mache auch eine kräftige Reduzierung des Zuckergehalts aus einer Kalorienbombe noch keinen gesunden Snack: "Wenn man in ein hochgezuckertes Müsli 20 Prozent weniger Zucker reintut, wird es nicht viel gesünder."
Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hatte vor Kurzem die Pläne der Lebensmittelkonzerne Coca-Cola, Mars, Mondelez, Nestlé, PepsiCo und Unilever für eine eigene EU-weite Nährwert-Ampel auf ihren Produkten kritisiert. Das vorgeschlagene System, das auf der Vorderseite der Verpackung den Gehalt der wichtigsten Nährwerte in Ampelfarben zeigen soll, habe viel zu lasche Kriterien und sei irreführend, so foodwatch.
Selbst bei Süßigkeiten, die zu rund 90 Prozent aus Zucker und Fett bestünden, würde die Ampel nicht auf Rot springen. Das sei das Ergebnis eines Ampel-Vergleichstests der Verbraucherorganisation. Die Original-Lebensmittelampel der britischen Lebensmittelbehörde FSA springe auf Rot, wenn ein Produkt auf 100 Gramm mehr als 13,5 Prozent Zucker aufweise, so Foodwatch.
Regulierung für Werbung gefordert
Oliver Huizinga, bei Foodwatch Experte für Lebensmittelkennzeichnung, Lebensmittelwerbung und Übergewichtsprävention sowie Abteilungsleiter Recherche und Kampagnen, geht noch einen Schritt weiter.
Er verlangt: "Die Politik muss Rahmenbedingungen für alle setzen. Dabei geht es nicht nur um die Zuckerreduktion und die Kennzeichnung des Zuckergehalts in Lebensmitteln, sondern auch um die Werbung für stark zuckerhaltige Artikel – besonders wenn sie auf Kinder zielt."
"Viele Lebensmittel werden als vermeintlich gesund vermarktet und sorgen dafür, dass Menschen mehr Zucker und Fett zu sich nehmen als ihnen bewusst ist", weist TK-Chef Dr. Jens Baas im Vorwort zur aktuellen Ernährungs-Studie seiner Kasse auf das Problem der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung hin.
Letzten Endes wird die individuelle Gesundheitskompetenz gekoppelt mit der aktuellen Stimmungslage über die Kaufentscheidungen der Verbraucher entscheiden. (mit dpa)