Dr. Jan-Gerd Hagelstein

Der Hausarzt der Seeleute

Der Allgemeinmediziner Dr. Jan-Gerd Hagelstein hat seine Kassenzulassung abgegeben und leitet am Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand in Hamburg eine ganz besondere Ambulanz: für Seeleute, die krank am Hafen ankommen.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Allgemeinarzt Dr. Jan-Gerd Hagelstein kümmert sich um die Beschwerden der Seeleute, die krank im Hamburger Hafen ankommen.

Allgemeinarzt Dr. Jan-Gerd Hagelstein kümmert sich um die Beschwerden der Seeleute, die krank im Hamburger Hafen ankommen.

© Dirk Schnack

HAMBURG. Wer zur See fährt, sieht oft wochenlang keinen Arzt. An Land haben die Seemänner dann oft ihre gewohnten Adressen, die sie bei gesundheitlichen Problemen anlaufen.

In Hamburg ist dies seit rund 20 Jahren die Praxis von Allgemeinmediziner Dr. Jan-Gerd Hagelstein, der so etwas wie der "Hausarzt der Seeleute" geworden ist.

Zu Jahresbeginn hat Hagelstein seine Kassenzulassung abgegeben und leitet nun als angestellter Arzt des Wilhelmsburger Krankenhauses Groß-Sand die dort neu etablierte Abteilung: Seemannsambulanz.

Im Untergeschoss finden sich seine drei Behandlungsräume, das Wartezimmer und die Anmeldung. Hier, rund fünf Kilometer vom Hamburger Hafen entfernt, ist die am häufigsten genutzte Anlaufstelle für Seeleute, die krank im Hamburger Hafen ankommen.

Groß-Sand hat sich nach eigenen Angaben eine verbesserte medizinische Versorgung von Seeleuten im Hamburger Hafen auf die Fahnen geschrieben und sieht Chancen, in die Lücke zu stoßen, die das in den 90er Jahren geschlossene Hafenkrankenhaus in Hamburg hinterlassen hat.

Im Zentrum dieser Bemühungen steht die Verpflichtung des 57-jährigen Hagelsteins, der wie kein Zweiter in der Szene zu Hause ist. Als eine Kombination aus Zufällen und Affinität zum Wasser beschreibt Hagelstein selbst die Entwicklung zum Hausarzt für Seeleute.

Gelernter Schifffahrtskaufmann

"Ich habe vor dem Medizinstudium eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann gemacht. Aus dieser Zeit stammen die ersten Verbindungen", sagt Hagelstein. Weiterer Berührungspunkt war seine Zeit bei der Marine.

Seine Zeit als Arzt im Praktikum leistete er in einer Praxis, in die auch Seemänner kamen. Als er sich schließlich selbstständig machte, hatte er die Seeleute als Patienten schon im Blick.

Das sprach sich schnell herum und Hagelstein hatte bald seinen Ruf als Hausarzt der Seeleute weg. "Zeit, eine große Kassenpraxis aufzubauen, hatte ich eigentlich nie", sagt er rückblickend.

Denn die Behandlung von Seeleuten unterliegt nicht dem GKV-System, Hagelstein rechnet nach GOÄ mit den Reedereien ab.

Dafür ist die Behandlung aber oft komplizierter und, wie Hagelstein es empfindet, auch abwechslungsreicher. "Es gibt keine Gesetzmäßigkeiten und keine Routine. Ich weiß nie, was heute noch passiert. Das hängt immer davon ab, was in den Hafen einläuft", sagt Hagelstein.

 "Einige Patienten kommen mit dem Kopf unter dem Arm durch die Tür. Deshalb ist es ganz gut, dass ich vor einigen Jahren meine Praxis an den Klinikstandort verlegt habe. Hier habe ich alle internistischen und chirurgischen Möglichkeiten in der Hinterhand", berichtet er.

Seine Patientenklientel ist oft exotisch. Mit ausländischen Seeleuten versucht er sich auf Englisch oder Spanisch zu unterhalten, auch die Mitarbeiter aus unterschiedlichen Herkunftsländern in der Klinik helfen bei Bedarf.

Und wenn alle Stricke reißen, scheut Hagelstein auch nicht davor zurück, den Besitzer des Chinarestaurants um die Ecke um Dolmetscherdienste zu bitten.

Hilfe aus der Bordapotheke

Viele seiner Patienten haben ihre Beschwerden schon seit Wochen und sich mit Medikamenten aus der Bordapotheke über Wasser gehalten. Generell entscheidet der Kapitän, ob und wo der Seemann einen Arzt aufsuchen darf.

Dabei wägt der Kapitän ab, ob er das kostenträchtige Anlaufen eines außerplanmäßigen Hafens vermeiden kann und ob die medizinische Behandlung in einem vergleichsweise teuren europäischen Land erfolgt.

Bei Krankschreibungen kommt es zu Reaktionen, die Ärzte bei herkömmlich angestellten GKV-Patienten selten erleben: "Viele wehren sich extrem stark gegen Krankschreibungen, weil die Angst vor dem Jobverlust hoch ist", berichtet Hagelstein.

Hinzu kommt, dass den Seeleuten wenig Zeit zu Auskurieren bleibt, weil sie zum Teil schon wieder nach acht bis zehn Stunden auf dem Schiff sein müssen. Die medizinische Behandlung muss dann unter Hochdruck erfolgen.

Kontakte in Rotterdam

Für Hagelstein heißt es dann, die Weichen für eine Anschlussbehandlung zu stellen und zum Beispiel abzuklären, was ein Kollege im nächsten Hafen wie etwa Rotterdam bei der Übernahme unternehmen könnte.

"Ich habe mir dafür ein kleines Netzwerk aufgebaut, damit der Patient im nächsten Hafen nicht wieder von vorn anfangen muss", sagt Hagelstein.

Im Gegenzug erlebt er eine extrem dankbare Patientenklientel mit geringer Anspruchshaltung "Bei den Seeleuten gilt der weiße Kittel noch etwas. Sie tun, was ich ihnen rate", sagt Hagelstein.

Zu Weihnachten erhält er zum Dank für seine Behandlungen oft Post aus der ganzen Welt. Von seiner Marinezeit abgesehen hat es Hagelstein nie gereizt, selbst als Schiffsarzt zur See zu fahren. Als Tourist ist er dagegen gerne auf Kreuzfahrten.

Ihr Newsletter zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

SUMMIT-Studie

Tirzepatid auch erfolgreich bei Herzinsuffizienz-Therapie

Lesetipps
Ordner auf dem Bildschirm

© envfx / stock.adobe.com

Forschungsbürokratie darf nicht ausufern

Krebsmedizin will neuen Digitalisierungsimpuls setzen

Der Innovationsfonds gilt als Ideenschmiede. Doch erfolgreiche Projekte haben extrem damit zu kämpfen, in die Regelversorgung zu kommen.

© Looker_Studio / stock.adobe.com

Verbesserungsvorschläge auf dem Medica Econ Forum

Innovationsfonds: Der Weg in die Regelversorgung ist zu lang