Arzt-Unterstützung
Die Gesundheits-App als Assistent
Health-Apps sind im Trend. Dabei können medizinische Apps Ärzte tatsächlich bei Diagnosefindung und Therapie unterstützen. Einige begleiten bereits den Alltag von Ärzten und Patienten und werden sogar von Krankenkassen finanziert.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Die Gesundheitsbranche erlebt eine regelrechte App-Schwemme. Etwa 100.000 Anwendungen soll es in dem Bereich weltweit geben. Das Feld hat sich zuletzt rapide vergrößert und erweist sich als eher unübersichtlich.
Mehr Licht ins Dunkel brachte im April 2016 die Studie "Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps" (CHARISMHA). Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gab sie in Auftrag, durchgeführt wurde sie von Forschern um Urs-Vito Albrecht an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Fitness-Apps, die zu Bewegung oder gesunder Ernährung motivieren sollen, sind demnach die häufigste Variante. Einige Krankenkassen zahlen ihren Patienten inzwischen Prämien für die regelmäßige Nutzung.
Medizinische Apps sind dagegen noch selten. Sie übernehmen eine Funktion in Diagnostik oder Therapie. Die leiten die Hersteller aus dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens ab. Zudem holen sie eine CE-Zertifizierung ein, und die Zulassung nach dem Medizinproduktegesetz (MPG).
Serious Health
Kinderarzt und E-Health-Befürworter Dr. Markus Müschenich nennt diesen Bereich Serious Health. Für ihn ist es das Hauptkriterium, einer Anwendung den Weg ins Gesundheitssystem zu ebnen. Davon abgesehen solle sie wirklich innovativ sein, und es müsse einen relevanten Markt geben.
Mit dem Team seines Flying Health Incubators bringt Müschenich ausgewählte Apps voran. Inkubatoren sind Starthelfer, sie begleiten Erfinder oft schon in frühen Phasen der Entwicklung. Ähnlich verhält es sich mit den Akzeleratoren.
Sie sollen die Weiterentwicklung beschleunigen. Beide tragen zur Finanzierung von Konzept- und IT-Entwicklung, Forschung und Zulassung für E-Health-Produkte bei. Außerdem bringen sie Know-how und Kontakte im Gesundheitswesen mit.
Kassenvertrag zum Greifen nah
Erste Medizin-Apps tauchen inzwischen in den Leistungskatalogen einzelner Krankenkassen auf. Für M-sense etwa, so Müschenich, wird es bald einen Kassenvertrag geben. Diese App zur besseren Migräneregulation begleitete Flying Health beim Markteintritt. Sie bekam 2016 den Eugen-Münch-Preis.
Im EBM sind E-Health-Technologien noch weitgehend unbekannt. "Es gibt derzeit im Finanzierungssystem der Krankenkassen keine Vergütungslogik für digitale Produkte", sagt Müschenich. Eine Festlegung des Gemeinsamen Bewertungsausschusses von KBV und GKV in Folge des E-Health-Gesetzes soll hier ab dem Juli dieses Jahres zumindest teilweise Abhilfe schaffen. Ab dann können Ärzte Videosprechstunden abrechnen.
Das betrifft insbesondere die Plattform Patientus, die eigens dafür entwickelt wurde. Diese wurde erst kürzlich vom Arztbewertungsportal jameda gekauft (wir berichteten). Ansonsten wartet der EBM bislang nur mit einer Ziffer fürs Telemonitoring von Defibrillatoren und Herzschrittmachern auf.
Im April treten zudem die Ziffern fürs radiologische Telekonsil in Kraft (GOP 34800, 34810 und 34820).
Studien sind eher die Ausnahme
Caterna, ein Trainingsprogramm für Kinder mit Amlyopie, war laut Müschenich die erste App auf Rezept. Das Produkt der Berliner Caterna Vision GmbH wird seit 2014 bezahlt von der Barmer GEK, inzwischen auch von Viactiv/BKK Vor Ort, BKK VBU sowie den privaten Anbietern Axa und Hanse Merkur.
Beteiligte Augenärzte können ihre Beratungsleistung privat abrechnen. Es gab schon vorab Studien, die für die Wirksamkeit von Caterna sprachen. Derzeit ist das bei Medizin-Apps noch die Ausnahme.
Cardiosecur wiederum misst und beurteilt EKG-Werte. Die Weiterentwicklung wurde 2016 vom German Accelerator Life Sciences Programm in Cambridge gefördert. Das Produkt gewann mehrere Innovationspreise. Die Novitas BKK übernimmt für Patienten nach einer Herzoperation seit Juni 2015 die Kosten.
Verschrieben wurde die App seitdem aber noch von keinem Kardiologen, wie die Kasse auf Anfrage mitteilte. Ein Großteil der Nutzer kauft und verwendet das Produkt privat. Ihnen stehe auf der CardioSecur-Plattform ein Pool von 800 Ärzten zur Beratung zur Verfügung, so der Frankfurter Hersteller Personal MedSystems GmbH. Die Beratung können die Ärzte als Privatleistung abrechnen.
Kliniken haben die Nase vorn
Das dürfte derzeit der Anwendungsrealität vieler Apps entsprechen. Zudem sind die Erstanwender oft Kliniken. Cankado etwa begleitet Krebspatienten als digitales Therapietagebuch. Die von einer Gruppe um den Münchner Arzt Professor Timo Schinköthe entwickelte Anwendung wird am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) eingesetzt.
Sie wurde unter anderem von der Deutschen und der Bayerischen Krebsgesellschaft ausgezeichnet. Cankado wird finanziert über Fördergelder und Spenden, die Nutzung ist kostenlos. Die Helios Kliniken wiederum haben mit dem helios.hub einen eigenen E-Health-Accelerator, der Start-ups fördert.
Wichtige Herausforderungen für Medizin-Apps sind derzeit die Evaluation der Wirksamkeit, Datenschutz und Qualitätssicherung. Das konstatierte im Oktober die pwc Strategy&-Studie ,Weiterentwicklung der E-Health Strategie‘, erstellt im Auftrag des BMG.
Patienten möchten durch Apps vor allem lange Wartezeiten und Anfahrtsstrecken vermeiden. Das zeigt Müschenich zufolge eine von Flying Health beauftragte, noch unveröffentlichte Studie. "Der Renner wird in Zukunft sein: Der Patient muss nicht mehr zum Arzt gehen", so der Mediziner.
Für Ärzte und Gesundheitssystem sind freilich ebenfalls positive Auswirkungen möglich, vor allem sparsamer Ressourceneinsatz. Großes Potenzial zeigt sich zudem in Sachen Adhärenz. "Ärzte erreichen den Patienten nur in Praxis oder Klinik", so Müschenich. "Eine App bietet die Möglichkeit, 24 Stunden da zu sein."