Leitartikel zur Korruption

Die große Lücke zur Privatmedizin

Der Gesetzgeber schließt eine Lücke in der Korruptionsbekämpfung. Er hat dabei nicht nur die Ärzte im Blick. Die strafrechtliche Regelung über das SGB V hinterlässt aber eine große Lücke: für Privatpatienten.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Der Korruptionstatbestand wird nun auch auf niedergelassene Ärzte ausgedehnt.

Der Korruptionstatbestand wird nun auch auf niedergelassene Ärzte ausgedehnt.

© Minerva Studio / Fotolia.com

Rund zehn Prozent oder 20 bis 25 Milliarden Euro - das ist die von Transparency International in die Welt gesetzte Zahl über das Ausmaß von Korruption im Gesundheitswesen. Belege dafür gibt es nicht.

Außerdem war bislang - zumindest juristisch - strittig, welche Tatbestände als Korruption anzusehen sind und wer überhaupt korrupt sein kann. Diese Lücke will der Gesetzgeber nun schließen.

Im Zentrum stehen, nolens volens, die niedergelassenen Ärzte, und zwar aus gutem Grund. Denn es gibt nur wenige Berufe, deren wirtschaftliche Hebelkraft so ausgeprägt ist. Verglichen mit dem eigenen Umsatz - rund 30 Milliarden Euro - veranlassen Vertragsärzte ein Vielfaches an Wertschöpfung.

Niedergelassene Ärzte sind somit nicht nur Therapeuten, sondern Einkäufer von Gütern und Leistungen im wirtschaftlichen Sinne, und das auf Kosten Dritter: der GKV und PKV, der Beihilfesysteme und der selbstzahlenden Patienten. Aus dieser Schlüsselposition kann sich Missbrauch ergeben.

Einen solchen Missbrauchsverdacht hatte der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu beurteilen: Unterliegt die wirtschaftliche Tätigkeit eines freiberuflichen (Vertrags-)Arztes, der von einer Pharmareferentin 18.000 Euro für die Verordnung bestimmter Arzneimittel angenommen hatte, dem Korruptionstatbestand des Strafrechts?

Das hat der Bundesgerichtshof im März 2012 (GSSt 2/11) verneint. Und damit liegt der Ball beim Gesetzgeber.

Aber wie handelt der Gesetzgeber? Er regelt einen strafrechtlichen Sachverhalt im Spezialrecht, dem SGB V - und greift damit zu kurz ...

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 30.04.201316:00 Uhr

"Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/Der Vorhang zu und alle Fragen offen" (B. Brecht)

Zunächst packen Politik, TI (Transparency International), Kassen, Medien und Öffentlichkeit die gesamte Ärzteschaft in einen Sack und prügeln darauf ein. Dann wird ein spezielles Zielgruppen-Strafrecht n i c h t fürs StGB, das wäre verfassungswidrig, sondern fürs Sozialgesetzbuch SGB V entworfen. Scheinheilig meint man alle Beteiligten im Gesundheits- und Krankheitswesen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), gezielt wird aber auf die Ärzte. Es ist wie im klassischen Western: „The Good, the Bad, and the Ugly“! Dreimal dürfen Sie raten, wer in der GKV die Bösewichte spielen soll?

Dann nimmt man sich das Arzneimittelgesetz (AMG) vor. Anwendungsbeobachtungen zu Wirkungen, Nebenwirkungen, Risiken und möglichen Interaktionen seien ein Korruptionssumpf, obwohl nach b e s t e h e n d e m Recht die Ärzte dafür ganz legal eine angemessene Aufwandsentschädigung bekommen. Dass unsere täglichen, kostenlosen Anwendungsbeobachtungen (ABW) in Klinik und Praxis praktiziert werden, dass ärztliche Beobachtungsstudien und –Publikationen so manchen Arzneimittelskandal, wie z. B. die Contergan®-Tragödie aufgedeckt haben, will niemand mehr wahr haben.

Dass Aufwandsentschädigungen, Reise- und Sachkostenerstattungen für Auszubildende, Mitarbeiter/-innen, Mandatsträger, Aufsichtsräte, Freiberufler und freie Mitarbeiter in a l l e n anderen Branchen selbstverständlich sind, wird bei der gezielten Treibjagd gegen Ärzte nur allzu gerne verschwiegen. Stattdessen schätzt Transparency International ins Blaue hinein 20 bis 25 Milliarden Euro Kosten durch Korruption im Gesundheits- und Krankheitswesen. Und wir Ärzte werden für dumm verkauft.

Hinzu kommt noch eine geradezu hysterische Aufregung, wenn niedergelassene Ärzte bei den zahllosen Patientenklagen über Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen auch noch zum Rezeptblock greifen: Verweigern wir ein Rezept bei Lungenentzündung, Schilddrüsenkrankheit, Hypertonie, Herzmuskelschwäche und Niereninsuffizienz haben wir sofort eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung, ärztlicher Fehlbehandlung oder mangelnder Risikoaufklärung am Hals. Stellen wir tatsächlich ein Rezept mit hilfreicher Medikamentenwirkung aus, verkommen wir automatisch zu Bütteln der Pharmaindustrie: Ferngesteuert durch haltlose Werbeversprechen, geschmiert durch Fortbildungsveranstaltungen, dirigiert durch durchtriebenes Produkt-Placement!

Mit jedem Rezept protegieren wir werbend den Arzneimittelhersteller. Mit jeder Hilfsmittelverordnung werden wir zum Adlaten der Sanitätshäuser. Hinter jeder Krankenhauseinweisung wird Korruptionsverdacht laut. Kommt demnächst für Medikamente ein fundamentalistischer Zwang zur vollständigen Verhüllung – als Präparate-Burka sozusagen?

Es ist wirklich wie im "Guten Menschen von Sezuan".
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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