Diskussion um lange Wartezeiten

Ein Déjà-vu

Alter Wein in neuen Schläuchen? Die Diskussion um lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin sollte eigentlich längst ad acta gelegt sein: Seit Anfang 2012 hat die Selbstverwaltung den gesetzlichen Auftrag, für eine schnellere Terminvergabe zu sorgen.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Volle Facharztpraxen: Eigentlich sollte zügige Terminvergabe kein Thema mehr sein.

Volle Facharztpraxen: Eigentlich sollte zügige Terminvergabe kein Thema mehr sein.

© Klaus Rose

BONN. Der Bundesgesundheitsminister hat in den vergangenen Tagen wiederholt Pläne bekräftigt, wonach sich gesetzlich Krankenversicherte, die innerhalb von vier Wochen keinen Facharzttermin erhalten, mit der Bitte um eine Terminvereinbarung an die KV wenden können; wenn diese auch keinen Termin vereinbaren kann, soll sich der Patient zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus begeben dürfen.

Gleichzeitig stellt der Minister fest, dass in keinem anderen Land die Patienten schneller einen Termin bekommen als in Deutschland. Es gebe aber nichts, was nicht noch besser werden könne.

Laut Wikipedia tritt ein Déjà-vu bei gesunden Menschen vereinzelt und spontan auf. Derzeit müsste dies aber eigentlich ein Massenphänomen sein: In der Diskussion zu dem vor zwei Jahren in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstrukturgesetz hatte der damalige Gesundheitsminister Mitte 2011 vorgeschlagen, dass derjenige Patient, der keinen zeitnahen Facharzt-Termin erhält und dem die KV einen solchen trotz einmaliger Aufforderung durch die Krankenkasse nicht vermittelt, aufgrund einer Bescheinigung seiner Kasse eine ambulante Behandlung im Krankenhaus in Anspruch nehmen kann.

Rechtslage hat sich geändert

So steht es im Gesetz

Paragraf 75 SGB V: Regelungsinhalt des Paragrafen sind „Inhalt und Umfang der Sicherstellung“. In Absatz 1 heißt es dort: „die Sicherstellung umfasst auch die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung“.

An gleicher Stelle heißt es weiter: „In den Gesamtverträgen nach § 83 ist zu regeln, welche Zeiten im Regelfall und im Ausnahmefall noch eine zeitnahe fachärztliche Versorgung darstellen“.

Es gibt nur zwei Unterschiede zur heutigen Diskussion. Zum einen sollte damals der "Berechtigungsschein" durch die Kassen ausgestellt werden, heute soll dies die KV sein. Zum anderen - und das ist das Entscheidende - hat sich die Rechtslage geändert.

Die Kassen und KVen sind nämlich bereits seit zwei Jahren gesetzlich verpflichtet, die Details eines zeitnahen Facharzttermins und die Folgen bei der Nichtgewährleistung zu regeln.

Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurden zum 1. Januar 2012 die Regelungen zum Sicherstellungsauftrag in Paragraf 75 SGB V geändert.

Seither umfasst die Sicherstellung ausdrücklich auch die "angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung".

Zudem sind die Parteien der Gesamtverträge, also die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen, seit 2012 gesetzlich verpflichtet, eine Regelung zu treffen, welche Wartezeiten im Regelfall und welche im Ausnahmefall eine zeitnahe fachärztliche Versorgung darstellen und was geschieht, wenn dies im Einzelfall nicht gewährleistet werden kann. Wo sind diese seit zwei Jahren gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen?

Man könnte nun wiederum einwenden, die KVen hätten eine solche Regelung in den Gesamtverträgen bislang nicht gewünscht. Dieser Einwand geht aber fehl.

Auf Antrag der Aufsichtsbehörden, also der Landesministerien, können gesetzlich vorgeschriebene Regelungen in den Gesamtverträgen durch das Schiedsamt festgesetzt werden (Paragraf 89 Abs. 1a SGB V). Und wo sind nun die Aufforderungen der Landesministerien zur Umsetzung des Bundesrechts?

Geführte Diskussion ist teilweise populistisch

Man wird von den Patienten nicht verlangen können, dass sie das Sozialgesetzbuch V oder die Gesamtverträge lesen.

Wohl aber darf von Körperschaften des öffentlichen Rechts und Landesministerien erwartet werden, dass sie einen gesetzlichen Auftrag umsetzen, der den Patienten, letztlich aber auch den Ärzten dient, da er die Diskussion um tatsächlich oder vermeintlich "lange Wartezeiten" beenden würde.

In dieser teilweise populistisch geführten Diskussion könnte man heute wieder einmal den Eindruck gewinnen, die niedergelassenen Ärzte seien an der Misere schuld. Betrachtet man die Rechtslage, ergibt sich allerdings ein völlig anderes Bild.

Bestehende Gesetze wurden auf Landesebene nicht umgesetzt! Dies ist aber nicht Aufgabe der Ärzteschaft. Es könnte klüger sein, vorhandene Regelungen zu praktizieren als immer neue Gesetze zu erlassen.

Vielleicht beruht die ganze Hysterie und Historie aber auch darauf, dass bei der Diskussion um den "Krankenhausberechtigungsschein" ein wesentlicher Grundsatz in den Hintergrund getreten ist: Treat the cause, not the symptom.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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